Darf man eine CD mit einem Intro eröffnen, das im Wesentlichen aus dem Gelassenheitsgebet, bekannt von den Anonymen Alkoholikern und aus unzähligen Poesiebüchern, besteht?
Oh God grant me the serenity to accept the things that I cannot change / The courage to change the things that I can / The wisdom to know the difference.
Nein, darf man eigentlich nicht. Immerhin dient das Intro so als Warnung, denn textlich balanciert India.Arie, die gelegentlich mit simplen Wahrheiten hart an der Naivitätsgrenze auffiel, wieder zwischen meist anrührend Persönlichem, bisweilen aber auch schwer erträglicher, gottgläubiger Gutmensch-Moral und kirchentagskompatiblen Strophen. Glücklicherweise stehen die offenkundig sehr biographisch geprägten Betrachtungen zum Themenkreis Love & Relationship im Vordergrund.
Musikalisch ist "Testimony: Vol. 1, Life & Relationship" der würdige Nachfolger der grandios erfolgreichen und grandios guten Vorgänger-Alben, bei weitestgehend unverändertem Konzept: Das Songwriting steht im Mittelpunkt, India.Arie besticht mit dankenswert vibratoarmem, dafür umso direkt-imtimerem Timbre, und die Produktion gibt sich angenehm zurückhaltend mit erkennbar analogem Anteil. Jederzeit könnte India zur akustischen Gitarre greifen und ihre Kompositionen unplugged vortragen, mehr Tracy Chapman als Mary J Blige, was in diesem Zusammenhang als Kompliment gemeint ist. Mal verirrt sich ein schwerer Beat in die wohltemperierte Klanglandschaft, ein andermal gar eine Bottleneck-Guitar, und setzen so Soundakzente, ohne von der Komposition abzulenken – hübsche Songs in hübschem Gewand. Musik zum Zuhören.