Sentence

rap.de: Als dein letztes Album erschien, war ja gerade die Spitter-Hochzeit. Heute ist diese Art von Rap fast nicht mehr vorhanden.

Sentence: Ich habe neulich bei Rap Am Mittwoch in irgendeine Kamera aus Spaß reingespittet und genau diesen 2005-Flow benutzt, weil ich's einfach witzig fand. "Kuck, ich komm jetzt hier rein/ scheine am Mic/ so wie die Sonne, die scheint/ yeah/ ich komme mit Scheinen/ und komm nicht allein/ denn/ ich komm mit mehreren Scheinen" – einfach irgendeinen Blödsinn gerappt. Die haben es halt voll gefeiert. Es hat sich um uns eine Traube gebildet und auf einmal fingen alle an mit "Dschia" – das war auf jeden Fall lustig. Ich rappe ja überhaupt nicht mehr so, mich turnt das auch total ab. Deswegen habe ich auch Money Boy und die ganzen Leute in Interviews gedisst, weil ich das total scheiße finde. Das ist einfach zu spät, Alter. Es ist auch mal Zeit für was Neues. Ich kann auch diesen Drake-Style nicht mehr hören, das ist total played out. Das nächste Ding für mich ist einfach, weg von den ganzen Gimmicks, weg von den Trends, weg von dem, was die Amis gerade machen. Einfach nur echten Berliner HipHop mit krassen Reimen. Berliner HipHop im Sinne von Berlin im Geist – egal, wo ich auf der Welt bin, bin ich immer Berliner. Kennedy-mäßig.

rap.de: Sogar noch mehr, denn du bist ja hier geboren.

Sentence: Genau, gebürtiger Ost-Berliner. Aufgewachsen in Lichtenberg und Pankow. Das wurde in meinen Texten bisher zu wenig representet. Es ist auf jeden Fall an der Zeit, das auch mal zu sagen. Ich habe früher auch mal in Karlshorst gewohnt. Solche Fragen stellt mir halt auch keiner. Was hast du eigentlich in der Schule gemacht? Hast du oft die Schule gewechselt? Ja, habe ich, ich habe die Schule fünf Mal gewechselt, habe mich mit den Lehrern gebeeft. Diese Sachen werden dann auf "Wilder Osten" erzählt. Ich habe in meiner Musik bisher viel zu wenig darüber geredet, wie es zum Beispiel war, als 1991 die Skinheads auf der S-Bahn-Überführung "Sieg Heil, Sieg Heil" geschrien haben und ich am Fenster stand. Die wussten genau, da wohnen die Polacken. "Wilder Osten" ist ja nicht unbedingt Polen, das kann ich jetzt ja mal sagen, "Wilder Osten" geht halt richtig in diese Richtung, das alles aufzuarbeiten, wie das damals war, DDR. Hat keiner drüber gerappt, hat keiner richtig rübergebracht, außer Joe Rilla. Riesenrespekt für sein Schaffen. Unzerstörbarer Typ. Panzer. Der erste richtig krasse Ossi. Ich fand es zwar von Sido cool, dass er es irgendwann gesagt hat, aber uncool, dass er sich davor dafür geschämt hat.

rap.de: Was hast du denn von der DDR noch mitbekommen?

Sentence: Als kleiner Junge? Ich war mit sieben Jahren schon ein sehr aufgewecktes Kind. Ich erinnere mich, als Dreijähriger im Kindergarten die Treppe hoch zulaufen und ich erinnere mich daran, auf PVC-Böden zu fallen, ich erinnere mich an kalten Pfefferminzteee aus blauen Bechern und Schmalzstullen aus Mischbrot. An Kaufhallen. Ich erinnere mich an verdammt viel. Ich war wie gesagt sehr aufgeweckt. Mit drei, vier Jahren habe ich die Wände in meinem Kinderzimmer voll gemalt, meine Mutter hat das dokumentiert.

rap.de: Schon damals hattest du also das Bedürfnis, kreativ zu sein?

Sentence: Naja, der Kampf, den ich im HipHop habe, den hatte ich auch schon in den Schulen und in den Freundeskreisen. Das Problem ist einfach, wenn man ein verdammter, wahnsinniger, hochintelligenter Typ ist und das schon seit seiner frühesten Kindheit weiß, weil die anderen Kinder keine Gesprächspartner sind und man mit Erwachsenen spricht, als Dreijähriger seine Tante, die Wissenschaftlerin ist, fragt, wo die Dinosaurier hin sind, warum die nicht mehr hier sind – das ist ein Problem, ein Dilemma. Das ist ein Bewusstsein, das ich habe, als ob es aus einem anderen Leben kommt. Ich bin sowieso sehr an spirituellen Sachen interessiert, mich würde mal interessieren, warum es Kinder gibt, die solche Ideen haben. Ich habe gelesen, dass es in England so einen kleinen Jungen gab, der gesagt hat, ich muss in die und die Stadt, denn dort bin ich gestorben. Überkrass. Ich versuche, mich damit auseinanderzusetzen. Ich denke, wir als Menschen sind alle miteinander verbunden. Die einen haben halt ein krasses Bewusstsein dafür, die anderen ein viel kleineres. Wenn du weird bist, wenn du merkwürdig bist und dieses Bewusstsein in dir hast, dass du anders bist, empfindest du die Dinger viel intensiver. Weil du seit frühester Kindheit krass ausgeprägte Antennen hast. Die Welt da draußen versucht die ganze Zeit, dich abzuschneiden. Und du fängst an, nicht mehr du selber zu sein, weil du Angst hast vor dieser Welt. Weil du deine Umgebung so krass empfindest. Und HipHop als derart kompetitive Kultur, als Wettkampfsport, wo Neid und Hass so ein großer Faktor sind, an der so viele unzufriedene Menschen teilhaben und ihr unzufriedenes Leben zelebrieren und sich auskacken auf die Welt, das ist dann schon extrem, Alter. Für so einen Typen wie mich, für so einen Weirdo, ist es jedenfalls extrem.

rap.de: Du meinst, das war eigentlich die Ursache, warum du immer wieder zwischen die Fronten geraten bist und angefeindet wurdest?

Sentence: Irgendwann fragt man sich ja, warum man immer überall angeeckt ist. Wahrscheinlich, weil es wenig Leute gibt, die so sind wie man selber. Oder wenige Leute geben es zu. Vielleicht passen die sich auch einfach nur besser an.

rap.de: Denkst du nicht, dass alle talentierten Leute diese große Sensibilität haben?

Sentence: Doch, das denke ich schon. Und das soll auch gar nicht arrogant klingen. Vielleicht mache ich ja auch die falsche Musik. Vielleicht bin ich in der falschen Szene oder im falschen Land. Aber es gibt so viele Typen, die ich verstehe, aber so wenige in meinem Beruf.