Es ist kaum möglich unvoreingenommen über das neue Wu-Tang Album „8 Diagrams“ zu urteilen. Ein Kritiker einer amerikanischen HipHop-Website hat es sehr treffend formuliert: „Beweist der (hörbare) Mangel an Zusammenhalt auf dem Album die Reibereien zwischen einigen Mitgliedern oder ist es eher so, dass man durch die Äußerungen einiger Mitgleider, die im Vorfeld gefallen sind, auf dem Album etwas hört, das so gar nicht gegeben ist?“ Zur Erinnerung oder für diejenigen, die es nicht mitbekommen hatten: Clan-Mitglieder wie Raekwon und Ghostface Killah hatten sich vor dem Release beschwert, dass sie nicht mit dem Sound des Albums zufrieden seien und dass RZA, der sich eigentlich durchweg für die Produktion verantwortlich zeichnet, den guten alten Wu-Sound kompromittiere und zu viele orchestrale, gitarrenlastige Beats auf dem Album seien.
Ich habe trotzdem versucht, mich dem Album so unvoreingenommen wie möglich zu nähern. Zunächst einmal will ich eine Lanze für RZA brechen. Es ist das Wesen eines Künstlers – Lebenselixier sozusagen – sich immer wieder neu zu erfinden. Man lebt und entwickelt sich weiter und bleibt auch von äußeren Entwicklungen nicht unberührt; ich will sogar so weit gehen und sagen, dass es unmöglich ist den Sound von beispielsweise „36 Chambers“ zu reproduzieren, es sei denn man ist ein genialer Kopist oder nicht ganz richtig im Kopf.
Dennoch teile ich die Kritik – aber nur sehr bedingt. Die Produktion wirkt oft ein wenig steif und der Erneuerungswille treibt zuweilen abstruse Blüten und gleicht manchmal einer Anbiederung an den Zeitgeist. Das, und das muss ich ausdrücklich betonen, ist aber nur auf einigen Tracks zu hören, sagen wir mal, es sind namentlich „Stick Me For My Riches“, der gerade in der Hi-Hat nur das kopiert, was zur Zeit durch den Dirty South-Boom en vogue ist: doubletime und kalter elektronischer Sound. Oder „Weak Spot“, das durch seinen dümmlichen Loop doch etwas statisch wirkt.
Raptechnisch wissen allein auf „Life Changes“, der Hommage an den letztes Jahr verstorbenen ODB, alle MCs wirklich zu überzeugen. Das ist teilweise sehr bewegend, vor allem GZAs Verse. Ansonsten muss man sagen, dass die stärksten Rhymemomente auf der Platte von Method Man, Ghostface (dem unzufriedenen) und von Raekwon und RZA selbst kommen.
Für mich sind die etwas „ruhigeren“ Tracks die stärksten. Das Gitarrenlastige, das im Vorfeld so bemängelt wurde, ist keinesfalls ein Klotz am Bein des Albums. Im Gegenteil, es transportiert auf ganz neue Weise den ewig-morbiden und in Abgründe schauenden Wu-Spirit. Das klingt manchmal merkwürdig entrückt, wenn zum Beispiel bei „Take It Back“ die Drums gleichzeitig sehr zurückgenommen und gerade dadurch sehr präsent erscheinen oder bei „Windmill“ ein Hauch von Tarantino-Soundtrack (Tremolo-Gitarre!) zu spüren ist. „Guns Will Go“ beweist, dass es nicht mehr als einen Akkord, Bassdrum, Snare und einen Method Man braucht, um beim Hörer ein schaurig-beklemmendes Gefühl zu erzeugen, das man sogar genießt.
Die etwas lauteren Feier-Tracks sind zuweilen durch zu offensichtliche und dadurch nervige Loops, die auch gern mal nach Zirkus klingen („Rushing Elephants“) mit Vorsicht zu genießen. Allein „Unpredictable“ schafft hier eine Ausnahme, getragen von einem unwiderstehlich abgehackten Hi Hat und einer irrsinnigen, psychedelischen Atmosphäre – ganz groß!
„The Heart Gently Weeps“ ist ein, sagen wir, mehr oder weniger gelungenes Beatles-Cover und wechselt, wie das Original eben auch, wunderbar zwischen Moll und Dur, zwischen Trauer und Hoffnung hin und her. Es ist durchaus legitim, das albern und auch ein wenig corny zu finden, denn diese Mischung aus Rockballade und Rap kann einem bei mehrmaligem Hören schon die Laune verderben. Allein die Geschichte des Songs, dass nämlich das Originalsample der Beatles natürlich nicht zu klären war und man deswegen kurzerhand George Harrisons Sohn den Gitarrenpart einspielen ließ, sorgt vielleicht für ein beachtendes Augenbrauenheben.
Insgesamt lässt sich also sagen, dass die großen Tage des Clans wohl schon vorbei sind, aber man sollte nicht vorschnell urteilen, sondern mehrmals hinhören, um die Größe dieses Albums, die es durchaus hat, zu begreifen. Auch wenn der Funke manchmal nicht so recht überspringen will, man angesichts der auf den ersten Blick zum Teil schwer zugänglichen Beats im Ungefähren, in der Luft schwebt, so beweist diese Momentaufnahme aus dem Jahre 2007 doch, dass künstlerische Entwicklung oder Fortschritt nichts ist, wofür man sich rechtfertigen und schon im Voraus die Meinung der Fans und Kritiker durch interne Streitereien beeinflussen müsste. Einfach mal wirken lassen! Ein gelungens Comeback!