Homezone ist ein Text-Interview-Format unseres Autors Alexander Barbian. Er trifft und begleitet aufstrebende wie etablierte Künstler aus den Gefilden des deutschen Sprechgesangs durch deren Kieze, in deren Lieblingskneipen und zu deren Stammspäties. In der achten Ausgabe hat er die selbsternannte „Zeckenrapper“ Johnny Mauser und Captain Gips in Hamburgs alternativem Viertel rund um die „Schanze“ besucht.
Kaum ein Stadtteil im Land ist, gemessen an seiner durchaus übersichtlichen Ausdehnung, derartig legendär und, zumindest subkulturell historisch bedeutsam, wie das Hamburger Schanzenviertel. Ähnlich verhält es sich mit dem im Herzen des Kiezes gelegenen Kulturzentrum “Rote Flora“, das seit Jahrzehnten einer Kernschmelze alternativen Treibens in Deutschlands zweitgrößter Metropole gleicht.
Am Eingang des im Kiez-Sprech als „Flora-Park“ bekannten Gartens des ehemaligen Theatergebäudes treffe ich an diesem frühen Freitagvormittag zwischen abenteuerlichen Halfpipes, bunten Graffiti und in den Himmel ragenden Kletterwänden zwei Künstler, die sich, passend zur Flora, nicht erst seit gestern für eine Gesellschaft ohne Nazis, eingeschränkte Denkweisen und Konkurrenzdruck stark machen: Johnny Mauser und Captain Gips. Beide sind nicht nur maßgebliche Urheber des heutzutage breit aufgestellten Subgenres „Zeckenrap“ sondern haben zudem seit Jahren, zusammen mit Marie Curry und DJ Spion Ypsilon in der Formation „Neonschwarz“ die Lineups diverser deutscher Festivals bereichert und die spießigen Provinzen Dunkeldeutschlands mit provokanten Texten aufgemischt.
Zwischenzeitlich hat sich bei beiden allerdings auch mal wieder ein bisschen Solo-Material angestaut, das in wenigen Tagen in Form zweier vollwertiger Alben beider MC‘s über Audiolith Records das Licht der Öffentlichkeit erblicken wird. Bevor „Mausmission“ und „Klar zum Kentern“ am 1. September veröffentlicht werden, habe ich mir von Johnny und dem Captain ihre gemeinsame Hood, das Hamburger Schanzenviertel, zeigen lassen und mit ihnen ausgiebig über die neuen Projekte gesprochen … Viel Spaß!
Die meisten Rap-Fans kennen euch vermutlich als MC‘s in der Band Neonschwarz. In dieser Formation habt ihr in den letzten Jahren ganz schön abgesahnt, habt mit „Fliegende Fische“ und „Metropolis“ zwei verhältnismäßig erfolgreiche Alben an den Start gebracht und vor großen Crowds gespielt. Wie kam es jetzt zu dem Entschluss, sich vorläufig doch mal wieder auf Solo-Alben auszutoben?
Mauser: Die Entscheidung, mal wieder etwas in dieser Form rauszuhauen, ist auf jeden Fall gar keine Entscheidung gegen Neonschwarz. Die Band steht nach wie vor irgendwie über allem und das Ganze ist in den letzten Jahren ziemlich geil gelaufen. Nebenbei tragen wir beide bis heute aber auch die Leidenschaft für etwas düsteren, rougheren Hip-Hop in uns und schreiben ab und an dann eben auch mal Sachen, die nicht so ganz in das Schwizzy-Ding rein passen. In diesem Fall stand da über einen langen Zeitraum gar kein Konzept dahinter. Wir haben nur beide irgendwann festgestellt, dass mal wieder ein bisschen Stoff zusammengekommen ist. Und dann hat sich da einfach eine kleine Lücke ergeben, um das alles zu verpacken …
Gips: Das ist ja auch eine ganz andere Form von arbeiten als mit der Band: Solo entstehen Tracks viel schneller und auch einfach mal so. Wie Johnny schon sagte, war das alles gar nicht so akribisch geplant. Wir wussten bis vor Kurzem noch gar nicht so richtig, was das überhaupt werden soll. Dass da jetzt zwei eigenständige Alben und eine Tour auf der Agenda stehen, freut uns jetzt natürlich sehr.
Beide Solo-Alben kommen trotz aller Ungebundenheit und Spontanität am selben Tag über das gleiche Label auf den Markt. Wie viel Gips steckt am Ende doch in „Mausmission“, wie viel Mauser in „Klar zum Kentern“?
Gips: Tatsächlich wirklich gar nicht so viel. Wir wundern uns bis heute, dass wir uns diesmal nicht gegenseitig gefeatured haben (lacht). Da hat diesmal ernsthaft jeder sehr stark für sich gearbeitet. Ich glaube, Johnny hat wirklich das erste Mal von meinem Album gehört, als es schon fertig war …
Mauser: … Und auch wenn ich Gips zwischenzeitlich schon ein paar Steps gezeigt habe, kann man wirklich sagen, dass das an sich diesmal wirklich jeder für sich gemacht hat. Das zeigt sich ja nicht zuletzt daran, dass wir beide generell auf Features verzichtet haben. Das Gute an der Sache ist, dass das Vertrauen zueinander nach all den Jahren eh so groß ist, dass ich auch mit einer Platte vom Captain auf Tour gehen würde, wenn ich sie vorher nicht ein einziges Mal gehört hätte. Also darf das auch mal so sein.
