Ein entscheidender Unterschied zu anderen linken Rappern ist auch, dass eure Art der Kapitalismuskritik stets sehr authentisch an euren persönlichen Beobachtungen sozialer Abgründe und Verwahrlosung in den direkten Nachbarschaften aufgezeigt wird …
Delirium: Ja, wir geben eben immer Lageberichte von dem, was wir 24/7 zu sehen kriegen. Das ist ja am Ende meistens viel authentischer, als irgendeine weit hergeholte Kritik. Und das Elend, was einem alltäglich auf offener Straße begegnet, ist ja maßgeblich durch den Kapitalismus bedingt.
Zynik: Irgendwann raffst du halt auch, dass so gut wie alles, was dich abfuckt irgendwie auf dieses System zurückzuführen ist. Wenn du es schaffst, das für dich richtig einzuordnen, ist es auch klar, dass es Teil deiner Texte ist, wenn du über dein Leben rappst …
Selbst in den politischsten Tracks nehmt ihr unerlässlich Bezug auf die maßgebliche Rolle, die harte Drogen in euren persönlichen Umfeldern und in euren Kiezen spielen… Warum beschäftigt euch dieses Thema so sehr?
Delirium: Wir haben unterschiedliche Zugänge zu dieser ganzen Drogen-Thematik. Bei mir ist es an vielen Stellen eher dieses Downer-Ding, was teilweise aus persönlichen Erfahrungen aus meinem eigenen Leben und meinem Umfeld resultiert. Bei Zynik, der selber nie irgendwie konsumiert, gekifft oder geballert hat, geht‘s vielmehr um diese Junkie-Filme, die einem auf der Schalker Straße oder in der Schanze begegnen: Da rauchen die richtig kaputten Leute auf offener Straße Crack und spritzen sich Hero. Für mich ist diese Junkie-Marterie in ihrer ganzen Tragik immer ziemlich sinnbildlich für diese Gesellschaft … Das System, das die Leute dazu bringt, sich völlig aufzugeben, fickt sie am Ende dann immer noch weiter: Am Hamburger Hauptbahnhof läuft rund um die Uhr über alle Boxen klassische Musik, damit die Drogenabhängigen auch ja nicht auf die Idee kommen, sich dort in einer warmen Ecke schlafen zu legen. Das ist doch der Gipfel!
Wir laufen einer Gruppe junger Menschen vorbei, die den Weltkirchentag zum Anlass genommen haben, um sich orangene Tücher um den Kopf zu binden. „Das sind die eigentlichen Junkies“, sagt Zynik halb ironisch, woraufhin wir alle kurz lachen müssen …
Ihr nehmt, besonders jetzt auf „Rote Patronen“, sehr oft Bezug auf die türkische Linke und die kurdische Befreiungsbewegung. Woher kommt euer Zugang zu diesen Themen?
Zynik: Mich interessieren die politischen Entwicklungen in der Türkei schon seit längerer Zeit, deshalb bin ich irgendwann mit einem Kumpel nach Istanbul gefahren, um mir ein Bild von der Lage vor Ort zu machen. Die Art und Weise, wie die Menschen dort für ihre politischen Ideale eintreten, hat mich nachhaltig beeindruckt: Obwohl die existenziellen Risiken viel größer sind, gehen die Leute trotzdem derbe ab.
Dazu passend tretet ihr in letzter Zeit immer wieder als Vorband der in der migrantischen Comunity sehr populären Polit-Pop-Band Grup Yorum auf. Das ist eine riesige Chance, eine breitere Hörerschaft zu erreichen, oder?
Delirium: Klar! Wir spielen dort vor Leuten, die nichts mit Hip-Hop zu tun haben und unsere Musik trotzdem extrem feiern. Die Menschen bei diesen Veranstaltungen sind teilweise über 50 und kommen nach den Konzerten trotzdem zu uns, um uns zu erzählen, dass sie die Lieder fühlen konnten und mit ihrer eigenen Geschichte in Verbindung gebracht haben.
Zynik: … Das ist doch viel krasser, als jeder Schulterklopfer von irgendwelchen Insidern, die die Beats oder Flows feiern. Ganz davon abgesehen haben Grup Yorum uns an Orte mitgenommen, an denen wir sonst niemals aufgetreten wären: Ich hätte es nicht glauben können, wenn mir jemand vor ein paar Jahren prophezeit hätte, dass ich durch meine Mucke jemals nach Paris kommen könnte.