Savas ist heute ein konservativer Rapper. Einer, der bewahren statt zerstören will. Einer, der experimentelle Genre-Crossovers oder allzu phantasiereiche Räuberpistolen aus Prinzip ablehnt. Aber eben auch jemand, der niemals seinen Arsch verkaufen würde. Ein Peter-Maffay-Feature oder einen Gastauftritt beim „Promi-Dinner“ haben wir von Essah nicht zu befürchten – und das ist dann auch mal gut so. Nun ist es freilich auch nicht so, dass sich der Rapper Kool Savas gar nicht verändert hätte. Und das ist auch genau das Problem, welches Sava? Yurderi seit seinem großen Durchbruch mit sich herumschleppt: Seine treuesten Fans, zu denen auch so ziemlich jeder meinungsmachende Rap-Schreiberling in Deutschland gehört, fanden seine alten Sachen irgendwie geiler.
Es wäre natürlich eher unangebracht, von einem gereiften Mittdreißiger zu verlangen, jetzt mal bitte wieder auf rumpeligen Vierspurbeats über Fotzen und schwule Whack MCs zu referieren. Aber dennoch wird diese Phase zwischen „L.M.S.“ und „NLP“ immer noch als goldene Ära der Savas’schen Schaffenskraft wahrgenommen, wodurch sich bei vielen alteingesessenen Heads mit jedem neuen Release die selbe Enttäuschung einstellt: Hm. Wieder nicht wie die alten Sachen. Klar, das ist unfair, zumal die alte KKS-Formel im Jahr 2011 auch gar nicht mehr so funktionieren würde wie damals – neben seiner technischen Virtuosität hat der frühe Savas eben auch von seinem Schockfaktor gelebt. Schock ist aber nun mal kein Dauerzustand – sonst wird’s pathologisch. So heißt es heute statt „Lutsch mein‘ Schwanz“ eben „Last Man Standing“.
Der Kool Savas der Jetztzeit muss sich nicht mehr aggressiv sein Territorium erkämpfen. Der Claim ist längst abgesteckt, und er ist verdammt riesig. Er muss nicht mehr einen anarchischen Angriffskrieg gegen das Rap-Establishment führen. Diesen Kampf hat Savas längst gewonnen und ist dadurch, Segen oder Fluch aller Revolutionäre, selbst Establishment geworden. „Aura“ ist dann auch mehr ein Verwalten des Throns als alles andere. Es ist das Zelebrieren der Vormachtstellung, der technischen Überlegenheit, der eigenen Langlebigkeit im Haifischbecken HipHop. Das alles geschieht natürlich auf gewohnt beeindruckende Art und Weise, untermalt von epischen Beats. Aber gleichzeitig ist es eben auch ein bisschen kühl.
Savas inszeniert sich als „Der letzte meiner Gattung“, der das Schwert aus dem Stein zieht, über Wasser läuft und „Kriege gegen Brüder“ überstanden hat. Mit „dem Mic in der Hand“ steht S-A-V „an vorderster Front“ und lässt nicht zu, dass die anderen, die Bösen über HipHop triumphieren. Viele der zwölf Songs haben genau diese Thematik zum Inhalt. Das mag eintönig klingen, ist aber durchaus so beabsichtigt. Denn durch die inhaltliche Reduktion achtet der Hörer automatisch stärker auf die Technik, die nun einmal Essahs größte Stärke ist. Abrupte Flow-Wechsel, schnelle Tempo-Variationen, durchgeknallte Reimschemata – alles da. Und es ist eine wahre Freude zuzuhören, wie sich Savas einen abstylet.
Dass die Punchline-Dichte im Vergleich zum Frühwerk merklich zurückgegangen ist, fällt da gar nicht mal so sehr auf. Denn eigentlich ist „Aura“ beinahe ein Instrumental-Album, vergleichbar mit alten Alben von John Coltrane oder Jimi Hendrix. Was Savas genau auf dieser Platte sagt, ist gar nicht so relevant; wichtig ist vor allem, wie er es sagt. Savas‚ Flow wird auf „Aura“ zum Instrument. In den stärksten Momenten klingt das dann epochal und stimmungsvoll wie auf dem Titeltrack „Aura“ oder dreckig und hungrig wie im Streetvideo „Optimale Nutzung unserer Ressourcen“. Gerade auf letzterem sowie auf dem energetischen „Stampf“ lässt Essah dann nochmal den jungen, wütenden Spitter raus, der mit Schimpfwörtern um sich wirft, Emos den Tod wünscht und gegen den ein oder anderen Kollegen schießt: „Lieber toter Rapper als lebender Singer/Songwriter.“
Klar, ab und an, wünscht man sich schon während des Albums, dass Savas mehr als eine bloße Demonstration seines technischen Könnens anböte. Die Kunstfigur Kool Savas lässt weiterhin nur wenige Einblicke in ihr Privatleben, ihre Gefühlswelt oder ihre politische Weltanschauung zu – wenn überhaupt, dann geschieht dies über kurze Referenzen in den Battle-Lyrics. Auf „Aura“ bricht Essah diesen Grundsatz zwar ein wenig auf, der im Vorfeld des Albums öfter mal gefallene Slogan „Sein persönlichstes Album!“ versprach aber doch ein wenig mehr, als „Aura“ dann letztendlich hält. In der Praxis bedeutet das nämlich einen Track wie „Die Stimme“, wo Savas davon berichtet, wie er am Anfang seine hohe Stimme hasste, sie aber langsam zu akzeptieren lernte: „Ich dachte, das wär ’ne Schwäche die mich bremst / Heute seh ich diese Stimme als Geschenk.“ Eine interessante Geschichte, klar, aber unfassbar persönlich ist das nicht.
Richtig stark ist hingegen „Nichts bleibt mehr“, eine wahnsinnig-poetische Metapher für gewaltlosen Widerstand und die Kraft des Wortes. Savas trägt ordentlich dick auf, mit dem Scala Chor im Refrain und einem politischen Gedicht vom eigenen Vater im Intro – aber es funktioniert zu einhundert Prozent. Nicht zuletzt liegt das natürlich an Savas selbst, der die Strophen mit kraftvollen, unkitschigen Bildern füllt: „Lass sie den Himmel zum Brennen bringen, die Erde teilen / Sie verlieren trotzdem, weil ein Gedanke nicht sterben kann.“ „Nie mehr Gehen“ hingegen hat eine eher dämliche Hook, setzt sich aber äußerst intelligent mit dem großen Themenkomplex der Vergänglichkeit auseinander: „Es stimmt, Märtyrer geraten in Vergessenheit /merkwürdig, aber ich fühl mich unsterblich, wenn ich Texte schreib.“ Vanitas mundi im Rap-Game.
„Aura“ ist also ziemlich genau das, was es verspricht: Ein über weite Strecken schnörkelloses Album, auf dem Kool Savas seine überragenden Fertigkeiten am Mic demonstriert. Eine Werkschau dessen, was das Modell S-A-V so alles unter der Haube hat. Der 36-Jährige beschränkt sich auf seine Kernkompetenzen. Allerdings wäre es ab und an schon cool, auch mal wieder eine Geschichte erzählt zu bekommen. Oder ein anderes Gefühl außer Selbstsicherheit zu spüren. Aber dafür gibt’s ja jetzt diese weibischen Röhrenhosen-Typen.