Visa Vie im Interview: „Ich war viele Jahre nicht ich selbst“

Du hast, speziell für Frauen, die Türen zu diesem Interview-Game aufgemacht. 

Wenn du das sagst. Wenn ich das sage, klingt das unbescheiden. Wenn du das sagst, ist das okay. (lacht)

Es gibt heute viele Frauen im Rapjournalismus, die höchstwahrscheinlich diese Position nicht innehaben könnten, wenn du nicht den ersten Schritt gemacht hättest. Bist du da auch ein bisschen stolz drauf?

Ich tu mir da ein bisschen schwer damit, das über mich zu sagen. Aber wenn das jemand anderes sagt, dann ja, irgendwie stimmt das. Da bin ich auch stolz drauf. Man könnte auch behaupten, dass ich zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort war und dass es auch jemand anderes hätte sein können. Dann gibt es aber Menschen die sagen, dass es vor mir auch schon Frauen gab, die es probiert haben, wo es aber nicht funktioniert hat. Schlussendlich ist es schon schön zu wissen, dass ich in dieser Hinsicht Pionierarbeit geleistet habe. Das ist schon ein schönes Wort und ich glaube das trifft schon ein bisschen zu. Es hat wahrscheinlich jetzt nicht nur mit der Qualität der Interviews zu tun, sondern auch mit den Umständen, die für mich günstig waren.

Keine falsche Bescheidenheit.

Rückblickend ist es immer noch ein bisschen absurd – wie sich das alles entwickelt hat. Da gibt es auch Parallelen zu „Das allerletzte Interview“. Bei Clara geht es auch sehr schnell. Vom ersten Interview, komplett gescheitert zu – huch, plötzlich Teil dieser Welt. Ich bin zwar nicht komplett gescheitert. Ich habe ja damals bei 16Bars das erste Sido-Interview geführt. Aber ein paar Monate später war ich plötzlich so krass Teil dieser Welt, dass es gar nicht so unrealistisch ist, dass es meiner Hauptfigur ähnlich ergeht.

Hast du ganz bewusst eine Figur kreiert, die nicht so ist wie du? Die die Außenseiterposition innehat? Wolltest du gar nicht so sehr eine persönliche Geschichte erzählen?

Dass man den Inhalt auf mich bezieht, wird so oder so passieren. Ich bin mir sicher, dass ganz viele Leute permanent immer wieder sich fragen werden, was steckt da von mir drin. Es ist halt so, dass Clara einerseits ganz krasse Gegensätze zu mir aufweist – auch ganz deutliche Sachen – z.B. jeder der sich mal drei Minuten mit mir beschäftigt, merkt, dass ich immer zu spät komme.

Das kann ich bestätigen. Aber du hast Champagner mitgebracht. Alles gut (lacht).

Ja, so bin ich. Ich komme zu spät, aber bringe Pfeffi oder Champagner mit. Das ist ein krasses Manko meinerseits. Ich habe Clara bewusst die Charaktereigenschaft gegeben, dass sie immer zu früh kommt. Es war so ein richtiger Move von mir: „Ok, damit ihr alle wisst, ich bin nicht Clara, Clara ist nicht ich – Clara kommt immer zu früh.“ Und ohne jetzt zu Spoilern, auf der anderen Seite gibt es Sachen, die sind gleich bei uns. Zum Beispiel hat Clara – genau wie ich – einen krassen Tinnitus. Das merkt man auch erst irgendwann im Laufe der Folgen, aber – es gibt Parallelen und es gibt Dinge, die ganz anders sind.

Teilweise ist sie wie du, teilweise komplett anders. Was für ein Verhältnis hat man als Autor zu dieser Figur? Gibt es da ein gespaltenes Verhältnis?

Ich muss ehrlich sagen, ich bin irgendwann während des Schreibprozess wirklich fast ein wenig wahnsinnig geworden. Ich bin normalerweise schon ein relativ geselliger Mensch. Ich habe nie zuvor alleine irgendwo in einem Restaurant gesessen.  Ich war dann fünf Tage alleine in Hamburg. Dort habe ich mich in Hotels eingemietet, mein Handy ausgemacht und mich dann alleine von morgens bis abends mit mir und Clara auseinandergesetzt.

Es war eine krasse Hassliebe, im Sinne von – einerseits ist man irgendwann selbst diese Person – Clara, die Einzelgängerin. Sie hat niemanden und ich habe mich dann irgendwann selbst so gefühlt. Ich war immer die einzige, die alleine dasaß – beim Frühstück, beim Abendessen. Überall – ich war immer allein und irgendwann fühlt man das sehr. Das hat dem Schreibprozess sehr gut getan. Ich bin irgendwann dann auch zu ihr geworden. Viel mehr, als ich das im Vorfeld gedacht hätte. Aber natürlich freiwillig. Sie ist in ihrer einsamen Position in der Geschichte unfreiwillig und ich habe mich damit freiwillig hineinbegeben.

Aber es war schon ein ganz, ganz verrückter Prozess. Auch fast ein bisschen zu doll. So, dass ich am Ende dachte – „Uh, aufpassen, dass man jetzt nicht verrückt wird.“

Hat dich das ein bisschen an deine Schauspielzeit erinnert?

Viel intensiver. Beim Schauspielern gibt dir jemand eine Rolle und einen Text vor und sagt: „Mach das mal.“ Das hat sich immer so fremdgesteuert angefüllt, dass ich immer schon während des Schauspielerns hinterfragt habe, ob ich das mag. Und das hier, das ist alles zu 100% meins. Jeden Satz. Jede Figur. Alles das habe ich geschaffen. Das ist komplett meins. Und das ist ganz schön verrückt.

Kein berufliches Projekt hat mir mehr bedeutet als das. Ich habe noch nie in etwas so viele Energie, Zeit und Liebe investiert.