Razz – Das Beatboxical

Wir sitzen in einem Zirkuszelt und haben Todesangst. Draußen rast ein halber Orkan über Berlin und das Gerüst der besagten Location knarzt verdächtig. Was nach dem dramatischen Beginn eines Kinderbuchs klingt, hat aber tatsächlich mit HipHop zu tun. In der Manege befindet sich nämlich kein Elefant mit einer elfenhaften Tänzerin auf seinem Rücken, sondern die spartanische Kulisse des Beatboxicals "Razz“ und wir haben uns für gut zwei Stunden auf die unbequeme Holzbank gesetzt, um uns das ganze Mal anzugucken.

Eine musikalisch umgesetzte Geschichte, die hauptsächlich von den Beatbox-Skills der vier Akteure Phil, Kays, Rapha und Pirate lebt – irgendwie fällt es mir schwer, mir das spannend und unterhaltsam vorzustellen. Nach 90 Minuten Vorstellung plus Pause bin ich in Teilen eines Besseren belehrt, mein allererster Gedanke bestätigt sich trotzdem: Die große Schwäche des Stücks ist seine Story.

Der rote Faden des Ganzen ist die Erwachsenwerdung von Zak, der noch bei seinen Eltern lebt und zumindest anfangs absolut nicht dazu in der Lage zu sein scheint, sein Leben in geordnete Bahnen zu lenken. Im weiteren Verlauf des im Stück dargestellten Tages wird ihm aber zunehmend klar, dass es so für ihn nicht weitergehen kann und schlussendlich bekommt er natürlich einen Ausbildungsplatz und es gibt ein großes Happy End. Zwischenzeitlich passiert noch allerhand anderes, so zum Beispiel auch ein Raubüberfall, bei dem der Hauptdarsteller jede Menge absurder Gestalten kennen lernt. Bei den schnell wechselnden Szenarien geht jedoch oftmals der direkte Zusammenhang zwischen den Geschehnissen verloren, während sich an anderer Stelle Situationen bis ins Unendliche zu dehnen scheinen und man zunehmend anfängt, auf die Uhr zu gucken.

Auch den zum Teil zu gewollt witzigen und/oder jugendlich anmutenden Dialogen fehlt es an Spritzigkeit und die meisten Gags zünden nur bei den stark alkoholisierten Jungs auf der Bank hinter uns. Man wünscht sich mehr Momente wie den der U-Bahn-Fahrt, als die missgelaunte Stimme des Schaffners ertönt, der in motzigem Berlinerisch fragt, welchen Teil an "Zurück bleiben bitte“ die Passanten nicht verstanden hätten. Einfach Szenarien, die man aus dem Alltag kennt und im tagtäglichen Hauptstadtleben, egal ob in Kreuzberg oder Charlottenburg, einen gewissen Kultcharakter gewonnen haben.

Auch was die Charaktere angeht, bin ich zwiegespalten. Von liebevoll skizzierten Berliner Originalen bis hin zum ärgerlich klischeehaften Kiffer mit Rastas, der immer einen Reggae-Song auf den Lippen hat, wird einem von den vier Schauspielern respektive Beatboxern nahezu alles geboten. Absolutes Highlight bleibt aber der offenkundig homosexuelle Arbeitsamt-Beamte, der tagein tagaus in seinem Büro sitzt und mit sanfter Stimme zu seinem Kaktus spricht. Auch auf musikalischer Ebene brilliert Pirate in dieser Rolle und besingt sich wunderbar eingängig selbst als den besten Amt-Angestellten.

Im Allgemeinen lebt "Razz“ durch seine musikalischen Aspekte. Sämtliche Songs, die sich zumeist absolut harmonisch ins Geschehen einfügen und wirken mehr als organischer Teil der Show, denn als gezwungenermaßen eingefügte Gesangspassagen. Instrumente werden natürlich nicht verwendet, sämtliche Sounds erzeugen die vier Männer mit ihrem Mund. Das Beatboxen erschöpft sich an dieser Stelle natürlich nicht im obligatorischen "Gib mal eben nen Beat, ich will was rappen“, sondern trägt die wirklich guten, individuell auf die Rolle zugeschnittenen Lieder mühelos. Nur der Schluss, der in einem Konzert der "Razzones“ gipfelt, wirkt etwas konstruiert und auch wenn der umgedichtete Beginner-Track "Hammerhart“ gut ankommt, drängt sich einem verstärkt der Gedanke auf, dass es jetzt eigentlich auch mal reicht.

Insgesamt ist "Razz“ ein musikalisch sehr ansprechendes "Beatboxical“, das durchaus seine starken Momente hat. Leider schmälern die schwache Story sowie einige schlichtweg nervige Charaktere den Gesamteindruck. Kann man sich angucken, muss man aber definitiv nicht. Einen kleinen Vorgeschmack auf das Stück, das aktuell noch in Berlin gezeigt wird, gibt’s übrigens in unserer Sound und Video Abteilung.