Sammelreview – Lisa bespricht deutschen Rap

Ich hätte durchaus andere Dinge zu tun gehabt, meine Steuerklärung zum Beispiel. Oder mir elementare Fragen über das Leben als solches stellen, während ich willkürlich aus „Der Alchimist“ von Paulo Coelho zitiere, um mich intellektuell und belesen zu fühlen. Aber manchmal kommt es dann doch über einen, dieser dringende Wunsch, dieses sehr optimistische Vorhaben, sich mal wieder reinzuhören in das, was momentan in Rapdeutschland so geht. Also habe ich mich kopfüber in das riesige Loch in der Mitte der rap.de-Redaktion geworfen, in der die Flut aus eingesandten CDs aufstrebender Jungmusiker und verzweifelter, Möbelhäuser eröffnender Ex-Legenden aufbewahrt wird, und dort ein paar Wochen zugebracht. Am Ende dieser spirituellen Reise kam ich mit vier CDs zurück an die Oberfläche. Und die hören wir jetzt.

Die JungenZ von den Illzkillz sind allein aufgrund ihrer krehsi abwechselnden Groß- und Kleinschreibweise (Aykey, Zdeb ZeD, FlyZe, JueL und andere, die womöglich nicht mehr mit aufs Cover gepasst haben) absolute Kinder der Facebook/Jappy-Generation. Was sie nicht davon abhält, HipHop zu leben und ihre „Tapes“ (egal ob CD oder nicht, alles was true und real Rap ist, ist ein Tape und hat deshalb, wie vorliegendes Release, eine A- und eine B-Seite.) auf Festivals zu verteilen. Man möge mir verzeihen, dass ich keine Ahnung habe, welche der Stimmen zu wem gehört, aber folgendes lässt sich definitiv feststellen: Alle klingen so, als hätte man sie schon mal gehört. Tatsächlich muss es sich um eine Alltime-Supergroup halten. Unter anderem dabei: Maxim von K.I.Z., D-Flame, der uneheliche Sohn von Medizinmann und Basstard und jemand aus dem Nachmittagsprogramm von QVC, der in gefühlt ungefähr jedem Track sagt, auf welchem Label dieses Machwerk erschienen ist (Waia Records). Trotz der Tatsache, dass die vier Görlitzer einen weder sonderlich überraschen noch unterhalten noch sonst irgendwie aus dem herausstechen, was andere Nachwuchskünstler im Wochentakt auf den Markt werfen – wirklich schlecht ist die Platte, deren Namen ich aufgrund der sehr hiphoppigen Typographie leider nicht entziffern kann, nicht. Da wird in den meisten Fällen durchaus solide auf durchaus solide Beats gerappt. Das mag die Truppe auf Jams in und um Görlitz zweifelsohne zu Lokalheoen machen, außerhalb des magischen Dunstkreises aus Familie, Freunden, Verwandten und Bekannten erinnert sich an „durchaus solide“ Rapper nur leider kein Mensch.

Die nächsten Herren stammen auch aus dem Osten, nennen sich selbst die Phalluskinder und erregen zumindest durch den Titel „Zwei gelbe Gummihandschuhe und ein Eimer Vaseline“ schon einmal mehr Grundinteresse als ihre Görlitzer Kollegen. Auch das „Konzept“ ist gelinde gesagt ungewöhnlich: Oldschoolig-anmutende Beats mit Scratches (ich liebe Scratches) und darüber Raps, die in ihren Glanzmomenten an die „Menschenfeind“-
EP von Hollywood Hank und JAW erinnern. Im Detail sicherlich noch erheblich ausbaufähig, ansonsten aber absolut erfrischend. Von den Dresdnern darf man in Zukunft ruhig noch mehr hören. Dann aber bitte mit höherer Punchline-Dichte und der ein oder anderen Betonungs-Variation im Vortrag. Danke.

Moe2mee hat einen ziemlich beschissenen Künstlernamen und auf seinem Cover beisst er sich auf die Lippen. Rapper machen sehr oft was mit ihren Lippen auf Fotos, weil ihnen irgendjemand mal gesagt haben muss, dass man damit sehr frech und keck, aber auch verführerisch und aufregend aussieht. Derjenige hat gelogen. Produziert wurde die gesamte Platte von Provo und liegt soundtechnisch zwischen Black Music-Special in der Großraumdisko und irgendwas mit Crunk. Wobei das womöglich auch einfach dasselbe ist. Da werden Frauen im Club aufgerissen, „Unser Pflaster“ berappt und auch ganz furchtbar gesungen. Im Idealfall ist das noch ansatzweise hörbar, größtenteils aber einfach unerträglich, was mitunter an der in Intonation und Klang sehr unsteten Stimme des Interpreten liegt. An der ein oder anderen Stelle habe ich mich dann auch ernsthaft gefragt, ob das ein ironisch aufgezogenes Selbstverarschungsprojekt ist, das mit fortschreitender Laufzeit immer absurder, klischeebehafteter und ausgelutschter wird. Vielleicht gehöre ich aber auch nicht zur Swagger-meets-Heckscheiben-Sinnspruch („Carpe Diem“) Zielgruppe und fühle den Scheiß deshalb nicht.

Exzem wiederum ist ein junger Mann, der auf seinem Cover Äste auf den Rücken geschnallt hat und wahlweise Blair Witch Project oder einem Bio-Supermarkt in Friedrichshain entsprungen zu sein scheint. Das Booklet löst dann die Frage nach den Zweigen: Er schnitzt sich daraus Stifte, um seine Texte zu schreiben. Warum das Album dann aber „Schreibmaschine“ heißt, bleibt ungeklärt. Nach eigenen Worten ist der junge Mann „hier, um ganz Rapdeutschland die Hand zu geben“ und genau so klingt auch die gesamte Platte. Bisschen soulig, bisschen Deutschrap wie früher, als sich noch alle lieb hatten und geraucht statt gezogen haben. Exzem rappt entspannt über Themen, die ungefähr jeden jungen, HipHop-affinen Mann in Deutschland betreffen und irgendwann hört man auf, ihm zuzuhören. Das ist alles so stimmig und beruhigend und einschläfernd, dass ich Bilder von einem lauschigen Lagerfeuer in meinem Kopf habe. Und irgendjemand hat natürlich eine Gitarre und dann singen alle. Ob man das jetzt auf Plattenlänge langweilig oder auch einfach nur schön findet, ist dann jedem selbst überlassen. Sollte ich irgendwann mit dem Kiffen anfangen oder den Jakobsweg beschreiten, kommt dieses Album in jedem Fall mit in den, genau, Rucksack.

Immerhin kann man festhalten: Deutschrap hat auch 2011 nicht an Facettenreichtum verloren. Egal, ob man im tiefergelegten Dreier Golf durch sein Dorf heizt, jeden Abend eine andere Frau abschleppt oder sich im Frieden mit sich selbst und der Welt befindet, die HipHop-Kultur lebt und Vinyls statt MP3s sammelt: Es findet sich für jeden die passende Platte und das ist dann doch auch irgendwie… schön. One Love, Peace Out.