Blumio – Tokio Bordell

Blumio? “Der hat voll keinen guten Flow. Ich klatsch diesen Opfa weg, der is’ voll der Hurensohn.“ Sätze wie diese, könnten wohl einigen Gangsterrappern oder deren Fans salopp über die Lippen kommen, wenn sie an den Düsseldorfer Rapper, mit den kindisch anmutenden Flows, Beats und Texten denken. Aber nicht so voreilig. Ist harter “In-die-Fresse-Rap“ wirklich immer besser als softe, deepe Texte auf  abgefreakten Beats?
Auf “Ich Bin Doch Gar Kein Hurensohn“ dreht der Japaner mit dem Irokesen den Spieß kurzerhand um und versucht sich eben jener Frage und den damit verbundenen Vorurteilen mit Wortgewandtheit und etwas Ironie zu erwehren.
Was für viele unfassbar ist, aber es ist so, ’erstaunlicherweise’ hat Blumio genau dieselben Sorgen, Nöte und (Zukunfts)-ängste wie jeder andere Mensch auf der Welt auch. Vieles von dem, was der 25-Jährige aus seinem Leben berichtet, haben andere Rapper ebenso vor ihm erlebt, nur verpackt es Blumio in Smiley-Geschenkpapier mit bunten Schleifen und Rüschen. Bestes Beispiel dafür ist “Grenzenlos“, das ähnlich wie “Rhythmus Meines Lebens“ von Kool Savas das Schlafen im Tourbus und Gedankenmachen während der Fahrt, sowie das Kribbeln vor dem Aufritt beschreibt.
Klick, Klick, Klick“. Blumi’s erste Single “Eberhard“ befasst sich mit Problemen, die die Technik des 21. Jahrhunderts, genauer gesagt das Internet, mit sich bringt. Auf einem flockigen, zum Thema passendem Beat erzählt der sympathische Düsseldorfer von einem schiefgelaufenem Flirtversuch. “Eberhard“ wirkt wie eine Unterrichtsstunde, in der Blumio Heranwachsenden mit erhobenem Zeigefinger den richtigen Umgang mit dem World Wide Web  zu erklären  versucht. Zusammen mit dem dazugehörigen Video hat man einen guten Vorgeschmack auf das, was einen auf “Tokio Bordell“ so alles erwartet.
Hab keine Angst“ ist Konzeptionskunst auf höchstem Niveau. Dieses Stück spiegelt die technische Finesse Blumio’s wider, die er auf dem ganzen Album kontinuierlich fortsetzt. Der Sonnenscheinrapper erzeugt Gänsehautfeeling auf einem angenehm anzuhörenden Schlagzeug-Beat. Wegen fiktiver Geschichten, wie dieser ’verdient’ sich Blumio nach und nach den Titel Studentenrapper, ob er will oder nicht. Ohnehin fällt es nicht schwer sich  vorzustellen, dass Blumio’s Zielgruppe nicht aus typischen Bushido-, oder Orgihörern besteht.
Der Track “Für Immer Mamas Liebling“ ist die obligatorische Liebeserklärung an Mama, die, wie so oft, immer an ihren Sohn glaubt, auch wenn es kein anderer macht, nicht mal der Sohnemann selbst.
Blumio kämpft auf einem Beat, den man als asiatisch bezeichnen könnte, gegen Alkoholismus und das japanische Traditionsbewusstsein und lässt mit viel Persönlichem tief blicken. Mit solch offenherzigen Stücken arbeitet Blumio Geschichte auf und ist obendrein auch noch gegen Hater gefeit. Auf den Versuch derartige Tiefgründigkeit mit dem “Schwul-Stempel“ zu entwürdigen, kann man nur unbeeindruckt mit den Schultern zucken.
Featuretechnisch hat Blumio leider immer noch keine Freunde gefunden und mimt ein wenig das Kind, das alleine im Buddelkasten mit Förmchen spielen muss. Lediglich die attraktive Jessica Jean, die man schon aus dem zweiten Video “Intro“ kennt, ist auf vier Stücken vertreten. Bei jedem dieser Lieder ist sie allerdings nur für den Refrain verantwortlich. Dieser Aufgabe wird sie gerade so gerecht. Die beiden Skits “Onkel Blumio“ und “Funkyzeit“ sind typisch Blumio und könnten vom Stil auch aus “Yellow Album“ stammen.
In zweierlei Hinsicht lassen sich die Stücke von Konzeptionskünstler Blumio mit der Zeichentrickserie “Die Simpsons“ vergleichen. Erstens hat es den Anschein, als seien die kunterbunten Geschichten in Blumios Liedern wie für Kinder geschaffen, haben aber meist eine ernste, anspruchsvolle Kernaussage, die Kinder oft gar nicht zu verstehen in der Lage sind. Und zweitens wird einem als Hörer oft erst am Ende des Tracks/der Episode klar, wo genau die Reise hingeht und was die Quintessenz aus dem gerade behandelten Thema ist.Inhaltlich hält “Tokio Bordell“ also unfassbar viel bereit. Dieses Album kommt oft wie ein kleiner Lebensratgeber daher, aus dem wirklich jeder etwas für sich mitnehmen kann, wenn man nur bereit ist über seinen Schatten zu springen, um etwas Neues zu erleben, Toleranz zeigt und sich etwas Zeit nimmt, um zu verstehen.
Zwischen seinem ersten Album “Yellow Album“ und “Tokio Bordell“ gibt es massig Parallelen, sowohl auf thematischer, als auch auf methodischer Ebene. Nur ist der zweite Wurf, trotz gleich gebliebenem Produzenten, Don Tone, noch wesentlich besser hörbar und „Tokio Bordell“ somit ein perfekter, sich in der Gesamtleistung gesteigerter,  Nachfolder zum Debutalbum.