Im Gegensatz zum doch eher peacigen Sound der Neonschwarz-Alben klingen die neuen Sachen wieder deutlich nachdenklicher und düsterer.
Mauser: Ja, die hoffnungsvolle Komponente, die bei Neonschwarz immer irgendwie mitschwingt, wenn wir in diesem Rahmen politische Themen ansprechen, taucht in den Solo-Sachen deutlich seltener auf. Da werden zwar schon die selben Themen bearbeitet … Aber eben ein bisschen wütender und zynischer formuliert.
Kommt es mir nur so vor, dass auf den neuen Platten mehr komplexe Storyteller zu finden sind, als auf den alten Releases?
Mauser: Nein, da ist schon was dran! Früher waren wir wirklich mehr die Politrapper im extravaganten Sinne: Da wurden wir, überspitzt formuliert, zur Demo eingeladen und konnten dort dann den passenden Text runterbeten. Irgendwann sind wir tatsächlich an den Punkt gekommen, an dem wir nicht mehr so Bock hatten, nur diese Rolle auszufüllen. Auch deshalb haben die Texte nach und nach an Plakativität verloren und sind dafür verschachtelter geworden. Dadurch sind die Lieder heutzutage weniger parolenmäßig und dafür hoffentlich bessere Storyteller.
Eine weitere erwähnenswerte Besonderheit ist, dass du, Johnny, im Track „Daddy“ auf einem ziemlich trappigen Beat mit Autotune-Vokals experimentierst …
Mauser: Ja, das ist neu. Dass wir überhaupt auf die Idee kamen, das mal auszuprobieren, kam zustande, weil das Lied in seiner Ursprungsform einfach nur eine sehr wacke Hook hatte, die wir so nicht stehen lassen wollten. Wir haben irgendwann beschlossen, mal ein Autotune-Ding mit einem klassischen linken Thema zu verbinden, auch wenn das Album ja ansonsten keine wirklichen Trap-Einflüsse hat.
Die „chronische Fremdscham“ gegenüber euren „Artgenossen“ ist auf beiden Alben wieder ein größeres Thema als zuletzt. Warum ist euch diese bewusste und entschiedene Abgrenzung gegenüber der Szene gerade jetzt so wichtig?
Gips: Auch wenn das gerade in meiner letzten Auskopplung „Cap is back“ vielleicht anders klingt, finde ich eigentlich schon, dass sich die Szene in den letzten Jahren sehr erweitert und verbessert hat. Eine Zeit lang konnte ich wirklich mit den wenigsten Sachen irgendetwas anfangen … Vor allem, weil inhaltlich immer nur die gleichen langweiligen Sachen kamen. Jetzt sind immerhin Leute wie Audio88, Veedel Kaztro oder Marteria am Start, die ich wirklich feiere. Die Lines, die wir an der einen oder anderen Stelle bringen, sind ja auch nur klassischer Battle-Rap, der innerhalb der Szene in anderer Form ja auch völlig akzeptiert ist. Wir drehen den Spieß halt einfach nur um … Genauso wie Leute in unsere Richtung pöbeln und sagen: „Eure Message wollen wir nicht!“, können wir ja auch zurück kontern und sagen, dass wir deren sexistischen Scheiß so nicht akzeptieren.
Mauser: Genau! Und auch wenn es zur Zeit wirklich extrem viele gute und kreative Sachen gibt, ist es ja immer noch so, dass mindestens fünfzig Prozent der Sachen, die einem begegnen, wenn man täglich die einschlägigen Hip-Hop-Blogs durchklickt, sehr eintönig sind und sich immer um die gleichen Themen drehen. Und auch im Bezug auf Homophobie und Frauen geht vieles weiterhin gar nicht klar … Eine gewisse Abgrenzung ist also immer noch notwendig, auch wenn wir uns nicht völlig rausziehen wollen. Dass es so wirkt, also hätten wir auf den neuen Alben eine noch krassere Linie gezogen, ist jedenfalls auch nicht bewusst passiert.
… Wo vor wenigen Wochen, während des G-20-Gipfels, im gesamten Kiez meterhohe Barrikaden in Flammen standen, sind an diesem sonnigen Julimorgen heute junge Pärchen mit Kinderwägen und Pfandsammler mit klimpernden Einkaufswägen unterwegs. Trotzdem sind an der einen oder anderen Stelle in der Nachbarschaft subtile Hinweise auf die ungezügelten Proteste während der Tage des Treffens der größten Wirtschaftsnationen zu entdecken: Mal ist es eine „Fuck-Trump“-Parole in einem Hauseingang, mal eine eingeschlagene Glasfassade der örtlichen Sparkassen-Filiale …