Und man könnte weitermachen: Rechtsradikale in der Bundeswehr, die dort eine kostenlose Kampfausbildung bekommen.
Lauter solche Sachen! Darum geht es bei „Locarno“ zum Beispiel: Ich muss hart darum kämpfen, dass ich nicht verrückt werde.
Und wie schaffst du es, trotzdem positiv zu bleiben?
Ich habe mir eine gewisse Arroganz und Aggression angeeignet, um nicht unterzugehen. Die Welt ist nun mal so, wie sie ist. Kapitalismus führt dazu, dass um alles konkurriert wird, Wohnraum und sonst was. Daran darf man nicht kaputtgehen. Das habe ich ein Stück weit gelernt, mir nichts gefallen zu lassen. Und dabei hat mir der Filmtrick geholfen. Wenn das ein Film wäre, würde ich mich über die Filmfigur doch ärgern, dass sie sich das gefallen lässt. Wenn die nicht eine geile Rache übt oder einen geilen Konterspruch bringt.
Moment – was ist denn der Filmtrick?
Den habe ich erfunden. Das bedeutet, dass ich mir mein Leben als Film vorstelle. Vor allem, wenn du gerade in einer Scheißsituation bist, musst du dir denken, okay, fuck, ich habe keine Wohnung, ich bin pleite, es geht nicht voran, was mache ich? Dann denkst du dir, okay, es ist scheiße – aber ich will ja da rauskommen. Ich mache es dann einfach zum Anfang eines Films. Das ist die Story, statt dass ich verzweifle, weil ich keinen Abstand nehmen kann, gehe ich einfach ein bisschen raus aus der Situation und gucke mir das an. Ich stelle mir vor, dass ich eine Filmfigur wäre. Was wäre das Coolste, was dieser Filmfigur macht? Ich bin so und so alt, ich will das und das erreichen – wo will ich hin? Was muss ich dafür tun? Bei mir war es so, dass ich mit Aggressionen mir gegenüber sehr schwer umgehen konnte. Ich habe darunter gelitten, wenn Leute mich nachgeäfft haben, wenn ich was Schwäbisches rausgehauen habe.
Also einfach sich mal neben sich stellen und ein die Situation von außen betrachten.
Genau. Das Spannende ist ja: Ich kann diese Hauptfigur steuern! Ich BIN diese Hauptfigur – was wäre das Geilste, was sie machen könnte? Ich will, dass dieser Film mein Lieblingsfilm wird. Ich will mir das Filmplakat in mein Zimmer hängen. Mir hat es halt echt geholfen, mir nicht mehr jeden Tag stundenlang über irgendwelche Arschlöcher Gedanken zu machen, die unfreundlich zu mir waren. Indem ich es mir von außen angeguckt habe und mir gesagt habe, nee, nee, nee. Nicht verzweifeln und denken, das wäre deine eigene Schuld – sondern: Das ist ein Arschloch! Du kannst auch deinen Platz verteidigen. Wenn dir jemand im vorbeigehen ins Gesicht rotzt, kannst du auch einfach mal zurückschlagen.
Ein Pazifist bist du also nicht?
Ich bin kein Pazifist, nein. Ich bin Gutmensch. Ich bin nicht dafür, dass niemals Gewalt angewendet wird. Ich bin Gutmensch, das heißt, dass ich mir Mühe gebe, korrekt zu sein, aber ich plädiere auf jeden Fall nicht für Wehrlosigkeit. Man muss nicht schlagen, man kann das auch anders lösen, aber wenn man zum Beispiel begrapscht wird, ist Schlagen mega legitim. Sofort auf die Fresse, dann merken sie sich’s! Ich bin selber oft genug verprügelt worden, um zu wissen, wie ekelhaft das ist, wenn Leute nicht die persönlichen Grenzen respektieren. Da werde ich sehr wütend. Pazifismus ist ein hehres Ziel, aber Auschwitz wurde auch nicht ohne Gewalt befreit. Pazifismus wird auch gerne als Feigenblatt genutzt. So nach dem Motto: Die Antifa ist genauso scheiße wie die Nazis. Nein, ist sie nicht. Die Antifa tötet fast nie jemanden, eigentlich gar nicht, sie schützt Menschen, die wegen ihrer Hautfarbe oder Sexualität angegriffen werden. Die Nazis bringen Leute um, weil sie die hassen.
Die Antifa gäbe es ja auch gar nicht, wenn es keine Faschisten gäbe. Die ist ja eine Reaktion auf ein bestehendes Problem.
Genau. Und da bin ich auch der Meinung, dass Gewalt eine Option sein muss. Wenn man Gewalt nicht mal androhen kann, kommen eben die Nazis und schlagen alle tot. Und das ist real – am 1. Mai haben Nazis in Halle Leute verprügelt, die gerade zum Grillen gegangen sind. Mit Eisenstangen und Totschlägern. Und da kannst du nicht diskutieren. Die Gewaltdebatte ist natürlich schwierig. Da kann man schnell falsch verstanden werden, vor allem von Leuten, die noch nie betroffen waren. Das rappe ich ja auch: „Du bist schwer empört, weil du noch nie von Nazis gejagt worden bist, weil dein Vater nicht bei einem Anschlag des NSU gestorben ist“. Ich habe zwar schon Morddrohungen bekommen, aber Leute, die tagtäglich mit Rassismus zu tun haben oder Polizeigewalt ausgesetzt sind, erleben das alles nochmal auf einem ganz anderen Level. Deshalb denke ich, als jemand, der von Rassismus nicht betroffen ist, ist es meine Pflicht, diese etwas besseres Position auszunützen, um mich darum zu kümmern, dass es weniger Scheiße gibt.
Wie viel Wirkungsmächtigkeit schreibst du der Musik da zu?
Das ist schon eher atmosphärisch. Da braucht es noch ganz viele andere Sachen, die Musik allein ist es nicht. Ich mach Musik aus künstlerischen Motiven und weil ich Rap und HipHop liebe. Ich benutze nicht die Musik als Instrument, um eine Agenda rüber zu bringen. Ich bin ein Mensch, der politisch denkt, aber nicht nur und ausschließlich, ich mache ja auch manchmal Quatschmusik. Es geht mir einfach darum, mich auszudrücken. Außerdem: Wenn es in den Dörfern nur Nazi-Angebote gibt, ist ja klar, dass alle Jugendlichen das toll finden. Die Nazis helfen ihnen ja und kommen auf sie zu. Da muss es einfach auch andere Sachen geben, und meine Musik kann ein Teil davon sein.