Fler – Fler

Zugegeben, obwohl die erste Auskopplung aus Flers mittlerweile viertem Solo so dermaßen nach vorne bombt, ja zu einem einzigen riesigen Schlag in die Fresse des derzeitigen State of the Art im Deutschrap geworden ist, lässt sie nicht unbedingt darauf schließen, dass wir es bei "Fler" mit dem angeblich persönlichsten Werk des Patrick Losensky zu tun haben. Und natürlich haben wir auch Zeilen der Marke "Frank ist back, dein Mädel auf dem Rücksitz / Ich komm ans Set, also bück dich" schon zuhauf aus seinem Mund vernommen. Und natürlich handelt es sich im Prinzip auch nur um eine vielleicht leicht tiefergehende aber im Endeffekt nicht wirklich radikal andere Fortsetzung von "Trendsetter" und "Fremd Im Eigenen Land". Und natürlich ist dieses Album somit auch bei weitem nicht so persönlich, wie es hätte sein können und es das wirklich grandiose Intro fälschlicherweise ankündigt.

Und dennoch, die Marschrichtung, in die sich der liebe Flizzy dieses mal bewegt, geht zwischen den bedrohlichen "Fick deine Mutter, fick deine Muttaaahaaa"-Gesängen mehr als deutlich hervor: "Herzlich willkommen, das‘ mein Album Nummer vier / Gefällt es dir? Und wenn nicht, guck mal hier / Mittelfinger in dein Face, Warum Fler? Das bin ich / Darum heißt das Album so, denn es dreht sich nur um mich / Um die Street, um den Stress (…)" Und mal abgesehen davon, dass sich hier der deutlich größere Teil um die Street und den Stress als um das Ich des Frank White dreht, handelt es sich bei "Fler" um das bislang stärkste, weil vielschichtigste und interessanteste Material, das er je auf Albumlänge ablieferte.
Dies gilt vor allem für die Tracks Eins bis Zehn, die eigentlich – zieht man mal die kaugummizähe Liebesschnulze mit Doreen ab – allein bereits das Zeug zu einem modernen Berlin-Klassiker hätten. "Ewigkeit", die mehr als eindeutig herausgestreckte Hand in Richtung Bushido, "Mein Haus", in welchem Fler die Psychiatrieaufenthalte seiner Kindheit aufarbeitet, ohne zu stark ins Detail zu gehen, sondern die Geschehnisse dem Hörer in einzelnen Bildern vor die Füße wirft, sodass sich wie von alleine der Film vorm geistigen Auge aufbaut: "In meinem Haus, seh ich die Patienten Kippen rauchen / wie gebrochene Existenzen durch die Gitter schauen" – ganz großes Kino. Dann "Usw", in welchem auf selbstironische Weise die immer gleichen, sich wiederholenden Prahlereien und Phrasen der Straßenrapper, zu denen sich Fler ja bekanntermaßen auch selber zählt, grandios und wirklich intelligent auf die Schippe genommen werden: "Wo ich herkomme, wird nicht viel geredet und so weiter / hier wird nicht diskutiert, guck wir regeln es ganz einfach / die Menschen, die Straße, das Leben und so weiter / von Schöneberg bis Wedding, bis Tegel und so weiter".
Nicht zu vergessen der eigentliche Überhit der Platte, "Meine Straße", und obwohl ich erst vor kurzem großmäulig ankündigte, dass Autotune auf Deutsch weder besonders cool ist, noch eine große Zukunft mehr haben wird, zumal der Trend ja bereits seit geraumer Zeit am Abklingen ist: Wie sich diese Hook hartnäckig in die Gehörgänge bohrt ist einfach unglaublich. "Das ist ein schlechter Traum, alles ist negativ / du siehst den Horizont, guck wie der Regen fließt / von den Dächern in die Street, das hier ist meine Straße / Gott ist nicht mit uns, das hier ist seine Strafe" – klingt pathetisch? Aber hallo, aber gleichermaßen ist dies Sinnbild für die immer plastischer und eindringlicher werdenden Fler-Lyrics, die deutlich mehr Gefühl vermitteln, als alles, was der Junge zuvor so releaste.

Überhaupt zählen diese Nummern zum Allerstärksten, was in den letzten zwei, drei Jahren aus dem härteren Berliner Rapsektor kam und umso trauriger ist es, dass dieser Faden nicht über die gesamte zweite Albumhälfte weitergesponnen wurde, sondern das Album mit so substanz- und belanglosen Nummern wie "Rap Electroshock", "Scheiß Auf Dich" und "Ich Fick Dich" wieder in die Mittelmäßigkeit abrutscht. Wenn ich nicht wüsste, dass Fler mittlerweile die größten Teil seiner Freizeit im Fitnessstudio verbringt, möchte ich ihn fast schon dafür hauen, dass er diese überflüssige Scheiße mit auf die LP packen musste. Auch so eine Nummer wie "Was ist Peace?!" ist zwar im Ansatz vielleicht ganz nett, aber im Endeffekt doch viel zu vorhersehbar und deckt sich, wie bei solchen Songs üblich, natürlich nicht mit den Aussagen zahlreicher anderer Tracks oder dem Gastpart von Sido ein paar Stücke vorher, in welchem er allen Ernstes mit seinem Personenschutz droht, wenn jemand gegen ihn aufmuckt. Zum Schluss wird es dann mit "Ich Werde Nie Vergessen" mit einer Beatzarre Gesangshook zwar noch einmal ziemlich poppig, jedoch kann Flizzy auch hier mit der chronologischen Aufarbeitung seines steinigen Karrierewegs glänzen und das Album zu einem mehr als würdigen Abschluss verhelfen.

Getragen von dem (ebenfalls vor allem in der ersten Albumhälfte) glänzenden Instrumentalteppich aus spährischen Chören, düsteren Synthies um wummernden Basslines, für den sich vor allem der derzeit unfickbare Djorkaeff verantwortlich zeigt, konnte Fler aber auch nicht viel falsch machen. Gemeinsam mit Beatzarre scheint sich hier ein echtes Topteam zusammengefunden haben, das deutlich mehr Potenzial aufweist, als es noch im Verbund zwischen dem Ex-Aggroberliner und Desue der Fall war. Hier geht es nicht mehr um Tracks, hier geht es um Songs. Für die Ewigkeit eben.
Wie auch immer es also in Zukunft für Herrn Losensky nach der nervenaufreibenden Geschichte rund um den Kollegah-Beef, dem Labeldrama und der Versöhnung mit dem alten Weggefährten weitergehen wird, dieses Album ist eindeutig ein großer Schritt in die richtige Richtung. Und trotz aller Probleme ein wirklich krönendes Abschlussrelease unter dem mächtigen Aggro Berlin-Banner.