Chris Cornell – Scream

Der gute alte Timbaland, der seine wirklich innovative Schaffensphase (also etwa die erste Missy) ja auch schon gut zehn Jahre hinter sich hat, kann offensichtlich Tote (oder wenigstens Totgesagte) wieder zum Leben erwecken. Die Folk-Trulla Nelly Furtado trimmte er auf internationale Pop-Wettbewerbsfähigkeit, Britney Spears wäre ohne ihn (beziehungsweise seinen Zuträger Danjah) schon längst in der musikalischen Bedeutungslosigkeit verschwunden und auch an der Tatsache, dass heutzutage jedermann (inklusive dem Verfasser dieser Zeilen) Justin Timberlake für einen coolen Hund hält und nicht etwa für einen albernen, gealterten Boygroup-Barden, ist Timbo nicht ganz unschuldig.

Sein neuestes Projekt heißt Chris Cornell. Der war früher Sänger bei Soundgarden, einer Band aus Seattle, die an der Erfindung des sagenumwobenen Grunge schon beteiligt war, als dieses Genre noch Subpop genannt wurde, und mit "Black Hole Sun“ einen veritablen Hit hatte. Später, als Grunge inzwischen out war, lösten Soundgarden sich auf und Cornell war zeitweise als Sänger von Audioslave, einem Projekt mit den Instrumentalisten von Rage Against The Machine, tätig. Noch etwas später trug Cornell mit "You Know My Name“ den wahrscheinlich belanglosesten aller Bond-Titelsongs zum Score von "Casino Royale“ bei. Das klingt nach Karriere-im-Sand-verlaufen und bis vor kurzem hatte ihn eigentlich kaum jemand mehr auf dem Schirm.
 
Bis vor kurzem! Aber dann kam besagter Timbaland und nahm sich des in die Jahre geratenen, aber stimmlich immer noch befähigten Sängers an. Das Ergebnis der gemeinsamen Zeit im Studio liegt nun vor. Es hört auf den Namen "Scream“ und ist – natürlich – ein Popalbum. Oder ein Poprock-Album. Sicher, hier und da bringt Timbaland ein paar Gitarrensprengsel ein, die daran erinnern sollen, dass Chris mal Rocksänger war, aber im Großen und Ganzen ist "Scream“ ein absolut Timbaland-typisches Werk. Ja, "Scream“ als Cornells drittes Soloalbum zu werten, wäre ein Missverständnis: Es ist ein Timbaland-Album featuring Chris Cornell – und das auf jedem Song. Synkopenbeats, Schmatzbässe, Synthielines – das volle Programm eben. Ein wenig erstaunlich ist, dass Chris‚ Gesang sich recht harmonisch in diesen Kontext fügt, was aber auch am nicht allzu sparsamen Einsatz des gefürchteten Auto-Tunes liegen könnte. Der Vokalist erweist sich aber auch sonst als durchaus anpassungsfähig. Eine HipHop-typisch mysogyne Line wie „That bitch ain’t a part of me“ (aus dem Opener "Part of me“) hätte man zu Soundgarden-Zeiten eher nicht aus seinem Mund vernommen. Überhaupt hat Cornell sich die Devise "Dumb it down“ zu eigen gemacht, seine lyrische Ausdruckskraft erschöpft sich meistens in Endloswiederholungen des Refrains. Bei "Ground Zero“ packt Chris dann gar Justin-artige Kopfstimmenkreischer aus, was im Endergebnis weit weniger schlimmer klingt, als es sich jetzt liest. Dass der leibhaftige Mr. Timberlake dann auf "Take Me Alive“ höchstpersönlich aushilft, ist da nur konsequent, auch wenn Die-Hard-Cornell-Fans sich spätestens da ihr Mittagessen noch mal durch den Kopf gehen lasen werden.

Vergisst man Cornells Vergangenheit jedoch, kann man „Scream“ gewisse musikalische Qualitäten keineswegs absprechen. Der Sänger verfügt eben immer noch über ein sehr  ausdrucksstarkes Organ (Autotune hin oder her) und dass Timbaland nur noch nach Schema F arbeitet, dabei aber immer noch bessere Beats herauskommen als bei den meisten seiner Kollegen, ist auch kein großes Geheimnis. So gelingt "Scream“ in seinen besten Momenten tatsächlich eine herrlich geisteskranke Rock-Pop-HipHop-Kreuzung, die hervorragend in die derzeit allerorten zu beobachtende Vermischung von althergebrachten Genres passt. In diesem Sinne: Lang lebe der Eklektizismus. Und Poprock ist zurück. Oder war eigentlich nie weg.