Soprano – De puisqu’il faut vivre à la Colombe

Obwohl sie den „zweitstärksten Hip Hop Markt der Welt“ anführt und Europas erfolgreichstes Rap-Land repräsentiert, ist die französische Rapszene in Deutschland kaum Thema. Gerade mal Booba oder Sefyu sind dem ein oder anderen Durchschnittshörer ein Begriff. Doch selbst La Fouine, oder eben Soprano, um dessen Mixtape es hier geht, sind der Mehrzahl der deutschen Rapkonsumenten weitgehend unbekannt, obwohl sie in ihrem Heimatland ganze Stadien zu füllen vermögen, und das ist nicht übertrieben.Gerade Soprano weiß diesbezüglich genau, was er tut und hat den Ruf weg, kochende Liveshows auf die Bühnenbretter zu zaubern.
Als Said M’Roumbaba in Marseille geboren, bringt der 31 jährige seit nun mehr sechs Jahren genau den Sound, den Frankreichs Hauptstadt des Verbrechens augenscheinlich verdient. Seine Tracks „M.A.R.S.“ und „Halla Halla“ sind mittlerweile Klassiker des Genres und funktionieren eben auch als Livebomben.

De puisqu’il faut vivre à la Colombe“ bedeutet übersetzt etwa „Seit dem man in der Taube leben muss„, wobei „La Colombe“ wahrscheinlich einen unfassbar kredibilen Slangausdruck für eine Gegend oder Straße darstellt und man sofort zwei Schüsse in die Kniescheiben kassiert, wenn man nach dessen wahrer Bedeutung fragt, denn so geht es schließlich ab in der Banlieue.
La Colombe“ heißt außerdem das kommende Album des Street Skillz Labelführers und als naiver Gutmensch hofft man so ein bisschen, dass der Gedanke dahinter die frohe Botschaft der Hoffnung für die Bewohner des Marseiller Ghettos ist. So Wie es die Taube es für den alten Noah war, obwohl es wahrscheinlich irgendetwas mit schmutzigem Heroin zu tun hat.

Das uns vorliegende Mixtape beinhaltet also die Tracks zwischen dem alten und dem neuen Album, 33 Titel an der Zahl, wobei es sich bei den meisten um bereits veröffentlichte Tracks handelt und nur sieben komplett neue Anspielpunkte vorzufinden sind.
Da kommt es dann auch schon mal vor, dass ein Stück wie „La Faim“ einfach mal nur 25 Sekunden lang ist, oder der bereits erwähnte Banger „Hala Hala“ sich nicht länger als 44 Sekunden hören lässt.
Was das genau soll, weiß man nicht und ein paar Lieder weniger, bekannt oder noch nicht, hätten es sicherlich auch getan.

Denn selbst die neuen Hits wie „Darwa“ sind zweifelsohne gut und funktionieren live bestimmt einwandfrei, erinnern aber zu stark an Lieder von vergangenen Alben, ohne deren Feuer so richtig einzufangen. Auch unangenehm peinliche Einstiegshooks wie bei „Ca Fait Mal„, in denen ein besonders cooles „Get crunk in the club!“ reingesamplet wird, zusammen mit dem Rumgeblöke von Lil Jon, sind absolut nicht nötig und auch längst nicht mehr zeitgemäß.
Abgesehen vom Anfang aber ist der Track absolut eingängig und mit einer geilen Hook versehen, in der in Verstärkung von La Fouine und Sefyu schmunzelnd darüber gerappt wird, dass es nun mal weh tut, wenn einen der beste Freund fickt, man von sechs Gegnern in die Ecke gedrängt oder von den Bullen hochgenommen wird.
Ton meilleur pote t’a boucave, ça fait mal, ça fait mal,
Ils sont 6, t’es dans la cave, ça fait mal, ça fait mal,
Quand les keufs te soulèvent, ça fait mal, ça fait mal,
Il t’en reste un peu sur les lèvres, ça fait mal, ça fait mal!

Ein weiteres Highlight auf der Platte stellt definitiv der Titel „Inaya“ für Sopranos Tochter dar. Hier entfaltet sich einmal mehr die zweite große Stärke des MCs, einem Bilder im Kopf zu malen und berührende Texte zu schreiben. So fragt der sympathische Vater sich, wie er seinem Kind nur seine Liebe verdeutlichen soll, versucht Worte zu finden und beschreibt einen ganzen Part lang einfach nur die Kleinigkeiten, die er an seinem Nachwuchs so liebt, in dem er für jeden Ausdruck eine Metapher sucht:
Ton visage mon plus beau paysage, ton regard mon plus beau voyage,
Tes p’tites mains mes plus belles caresses, tes p’tites joues l’endroit préféré de mes lèvres,
Donc fini les SOS, comment te l’expliquer?
Oui tu es pour moi, celle qui réussit à soigner mes plaies!

Das alles über einen langsamen Gitarrenbeat, während ein halb eingeblendeter Konzertmitschnitt von laut mitsingendem Publikum das Lied intensiviert und es trotz leichtem Kitsch absolut authentisch macht.

Dennoch gibt es einen deutlichen Störfaktor, der auf dieser Platte sehr gut zusammen gefasst ist und sinnbildlich für die gesamte Entwicklung des Mainstreamraps aus der ehemaligen Kolonialmacht steht: Hatte man noch vor drei Jahren das Gefühl, der französische Hip Hop feiere sich selbst zu hart, um einen auf Dipset zu machen, nerven einen immer öfter eins zu eins kopierte Dirty South Beats und Plastikhooks. Ähnlich verhält es sich mit dem maßlosen Einsatz von Autotune an Stellen, bei denen der Effekt beim besten Willen deplatziert wirkt. So auch bei Soprano.
Man hat oft das Gefühl, ihm läge alles daran, Marseille wie ein zweites Atlanta wirken zu lassen und nervt teilweise mit übertriebenem Snaregeballere und Plastikmelodien, in einer Art, in der selbst die hängen gebliebensten Amis schon seit Jahren nicht mehr produzieren. Das ist dann wirklich peinlich, zumal der Rapper selbst über eine ziemlich saubere Singstimme verfügt und er zusätzlich einer der besten Techniker des Landes ist. Allein der gesungene Doubletime „Dans Nos Quartiers Nord“ ist mehr als gelungen und kommt zurecht auch völlig ohne Stimmenverzerrer aus.

Abgesehen davon ist „De puisqu’il faut vivre à la Colombe“ aber ein gutes Stück Musik, ideal um es laut im Auto laufen zu lassen. Textlich ist das Mixtape durchaus überdurchschnittlich, doch so richtig gespannt aufs kommende Album macht irgendwie nicht.
Trotzdem: Wer sich mal etwas mehr mit der Hip Hop Kultur unseres Nachbarlandes auseinandersetzen will, kommt an Soprano definitiv nicht vorbei.