Nachdem seit euren Debüts seit knapp 15 Monaten nur unregelmäßig einzelne neue Tracks bei YouTube online gegangen sind, setzt ihr mit der „Rote Patronen EP“ jetzt endlich ein Ausrufezeichen. Warum hat das alles so lange gedauert und was ist in der Zwischenzeit so passiert?
Zynik: Wir haben in der Zwischenzeit vor allem viel live gemacht, viele Bühnenerfahrungen gesammelt. Zudem waren die Voraussetzungen, die für eine schnelle, produktive Albumentstehung notwendig gewesen wären, leider ganz und gar nicht optimal: Das fängt ja schon damit an, dass wir keinerlei finanzielle Mittel hatten, um das alles professionell über die Bühne zu bringen.
Delirium: Man muss auch dazu sagen, dass die EP an sich ja auch eigentlich schon länger im Kasten ist. Vor allem dadurch, dass wir in unterschiedlichen Städten wohnen, ist jetzt aber doch nochmal ordentlich Zeit verstrichen. Hinzu kam, dass alle Leute, die an der EP mitgewirkt haben, sich auf freundschaftlicher Basis beteiligt haben und Mix, Artwork und Videodreh daher jeweils ungeheuer lange gedauert haben. Mittlerweile ist der Satz: „2020 kommt dann auch die EP“ in unserem Umfeld zum Running Gag geworden (lacht).
„Rote Patronen“ ist in vielerlei Hinsicht völlig anders, als die „Hier EP“ und die „Leerlauf EP“. Am auffälligsten ist das völlig andersartige Soundbild: Die Beats sind viel mehr aufeinander abgestimmt, dafür weniger melodisch und aggressiver, als auf den Solo-EPs … Liegt das daran, dass sie diesmal einheitlich von Lucky2000 produziert sind?
Delirium: Ja, das ist zumindest ein ganz wichtiger Punkt. Man hört ja total raus, dass über alle Tracks hinweg der gleiche Architekt am Werk war. Und das war uns in diesem Fall auch besonders wichtig!
Zynik: Hinzu kommt, dass diesmal tatsächlich ein ganz anderes Konzept dahinter steckt: Was vorher eher zusammengewürfelt, deep und viel schmerzlastiger war, wird auf „Rote Patronen“ eher durch ein fettes „Fickt euch!“ kanalisiert und ballert halt einfach viel krasser.
Dass politische Inhalte in den Texten ein wichtiges Standbein euer Musik sind, ist ja keine neue Erkenntnis. Trotzdem ist die neugebackene EP noch viel eindeutiger politisch, als alles was man bisher von euch zu hören bekommen hat …
Delirium: Klar, „Roten Patronen“ ist definitiv Mucke, die zum Kampf bläst. Es war auch der Anspruch, sich diesmal mehr auf politische Themen zu fokussieren und weniger zu jammern (lacht).
Seht ihr nicht die Gefahr, dass eine derart ‚durchpolitisierte‘ Platte eher abschreckend auf die Kids wirken könnte, die sich nicht schon als gefestigt linksradikal definieren?
Zynik: Natürlich dürfen wir uns nicht beschweren, wenn die EP als ein Szeneding wahrgenommen wird: Um das bewusst zu vermeiden, spricht ja allein das Cover eine viel zu eindeutige Sprache. Trotzdem ist die EP definitiv nicht für die sektenartige linke Szene gemacht, die sich auf elitäre Weise vom Rest der Gesellschaft spaltet, sondern hat eine völlig andere Zielgruppe.
Deliruim: Genau! Klar ist die EP krass politisch, aber sie hat ja trotzdem einen enormen Hang zur Straße. Allein über diese Schiene kann man glaube ich schon viele Leute catchen, die sich bis dato noch nicht so viele Gedanken über Politik gemacht haben. Man kann das ja an unserem direkten Umfeld gut sehen: Da wird neben den politischen Leute ja auch noch viel Platz von fußballaffinen Dudes, Sprühern und anderen Atzen eingenommen … Die fühlen trotzdem alle unsere Musik.
Sind Zynik und Delirium Teil der deutschen Rap-Szene oder finden sie außerhalb von dieser statt? In welcher Rolle sehr ihr euch da?
Zynik: Digga, darüber machen wir uns irgendwie gar keine Gedanken (lacht). Entweder das Zeug wird angenommen, oder eben nicht. Hauptsache wir machen das, was uns bockt. Aber falls du darauf hinaus willst: Uns liegt auch nichts daran liegt, gezwungener Maßen am Rand stehen zu wollen und sich allem zu verweigern …
Am Rande der Rapszene gibt es gerade in den letzten Jahren vermehrt Künstler, die den Stil ihrer Musik offensiv als „Zeckenrap“ bezeichnen. Seht ihr euch als Teil dieser Nische?
Delirium: Nein, nicht wirklich. Ich selbst höre ehrlich gesagt auch keinen dieser Künstler. Wir feiern eher Jungs wie PTK oder Takt32: Die schaffen es mit politischen Inhalten breite Massen an Leuten zu erreichen und darum geht es doch am Ende. Ob uns das so gelingen wird, steht in den Sternen, aber wer uns einordnen will, sollte uns lieber in einem Atemzug mit diesen Rappern, als mit irgendwelchen „Zeckenrappern“ nennen, die bewusst Musik für ihresgleichen machen.
Zynik: Wenn du Leute für dich gewinnen willst, darfst du nicht damit anfangen, ihnen Vorwürfe zu machen. Viele Künstler machen da einen großen Denkfehler: Eigentlich wollen die ja die Leute kriegen, die Leute wollen ja gar nichts von den Künstlern. Und trotzdem beginnt man oft sofort damit, sie mit der Moralkeule abzufucken. Das muss einfach anders laufen: Die Kids vom Kiez gehen beispielsweise auf die 1. Mai-Demo, weil sie einen Reeperbahn Kareem feiern, der dort auftritt … Das ist doch super! Wir müssen es schaffen, die Leute aus allen gesellschaftlichen Bereichen mitzunehmen und einzubeziehen, auch wenn sie beispielsweise mit einem anderen Sprachgebrauch aufgewachsen sind. Also: Wenn linke Mucke „Zeckenrap“ ist, dann machen wir meinetwegen „Zeckenrap“ … Wenn es da aber nur um dieses Szene-Ding geht, dann auf jeden Fall nicht.
Mittlerweile haben wir die Runde durch den Thälmann-Park fast geschafft, kommen am Planetarium vorbei und können von hier kurz die viel befahrene Prenzlauer Allee sehen.