Man hat also ein wenig Geld für Derartiges zur Seite gelegt und das merkt man schnell. Das Artwork sieht sehr amtlich aus, das, übrigens sehr sehenswerte, Video zur Single "Stoprocent 2" hat eine super Qualität und die Musik ist sauber gemischt. Weit entfernt also vom handelsüblichen Ostblock Schwarzmarkt Produkt, vielmehr ein Album, das versucht, auf Aminiveau zu kommen.
Das ist natürlich ein ambitioniertes Ziel, aber gleichzeitig auch das zentrale Problem dieses Albums: Es fällt einem schwer, ein wirkliches Manko zu finden, zumal es aus einer Szene kommt, die jünger ist als die hiesige, alles hat irgendwie Hand und Fuß. Aber eben nicht diesen speziellen polnischen Fuß, den ich als Hand- und Fußfreund so gerne gesehen hätte. Doch dazu im Detail.
Los gehts mit der Nummer "Sabotaz", die gleich klarmacht, wie der Dirty South Hase läuft: Produzent Matheo, der alles auf "Sabotaz" geschustert hat, holt den kleinen Bruder von Rick Ross‚ "Hustelin" aus dem Keller und zu gepitcheden Stimmen und melodyne-korrigierter Hook, erzählt Sobota, dass er zwar keine Ausbildung hat, aber trotzdem klarkommt. Die zweite, ebenfalls Downsouth-mäßige Nummer "Z buta wjezdzam“ ( Arschtritt ) erinnert stark an den jederzeit gerne dämlich dreinguckenden Paul Wall. Inklusive gepitcheder Hook. Der Mensch hat einen eigentümlichen, singsangartigen Rapstyle. Er ist Taktgenau, was bis vor kurzem im Ostblock-Rap noch kein zwingendes Kriterium für einen Rapper war (Großtaten nachzuhören zB. bei Seryoga oder Edo Majka), begeisternde Flows sucht man als nur bruchstückweise polnischsprachiger Mensch jedoch vergebens.
Mit "Zycie" ( dt. "Leben" ) kommt anschließend eine Liebeserklärung ans Licht, mit melodiösem Refrain und diesmal gut passenden Singsangstrophen. Weiter geht’s, heiter durch die Stilvielfalt der Lieblingskünstler von Sobota, mit souligen Mädels als Unterstützung ("Modlitwa"), oder das Liebeslied "Byla idealew", bei dessen Autotunestrophen über 808 Drums ein beispielloser Run auf den Skipknopf folgte.
Clubbig wird bei "Tancz Glupia" den Anglizismen gefröhnt, wobei der Künstler hier deutlich besser rappt, als auf den vorherigen Tracks. Die Popsängerin Beata Andrzejewska ist Gast beim schwer oldschooligen "Ty jak ja, ja jak ty" ( "du bist wie ich, ich bin wie du" ) und auf "Dzien w dziem to samo" ( "Jeden Tag das Gleiche" ) wird über einen mächtig orchestralen Geigenbeat der alltägliche Hustle beklagt.
Einer Aufstellung von 10 Straßengeboten, inklusive einem Auftritt von Gott bei "Moj dekalog", folgt ein Track, der in drei einzeln anwählbare Parts unterteilt ist, nämlich 10. Przed,11. W trakcie und 12. Po, auf denen der Interpret eine Gangstergeschichte in drei Teilen und sehr bilderreich erzählt. Spannendes Konzept, wenn man polnisch kann.
Wirklich interessant dürfte für Viele hingegen, die bereits erwähnte Videosingle "Stoprocent 2" sein. Neben BigZ von der Eurogang aus London, Rytmus aus Slowenien, Donguralesko und Wall-E, gibt sich auch Kool Savas persönlich die Ehre. Das Video ist fett. Sehr unterhaltsam wird mit Klischees gespielt. BigZ wirkt zwischen den ganzen Hooligans völlig deplatziert und ungewollt komisch, zum Entertainmentfaktor trägt es aber auf jeden Fall bei.
Die Hook ist aus einem alten Trinkerlied und hier stimmt eigentlich alles. Man hat das Gefühl, etwas gezeigt zu bekommen, was es so noch nicht tausend mal gab. Etwas mit eigenem Charakter, hochstilisierter Asi-Hooligan-Ostblock-Sexy-Livestyle quasi. Ein bisschen Wodka, ein bisschen Kurwa und ein sehr unterhaltsames Produkt. Schade, dass das auf so vielen Tracks von "Sabotaz“ verborgen bleibt. Beim Folgesong mit Produzent Matheo am Mic ( "Rusz sie" ) zB. vermisst man Derartiges komplett.
Der Song "Stawka wieksza niz zycie" ( „Der Einsatz ist größer als das Leben“ ), der auf mich wirkt, wie viele russische Pop-Rap Songs von vor ein paar Jahren, mit Gitarre und großen Gefühlen. Es folgt der obligatorische Allstarauflauf der Stopro Rapper, der auf einen behinderten Snapbeat mit einer Chopped and Screwed-Kotzreiz-Hook daherkrüppelt. Puh.
Dann kommt aber endlich "Upic sie warto" (dt. "Saufen lohnt sich"). Ein altes polnisches Fernsehsample und ein dem Titel entsprechender Text. Alles richtig gemacht. Ich denke, hier liegt die Kurwa begraben.
Die Platte ist grundsolide, mehr als das, gerade für eine Platte aus dem Osten hervorragend gemacht. Viel Dirty South, ein bisschen NewYork, ein bisschen Lil‘ Timbopharell. Ich hätte mir aber viel mehr von den identitätsstiftenden, explizit polnischen Eigenarten gewünscht, die hin und wieder aufblitzen.
Versteht mich nicht falsch, ich möchte nicht veranlassen, dass im polnischen HipHop nur noch Akkordeon gesampled und über’s Saufen gerappt wird oder permanent Autos geklaut werden – Wir Deutschen samplen schließlich auch nicht nur Schlager, tragen Baggy-Lederhosen und rauchen Sauerkraut.
Im internationalen Vergleich aber, und etwas anderes lässt mein Wissensstand jetzt eben nicht zu, fehlt es der Platte aber an Individualität. Wäre das ein Album aus Frankreich, wo ich auch nicht viel mehr verstehen würde, würde ich sie wahrscheinlich aus dem Fenster werfen, weil sich dort ein Standart etabliert hat, der es verlangt, dass sich gute französische Rapmusik auch nach französischer Rapmusik anhören sollte. Im Hinblick darauf, dass die polnische Rapszene meines Wissens noch nicht so alt ist, komme ich aber zu dem Schluss, dass das hier gar nicht so schlecht ist. Vorsichtig würde ich sagen, die Jungs machen eine ähnliche Phase durch wie wir, als wir Freunde der Sonne, oder oben im Nauf der Big Baus waren. Spaß gemacht hat’s uns ja schließlich doch.
Wer also unbedingt mal den Lauscher über die Grenze im Osten wagen möchte, um zu sehen, wo die grade sind, dem sei dieses Album ans Herz gelegt. Für die polnische Szene hat dieses Album sicherlich große Relevanz.
Wer es nicht tun möchte, der verpasst aber auch nicht die Neuerfindung des Rades.