Das schönste Gefühl für einen Musik-Redakteur ist es, eine wenig positive Review zu veröffentlichen und daraufhin aus allen Richtungen beleidigt zu werden. Traumhaft, in den Facebook-Kommentaren als „Hurensohn“ bezeichnet zu werden, via Twitter mitgeteilt zu bekommen, dass man ja gar keine Ahnung habe, im E-Mail Postfach die Mail eines erbosten Managers vorzufinden und am besten noch von einem Laufburschen oder gar dem Künstler selbst am Telefon angebrüllt zu werden. Da macht der Beruf doch gleich doppelt Spaß – und Feedback ist immer gut.
Beispiele gibt es ohne Ende – das prominenteste ist wohl Blokkmonsta, der es sich nach einer Review unseres ehemaligen Chefredakteurs Marcus Staiger nicht nehmen ließ, einen kleinen Abstecher zur rap.de-Redaktion zu machen – um Staiger die Fresse zu polieren. Das ist mittlerweile fünf Jahre her und längst geklärt, als Beispiel aber gar nicht verkehrt. Alternativ hätte ich Swiss im Angebot, der nach einer äußerst kritischen Review im Juice Magazin den verantwortlichen Redakteur Jakob Paur anrief, um ihn am Telefon aus der Reserve zu locken. So weit, so gut – ist ja sein gutes Recht, nach einer Stellungnahme zu verlangen und auch absolut hinnehmbar, wenn er seinem Zorn unbedingt Luft machen muss – weniger hinnehmbar ist es aber, das Telefonat mitzuschneiden und kurzer Hand auf YouTube hochzuladen. Mal von der strafrechtlichen Relevanz abgesehen, ist das absoluter Kindergartenscheiß.
Letzte Anekdote: Das Banger Musik-Camp um Farid Bang. Nach der negativen Rezension von „Asphalt Massaka 3„ wurden nicht nur unvorteilhafte Screenshots von unserem Chefredakteur mit Hashtags wie #Olivermarquartisteinfetterhurensohn, #rapdehurensöhne und #Boykottrapde versehen (wohl ein Versuch, einen viralen Shitstorm vom Zaun zu brechen, der uns nachhaltig schaden sollte), natürlich gab es auch Telefonate und eine Kündigung jeglicher Zusammenarbeit. Der Witz bei der Sache: Oliver Marquart hatte die Review nicht verfasst – das war auch den Bangern bekannt und wurde mit einem „Wahnsinn man lässt eine Frau eine Review machen zu diesem Album sehr gewagt aber ok nix neues [sic!]“ abgetan – Oliver musste dennoch für den Zorn hinhalten.
Klar, als Chefredakteur ist es gewissermaßen seine Aufgabe, Externes zu regeln. Aber ich frage mich: Wofür genau wurde er eigentlich abgestraft? War es für die Meinung der Autorin? Dafür, dass er die Review auf dieser Plattform veröffentlichte, statt ihr ihre Meinung zu verbieten? Oder wurde diese eine Meinung auf ganz rap.de projiziert und Oliver musste sich dem als Gesicht von rap.de aussetzen? Denkt man das ganze noch weiter, stellt sich die elementare Frage: Wo ist das Problem? Das Problem liegt in der Meinung einer einzelnen Person. Und es ist keine politische Meinung, nichts weltbewegendes. Es ist eine reine Geschmacksfrage. Denn Musik ist immer Kunst – und Kunst liegt im Auge des Betrachters. Wenn Leute öffentlich über moderne Malerei herziehen, etwa dieses komische Gemälde, das nur einen roten Punkt zeigt, dann hängt sich daran niemand auf. Dabei ist das doch auch nur ein Kunstwerk, das denjenigen nicht zusagt.
Wenn ein Album aber einem Rezensenten nicht gefällt, nimmt der Künstler das persönlich. Das sollte er zwar nicht, ist aber absolut nachvollziehbar. Monate- oder gar jahrelange Arbeit, Herzblut und viel Persönliches stecken in den meisten Alben. Und dann kommt so ein Skinny daher und hat nur schlechte Worte für dieses Baby übrig. Das kann der Interpret natürlich schwer nachvollziehen – wäre er nicht überzeugt von seinem Werk, würde er es nicht veröffentlichen. Aber mein Job ist es nunmal, meine ehrliche Meinung zu diesem Werk kundzutun, zu erklären und zu belegen. Meine subjektive Meinung. Eine Review ist nichts anderes als der Eindruck einer einzelnen Person – es gibt keinen Anlass, das persönlich zu nehmen. Es gibt noch viel weniger Anlass, daraufhin persönlich und beleidigend zu werden. Weder für den Künstler, noch für dessen Fans.
Dass die Fans sich davon angegriffen fühlen, ist ohnehin der größte Hohn. Weil jemand ihre Meinung nicht teilt, ist er ein Hurensohn? Man muss sich vor Augen halten, dass eine Review je nach Autor komplett anders ausfallen kann. Wer von Objektivität redet, weiß nicht, was eine Review ist. Neutralität ist gefragt – also sich nicht von persönlichen Gefühlen leiten zu lassen. Wenn ich einen Rapper unsympathisch finde, der aber ein Album macht, das mir gefällt, dann bewerte ich das nicht schlechter, nur weil mir der Typ nicht passt. Aber diese Objektivität, von der gelabert wird, hieße, dass man ein Album lediglich nach empirischen Maßstäben bewertet. Dann könnte man die Reimsilben zählen, oder die Punchlinedichte. Es gilt sich also damit abzufinden, dass eine negative Review lediglich auf dem Geschmack des Rezensenten beruht – ganz ohne Hintergedanken. Niemand mit gesundem Menschenverstand erwartet, dass sein Werk jedem einzelnen Menschen gefällt. Und wenn man halt Pech hat, gerät man an jemanden, dem es nicht gefällt. Eine Review zu lesen, reicht also nicht aus, um sich ein Bild von einem Album zu machen. Wenn aber ein Großteil aller veröffentlichten Reviews negativ ausfällt, dann sollte man sich vielleicht mal Gedanken machen, statt wahllos umher zu pöbeln.