Audio88 und Yassin – Nochmal Zwei Herrengedeck, Bitte!

Nachdem Audio88 und Yassin vor einem Jahr ihr erstes Album "Zwei Herrengedeck, Bitte“ raus brachten, waren die Erwartungen, aber auch dieses klamme Angstgefühl groß. Kann man das besser machen? Wäre ja geil, aber leider folgt auf ein großartiges erstes Album lallzu oft ein eher mittelmäßiges, darauf dann ein eher schlechtes usw. usf. Gefährlich wird es auch (ja, außer Jay-Z, ja, der hat es auch gemacht) wenn man das zweite Album in Anspielung an das erste benennt, oft klingt das alles müde.

Hier aber nicht. Auf "Nochmal Zwei Herrengedeck, Bitte!“ wird die schlechte Laune des Vorgängers noch überboten, viel expliziter werden Feindbilder genannt, von Salon-Revolutionären, über geistlose Szene-Kids bis hin zu Focus-Lesern. Mit den mittig genannten geht es dann auch schon los, auf "Ihr“ spucken die beiden ihre Hasstiraden gegen minimalen Techno und dessen Anhänger. Mit Zeilen wie "Indie steht für Independence und hängt ab von dummer Scheiße“ wird ein Standpunkt festzementiert, der sich hoffentlich nicht von der "VICE“ erweichen lässt. Das wäre so schön. Feinbilder hier: Szene-Kids, Indie-Kids, Menschen mit Leggins, KAAS/Deichkind und Menschen, die "irgendwas in Medien machen“.

Auf "Lösch ein Feuer“, dem Antipoden zu "Leg’ ein Feuer“, bekommt dann die Fraktion der Champagner-Sozialisten und Pseudo-Revolutionäre ihr speckiges Fett weg. "Mit Ray-Ban und Mundschutz in die erste Reihe/ Zack de la Rocha auf dem iPod für den Pathos/“ rappt Yassin und Audio88 schafft es, sehr detailliert das Klientel, das sich auf dem Ersten Mai in Kreuzberg herumtreibt, zu beschreiben. "Ich höre nur Anticon/ Ich höre nur, wie keiner mit dem Anti-Konflikt-Team spricht/ Ich hör nur wie ein paar versprengte Spanier versuchen, zu Viva La Revolucion die passende Melodie zu finden/ Und es gelingt ihnen auch!“ Wer auf dem Ersten Mai mal ein Grüppchen betrunkener Spanier/ Lateinamerikaner beobachtet hat, wie sie mit zu großen Sonnenbrillen und Dreadlocks versuchen, die Weltrevolution zu beschwören, der wird die Beschreibungen nur zu gut verstehen. Und "welcher Hausbesetzer will schon in Eisenhüttenstadt, Cottbus oder Weißwasser leben/ Wenn man in F-Hain so schön unter sich ist.“
Der Track mit Morlockk Dilemma ist auch ganz gut, aber nicht so überragend. War schon beim ersten so, ärgert mich eigentlich, weil der gute Herr Dilemma eigentlich ein guter Rapper ist, was aber an dieser Stelle nicht unbedingt zum Tragen kommt.
"Sandy und Justin“ wird auf einem fantastischen Beat gerappt, Audio88 und Yassin rappen aus der Perspektive entnervter Problembezirks-Eltern, "Zieh die Jacke an/ Sonst schallerts gleich/ Wenn das der Papa weiß/ Dann ist Schluß mit Führerschein/ Dann kannste gucken, wie du zu deiner Freundin kommst und zum Training/ Jetzt zieh die Scheiß-Jacke an, Justin!“

Auch "Gäste WC“ featuring Retrogott bleibt hinter den Erwartungen zurück, was noch verwirrender ist, weil auch der Retrogott prinzipiell ein guter Rapper und auch der Text gut ist,  aber irgendwie…Achja, ein Afrob-Diss. "Die Finanz-Krise veranlasste Afrob dazu schwarz-gelb zu wählen/ Afrob veranlasst mich dazu/ Daran zu zweifeln, ob Afrob wirklich ein Reimemonster ist/ Oder schon im Wachkoma liegt!“

Auf "Kinderwunsch“, auf dem der eher..ähm, assoziativ agierende Lunte vorspricht, wird der Horror eines Mitte-Mütter-Daseins abgehandelt. Sonntags nicht im Atelier arbeiten müssen, selbstgedruckte T-Shirts vom "Boxi“ kaufen und dann schweigend den Kinderwagen schieben—Eindrucksvoller wurde dieses moderne Muttertum noch nie beschrieben, wenn es denn überhaupt jemals beschrieben wurde.
Das macht dann auch den Reiz des Albums aus: Die beschriebenen Situation sind detailliert ausgearbeitet und der Zynismus von Audio88 und Yassin verfällt nie in "alle Menschen in der U-Bahn sind Zombies“-Phrasen.
Die Beats sind scheppernde, schiefe Kuriositäten, die keine störende Statik oder so etwas besitzen, was trotz einiger, kleinerer Schwachstellen auch nur ein Fazit zulässt:  Großartiges Album! Wirklich!