Man stelle sich vor: Auf unserem schönen Planeten kam es zum nuklearen Holocaust und die Menschheit wurde fast auf Null dezimiert. Was nach einer neuen Geschichte aus dem Weisen Haus klingt, geht im mit dem „Dr. Bloodmoney (, or How We Got Along after the Bomb)“ betitelten Buch (auf deutsch schlicht: "Nach der Bombe") von Philip K. Dicks mit einigen Widerständler weiter, die über Satellit das so genannte „Radio Blood Money“ ausstrahlen.
Den Radiosoundtrack zum post-nuklearen Leben reicht nun das Peuple de l’Herbe 42 Jahre nach Erscheinen des Buches nach. Schon vor dem ersten Einlegen der CD ahnt man es: Schöne heile Welt geht irgendwie anders. Entsprechend düster geht es auf dem fünften Studioalbum der fünf Franzosen zu. Ihrer auf den Vorgängeralben schon bewährten Soundmelange aus Dub, Jungle, Hip-Hop, Reggea, Ragga, Rock, Jazz und tausendundeiner anderen Musikspielart sind die Pariser Grenzgänger natürlich treu geblieben.
Den bunten Stilmix hält im Falle des „Radio Blood Money“ eine düstere Grundstimmung zusammen. Nur die hellen Bläser, die immer wieder durch das dunkel-dumpfe Sounddickicht aus wabbernden Bässen, knallenden Drums und sphärischen Synthies dringen, sorgen für ein Gegengewicht. Schaffen sie es wie im Opener „Yep!“ die Oberhand zu gewinnen, wird es funkig und stellenweise sogar fast fröhlich. Doch diese Momente sind spärlich gesät. Schon im folgenden „History Goes“ übernehmen die Maschinen die Kontrolle. Dunkle Synthies, bedrohliche Bässe und konspirative Lyriks, die irgendwo zwischen Weltverschwörung und Wahnsinn pendeln sorgen für alles andere als lustig-leichte Wohlfühlstimmung. Statt Kopfnicken gibt es Gänsehaut. „We educate those who never knew how history goes“.
Im großartigen “Traces” verschwimmen die Grenzen zwischen 70’s Funk, Jazz und D’n’B. Über hektische, deutlich Trommel und Bass inspirierte Drums hetzen die live eingespielten Bläser. Ein Zusammenspiel, das funktioniert. Wesentlich abstrakter und weitaus unzugänglicher sind die folgenden Produktionen. Dreckig analog klingenden Synthesizer fordern den Hörer und oben drauf gibt es schwer greifbare Harmonien. Popmusik geht anders. Rapmusik definitiv auch. Was das Volk des Krauts hier betreibt, ist Musik für eine anspruchsvolle Minderheit. Das hier ist Ü20-Musik und wahrscheinlich trotzdem eher nix für Jay-Z-Fans. Das ist Anspruch und um ganz ehrlich zu sein, schwer einzuschätzen. Wenn man „Radio Blood Money“ auf emotionaler Ebene bewerten will, funktioniert die LP. Das hier ist Kunst. Nicht mehr und nicht weniger. Dafür gibt es im Rapzirkus immer weniger Platz, aber schön, dass sich noch jemand traut so etwas zu machen. Wilkommen im nuklearen Winter.