Black Ice – The Death Of Willie Lynch

Weit vor der Zeit des heute bekannten Phänomens „Rap“ machten sich einige Leute daran, ihre Gedanken in Reime zu fassen. Diese Kunst nennt man heute noch Poesie, Lyrik (griech. Lyra = Leier) oder einfach Dichtkunst bzw. Dichtung. Im Allgemeinen unterscheidet sie sich nicht sonderlich stark vom Rap. Reimschemen wie Paar (aa bb cc), Kreuz  (abab cdcd) und Kette (aba bcb cdc) sind ebenso gebräuchlich wie heutzutage im Rap. Rhythmus und gesangliche Darbietungen waren auch seit jeher Teil der Lyrik, zumindest wenn sie vorgetragen wurde. Genauso verschiedene Betonungen. Worin besteht nun jedoch der Unterschied, der Russell Simmons dazu bewegte, eigens eine allwöchentliche Session namens „Def Poetry Jam“ ins Leben zu rufen, die eben jener Black Ice in den vergangenen Jahren dominierte?

Wenn man sich „The Death Of Willie Lynch“ zu Gemüte führt, wird der Kleine aber feine Unterschied ziemlich schnell greifbar. Der Poet neigt zum Offbeat und widmet sich eher seinen ausgeklügelten Reimen und seiner Message, verliert dabei zwar etwas den Takt, bietet im Gegenzug jedoch eine rhetorische Meisterleistung dar – zumindest über weite Strecken des Albums. Vergleichbares kann man spontan nur mit Nas und 2Pac heranziehen.

Warum Willie Lynch? Genauer gesagt wird dazu nichts, doch man könnte Willie Lynch auch als Synonym für President Bush deuten, der laut Black Ice eine ähnliche Lynch-Justiz betreibt. Seine politischen Ansichten vermittelt der Poet gekonnt auf „The Ugly Show“, auf welchem es heißt: „For so long / they do us so wrong / but we just stand here and take it / nature ripped the mask of, so now they can’t fake it / we stand here butt-naked / n***a, this is your nation’s poor / but you still turn around and ask us and our kids for war“. Hiermit bezieht sich Black Ice auf die Katrina-Opfer sowie auf die Auslandseinsätze der US-Army. Sehr anspruchsvolles Stück.

Das Album bietet einerseits einen dunklen, leicht aggressiven Sound, der von Kampfansagen, politischen Gedanken und repräsentativem Material durchzogen ist. Andererseits merkt man die Unbefangenheit des  Philadelphia Sounds, so wie er von Jazzy Jeff, The Roots und Jill Scott praktiziert wird. Thematisch gibt es dann ein paar Frauengeschichten („Takeyatime“ mit einem überragenden Musiq Soulchild, „Nice 2 Meet U (ft. V)“), Hasstiraden gegen die Industrie („Shine (ft. Natalie Stewart (Floetry)“) und Revolutionstheorien im Sinne eines 2Pac („A Dream transferred“).

Leider hat sich Black Ice nicht ausschließlich auf seine poetisch Finesse berufen, sondern auch hier und da mittels Thematik und Reimrhythmus versucht, sich als Rapper zu profilieren, was ihm bei Songs wie „Hoodwatch“, „Rain Hill“ und „The Beast Within“ eher schlecht als recht gelingen will. Ausnahme hierbei bildet der Opener „The Path“, der den Weg des 34jährigen beschreibt und ihn dabei als Gottes- Krieger zu manifestieren versucht („Some say my words are prophetic, is like the succesion of god’s plan / so stop my progression is like fucking with god’s man“). Schön auch seine Rechtfertigung vor seinen Kindern, bei der er sein Vaterdasein beschreibt und festigt („Lone Soldier (ft. Chinahblac)“).

Wenn Black Ice nicht enorm viel Zeit darauf verwendet hätte, als Rapper überzeugend rüber zu kommen, sondern lieber Raum für seine poetischen Fähigkeiten gelassen hätte, so wäre er weitaus besser beraten gewesen. Als Rapper fehlt ihm die Durchschlagskraft, auch wenn Reimschemen, wie sie auf „The Real“ zu finden sind, anderswo eine Seltenheit darstellen.