Wer erinnert sich? Beziehungsweise: Wer erinnert sich nicht? Gestern war es auf den Tag genau fünf Jahre her, dass ein großgewachsener, etwas linkisch wirkender Typ aus Wien ein Video veröffentlichte, in dem er eine recht dreist übersetzte Version von Souljah Boys „Turn my Swag on“ zum besten gab. Die etwas schief gecroonte Hook schmerzt allein beim Gedanken daran noch im Ohr.
Hätte irgendjemand damals vermutet, dass dieser Typ, bei dem es sich selbstverständlich um Money Boy handelt, eines Tages ein zwar umstrittener, aber nichtsdestotrotz fester Bestandteil von Deutschrap sein würde? Mein lieber Scholli – sicher nicht. Zwar erreichte das Video recht schnell recht viele Menschen. Aber wirklich jeder, der sich auch nur ansatzweise ernsthaft mit Rap auseinandersetzte, sah das Ganze als Witz, als Eintagsfliege, als eine Art (möglicherweise unfreiwillige) Comedy an.
Und auf diesem Level bewegte sich Money Boy lange. Nur dass man über die weiteren Auswürfe des Wiener Wahnsinns nicht mehr lachte, sondern genervt die Augen verdrehte. Auch in unserer Redaktion: Noch in der rap.de-Review zu seinem Mixtape „Crack fürs Volk“ wird dem Boy „kraftlose Stimme“ attestiert, die „das akustische Pendant zu Daumenschrauben“ sei, und seine Musik allgemein als „ultimatives Foltermittel in Guantanamo Bay“ empfohlen.
Doch irgendwann – es muss so zwischen dem 28. und dem 29. kostenlosen Mixtape gewesen sein – veränderte sich alles. Die Sicht auf den Boy wurde eine andere. Man lachte wieder – aber dieses Mal eher mit ihm als über ihn. Das hat sicher viele Gründe. Einer davon ist sicher sein Durchhaltevermögen, die Konsequenz, mit der er seinen Film durchgezogen hat und bis heute durchzieht – ohne Rücksicht auf Verluste. Ein anderer ist der sichtbare Spaß, dem ihm das alles macht, die Lust an der Provokation, an der Grenzüberschreitung. Es sei nur an den legendären Auftritt bei joiz erinnert, wo Money Boy mit gespielter Unschuld und ein paar, naja, unerwarteten Bemerkungen bei der bedauernswerten Moderatorin für blankes Entsetzen sorgte.
Keineswegs konnte Money Boy alle Herzen für sich gewinnen. Während die einen mit im lachen und seine zunehmenden Eskapaden (Twitter, Splash!) wahlweise als höchst authentisch oder Kunst abfeiern, sind die anderen angeekelt, empört, kurzum: dagegen. Trotzdem beziehungsweise eben deshalb aber kann niemand mehr leugnen, dass er 2015 ein fester Bestandteil von Deutschrap ist – ob einem das nun gefällt oder nicht. Beste Leben. Lachkick Mois. Allein sein Einfluss auf den Wortschatz unzähliger Twitteruser spricht für sich.
Dabei macht Money Boy nicht so viel anders. Die Leute reagieren nur anders darauf. War „Dreh den Swag auf“ von Souljah Boy „inspiriert„, so bediente er sich für „Choices“ bei E-40. Juckt.
Meine Prognose ist: Das Phänomen wird sich weiter halten, möglicherweise noch wachsen. Der unbekümmerte Dilettantismus, mit MB und seine Freunde zu Werke gehen, ist ein für viele willkommener Bruch mit der demonstrativen Ernsthaftigkeit und Humorlosigkeit, die immer noch große Teile von Deutschrap fest im Griff hat. Und fast pünktlich zum fünfjährigen Jubiläum hat der Boy demnächst eine dicke Überraschung parat – keine Spoiler, aber das wird für einigen Gesprächsstoff sorgen. Bis dahin erstmal herzlichen Glückwunsch zur 5. Wann kommt eigentlich mal wieder ein „Hood Report“ ?