The Clipse – Til The Casket Drops

Die beiden Mitglieder von Clipse haben sehr gute Namen. Pusha T und Malice. Die sind ziemlich asozial, haben aber einen eigenen Style. Da besteht keine Gefahr von Verwechselungen mit den typischen Mitbewerbern um die Gunst der Connoisseure moderner Mördermusik.

Clipse haben auch schon zwei sehr gute Alben gemacht, die zudem ebenfalls sehr gute Namen haben. "Lord Willin’“ und "Hell Hath No Fury“. Das passt hervorragend zu der Musik von Clipse, die zwar kaltblütig gangsta ist, gleichzeitig aber immer eine weitere Ebene enthält, sich nicht mit hysterischer Verherrlichung des Drogenhändlerlebens begnügt, sondern gleichzeitig clever mit der Kenntnis von dessen moralischer Fragwürdigkeit kokettiert.

Die Tragik von Clipse ist, dass sie trotz des überzeugenden Konzepts hinter ihrer Musik, trotz ihres unbestreitbar großen Talents, trotz der Beats der Neptunes, die ihre ersten beiden Alben komplett und auch das neue zum Großteil produziert haben, trotz der frühen Hits "Grindin’“ und "When the Last Time“, nicht besonders erfolgreich sind. Natürlich ist das relativ, denn ein Platin- und ein Goldalbum sind ja ganz ordentlich, aber dem Selbstbild von Pusha T und Malice, die sich als potentielle Superstars sehen, entspricht das, wie sie in Interviews oft genug gesagt haben, nicht so ganz. Das kann an der schwierigen Labelsituation liegen, die zu den langen Abständen zwischen den Alben und vielleicht auch zu ungenügender Promotion führte. 

Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ignoranter und gleichzeitig lyrisch anspruchsvoller Crackrap einfach nicht das ist, was das post-2000-HipHop-Publikum hören will. Für die Gucci Mane-Fans ist das zu weich, für die Kanye West-Fans ist das zu hart, um die T.I.– oder Lil Wayne-Fans zu erreichen fehlen die Pophits. Das wollen Clipse aber nicht einsehen und es diesmal besser – sprich erfolgreicher – machen. Was beim heutigen Zustand der Musikindustrie aber zum Scheitern verurteilt sein dürfte. Egal, versuchen kann man es ja mal. Zum Beispiel indem man gleich drei Videos dreht. Eins für die Hood ("Popular Demand (Popeyes)“ mit Cam’ron), eins für die Bitches ("Eyes On Me“ mit Keri Hilson), eins für alle, die schon lange auf einen Nachfolger zu "Beautiful“ warten ("I’m Good“ mit Pharrell).

Oder aber auch dadurch, dass man versucht, jeden auch nur ansatzweise potentiellen Fan/Käufer dort abzuholen, wo er sich gerade befindet und alle Geschmäcker zu befriedigen. 

"My critics finally have a verse of mine to jerk off to“ – so beendet Pusha T den ersten Part auf "Freedom“, in dem er sich ausschließlich den Schattenseiten des Lebens als D-Boy und Rapstar widmet. Malice legt anschließend entsprechend nach.

So leitet ein düsterer, introspektiver Track das Album ein. Am Ende kehren "Footsteps“ und "Life Change“ zu ähnlichen Themen zurück. Das ist also für die Anspruchsvollen, die Kritiker, die Nas-Fans. Find ich richtig scheiße. Wenn ich mich über das harte Leben der Unterschicht informieren will, guck ich lieber Frauentausch.

Für die Pop-Hörer gibt es "Eyes On Me“ und "Counseling“. Totale Grütze. Wenn sie ganz großes Glück haben, landen Clipse vielleicht einen Ringtone-Hit mit einem dieser grässlichen Songs, ihre Hardcore-Fans werden sie hoffentlich dafür hassen. Ich will jetzt nichts Gutes über die Black Eyed Peas sagen, aber die wissen wenigstens, wie man einen schönen Eurodance-Song macht. Clipse lassen sich von ihren Freunden Pharrell und Hugo ein paar total belanglose Müllbeats andrehen und halten das dann für Popmusik. Nee, Freunde, so nicht.

So, eigentlich würde ich gerne weiter meckern, weil meckern über HipHop einfach so großen Spaß  macht. Leider muss ich jetzt aber zugeben, dass es auch eine Seite dieses Albums gibt, die mir gefällt. Diese wird insbesondere durch die Songs "Popular Demand (Popeyes)“, "Kinda Like A Big Deal“, "Showing Out“, "I’m Good“ und "There Was A Murder“ repräsentiert, die sogar alle aufeinander folgen. Diese Tracks wären vor ein paar Jahren auf der Höhe der Zeit gewesen, sind jetzt allerdings schon wieder retro. Da lebt die gute alte Zeit von 2004 auf, als pinke Nachthemden und lila Pelzmäntel und Gucci-Airforce-Ones als akzeptable Bekleidung für angeblich heterosexuelle Rapper galten. Passend dazu das Feature von Cam’ron, auch wenn das mal wieder hingerotzter Quatsch ist und sicher nicht an seine Glanzzeiten anschließt. Vielleicht sollte der gute Killa mit seinem Morbus Crohn auch besser keine fettigen Fritten futtern, wie er es im Video zu "Popular Demand (Popeyes)“ tut. Aber das soll ja nicht meine Sorge sein. 

Wirklich Sorgen macht mir dagegen, dass ich an diesem Album merke, wie schnell die Zeit vergeht, und was für ein alter Sack ich bin. Tatsächlich gibt es einen nach 2000 entstandenen HipHop-Style, der schon nicht mehr aktuell ist und somit revivalt werden kann. Ist das Schrott, weil es anachronistisch ist? Nein, in einer Zeit, in der alle Stile aller Zeiten parallel existieren, ist der Vorwurf des Anachronismus selbst anachronistisch. Wenn etwas gut ist, darf man es ruhig gut nennen, auch wenn es so ähnlich schon vor fast 10 Jahren hätte rauskommen können. Und die genannten Songs finde ich wirklich gut. Nichts Neues, nichts Spektakuläres, aber gut produzierte, gut geschriebene, gut gerappte Songs in einem Stil, der fast schon wieder verschwunden war. Hör ich mir gerne an.

Dabei hab ich früher solche Musik gar nicht viel gehört. Aber jetzt fühlt sich angenehm vertraut an, was damals noch nervig war. Komische Welt.

Beste Sprüche (nicht objektiv, aber für meinen persönlichen Geschmack):

"young nigga old money – Benjamin Buttons“ – geil halbsinnvoll

"those who break the code – we digg them holes“ – Tod für alle Snitches