Nate57 – Stress Aufm Kiez

Eine Einleitung zu Nate kann man sich ja eigentlich sparen. Zuviel wurde in letzter Zeit über den 19-jährigen Hamburger in allen gängigen Hip-Hop Kanälen berichtet. An dem sympathischen Newcomer führt derzeit eben kein Weg vorbei. Da werden dann Sätze geschrieben wie: „Er bekommt Props, sogar von den erfolgreichsten deutschen Hip-Hop Größen.“, „Er ist jemand auf den sich alle einigen können.“ oder „Er ist wohl das nächste große Ding.“ Blablabla das kennen wir nun alles schon.

Die beiden Mixtapes von und mit ihm wurden gefeiert und stellten selbst bekanntere Rapper in Sachen Zuspruch aus der Szene in den Schatten. Sein Hype wurde größer und größer, sodass verrückte Youtube-Kommentatoren ihn mittlerweile gar als den deutschen Tupac feiern.
Die Erwartungen waren gewaltig und so wurde vom Debüt-Album Stress Aufm Kiez nun nicht viel weniger erwartet, als dass hier ein Klassiker kommt. Ein zeitloses Stück Rapgeschichte also.
Das ist Stress Aufm Kiez allerdings nicht. Soviel schon mal vorweg.

Wer Nates Musik kennt, der weiß: Er benutzt zwar nicht gerade die abgefahrensten Reime und auch die Vergleiche und Punchlines sind eher solide, sprich unspektakulär, aber er schafft es trotzdem wie kein anderer eindrucksvolle Bilder zu vermitteln und den Hörer zu fesseln.
Nate ist eben kein Punchline- oder Battlerapper im eigentlichen Sinne. Seine Vorzüge liegen neben seiner Stimme und seinem Flow viel mehr in einem anderen Aspekt: Er kann nachvollziehbar und glaubhaft von der Straße, speziell dem Leben auf St. Pauli, wo er aufgewachsen ist, berichten. Ghetto CNN sozusagen.

Dabei verzichtet er auf peinliche Glorifizierungen nach dem Motto „der Knast macht dich erst hart und clever“ und „Koks macht dich krass“, wie sie sonst im deutschen (Pseudo-)Gangsterrap ja Gang und Gäbe sind. Diese Art und Weise der Berichterstattung scheint Nate eher anzuwidern und auch wenn er keine Namen nennt, Zeilen wie „Aus dem Dorf ins Ghetto, was bist du für ein Knecht?“ (Nate57), „Du bist ein Lügner sag nie wieder du redest für uns! Du bringst kleine Jungs auf Koks wer hat dir den Schädel gebumst?“ („Ende“) lassen klar erkennen gegen welche Art von Rap sich sein Unmut richtet. Zu Recht.

Im Gegenteil dazu werden die Vorgänge auf den Straßen von St. Pauli von verschiedenen Seiten beleuchtet, analysiert und kommuniziert. Nate scheint es hier eher darum zu gehen den Dialog herzustellen, zu anderen Schichten und Denkweisen. Das wirkt ziemlich gut durchdacht, bodenständig, sympathisch und vernünftig.

Nates großer Hit, der das alles bündelte und in nie dagewesener Weise auf den Punkt brachte und deshalb für sich auf jeden Fall bereits ein Klassiker ist, war „Blaulicht“. Leider gibt es auf dem neuen Album keinen Track, der an „Blaulicht“ herankommt. Vielmehr erscheint Stress Aufm Kiez so, als hätte man diesen Track genommen, auseinandergezogen und in 17 neue Teile geschnitten.
So sind dann die Probleme und Sachverhalte nicht mehr schön konkret, kurz und knackig auf den Punkt gebracht, sondern werden hier in Blöcken aus jeweils drei aufeinanderfolgenden Tracks, die so ziemlich das gleiche aussagen, ausgebreitet und abgearbeitet. Das wirkt dann zuweilen ehrlich gesagt ziemlich ermüdend. Alleine eine andere Zusammenstellung der Tracks hätte da wahrscheinlich schon Wunder gewirkt.

Trotzdem aber sind die Einstellung und Gedanken, die Nate hier auf dem Album vertritt, zum Großteil nachvollziehbar. Er kritisiert vor allem den Kapitalismus, den damit einhergehenden Materialismus und den wachsenden Überwachungswahn und es ist dabei vor allem schön, dass dies nicht direkt in abstrusen Weltverschwörungstheorien und Oberlehrerhaftigkeit mündet.

Manchmal allerdings verstrickt sich der junge Nate in Übertreibungen und einseitige Darstellungen. So ist die deutsche Justiz ja nicht unbedingt dafür bekannt, die härteste der Welt zu sein und auch die Darstellung der Unterschicht in der absoluten Opferrolle finde ich problematisch, denn einen gewissen Teil Eigenverantwortung hat ja auch jeder Einzelne. Dies kommt aber in keiner Form zur Sprache.
„Zieh Dich Ab“, wo ohne einen reflektierenden Satz das Abziehen als essenzielle Fähigkeit eines richtigen Straßenjungen beschrieben wird, schießt da ebenfalls ins genaue Gegenteil. So ein Track könnte dann genauso gut auch auf jedem anderem Rap-Album zu finden sein, die Nate ansonsten doch so hasst.

Manchmal wirkt es dann auch so, als würde sich Nate aus der einstigen, umsichtigen Beobachter- und Vermittlerrolle, die er in früheren Liedern eingenommen hatte, wieder zurück in den Schoß des eigenen Lagers bewegen.
Das geht dann schon leicht in die selbstgerechte Richtung, in der man dann nur noch Musik für die eigenen  Jungs macht.
Solange dabei gute Musik rauskommt, ist das ja auch schön und gut, ABER Nate sollte aufpassen, dass er sein Riesenkapital, das ihn von allen anderen Straßenrappern unterscheidet, nicht verspielt.

Zu den Beats, die mancherorten schon heftigst kritisiert wurden, muss ich sagen, dass sie mir ganz gut und teilweise sogar sehr gut gefallen. Trotzdem mochte ich Nate auf den Oldschool Beats der Mixtapes lieber.

Auch wenn Stress Aufm Kiez definitiv nicht alles halten konnte, was es versprach, fickt dieses trotzdem noch ziemlich alles, was in den letzten Jahren unter dem Deckmantel Straßenrap herauskam.
Da Nate alles andere als dumm ist, wird er sich sicher noch sehr, sehr viel weiter entwickeln und ich bin überzeugt, dass er den verlangten Klassiker noch abliefern wird.

Wenn man bedenkt, dass der Junge aus Santa Pauli erst 19 ist, hat er dafür ja auch noch mehr als genug Zeit.