Wunschlos glücklich zu sein ist ein Zustand, der den wenigsten von uns gegeben ist. Wäre ja auch langweilig, so ganz ohne Träume und Wünsche. In unserer Kolumne “Was ich will” führen wir aus, was Deutschrap guttun würde. Ganz subjektiv, nach Meinung des jeweiligen Autors, wie für eine Kolumne üblich: Laura Sprenger wünscht sich, dass Rapper dazu stehen, wenn sie ihre Texte von Kollegen schreiben lassen.
Du hast keine Lust, deine Abschlussarbeit für die Uni selbst zu schreiben? Kein Problem, professionelle Firmen wie GWriters vermitteln dir einen Ghostwriter. Du möchtest dein bewegtes Leben in einer Autobiografie verewigen, kannst aber keinen Stift in der Hand halten? Völlig egal. Von A wie Arnold Schwarzenegger über B wie Bushido und C wie Conchita Wurst: Sie alle nehmen ganz selbstverständlich die Dienste von Ghostwritern beziehungsweise „Co-Autoren“, weil das natürlich besser klingt, in Anspruch und stehen ganz offen zu dieser Tatsache.
Im Deutschrap verhält sich das ein klein wenig anders. Bleiben wir doch gleich bei oben genanntem Bushido. Immer wieder sah und sieht sich Anis Ferchichi mit Vorwürfen konfrontiert, er lasse andere Rapper für sich schreiben. Es fallen Namen wie Sentino, Eko Fresh und Shindy. Nicht zu vergessen Kay One. Nach dessen Disstrack „Tag des jüngsten Gerichts“ und den darin erhobenen Anschuldigungen bekam die Diskussion erneut Aufwind, diverse Kollegen gossen gezielt Öl ins Feuer.
Im Interview mit der Juice antwortete Bushido auf die Frage, was an Kays Anschuldigung dran sei: „Gar nichts. Kay musste sich einfach was aus den Fingern saugen, um überhaupt Wirkung zu erzielen.“ Klar, wer würde schon zugeben, dass der erklärte Todfeind zum eigenen Erfolg beigetragen hat? Seine allgemeine Einstellung zum Thema Ghostwriting äußerte das ersguterjunge-Oberhaupt gegenüber der Backspin 2007 aber wie folgt: „Das sehe ich nicht als große Schwäche […] Solange niemand irgendwo hingeht und behauptet, er verkaufe seine Texte an mich, ist das okay.“
Halten wir fest: Solange es ein Geheimnis bleibt, ist es vollkommen in Ordnung, andere für sich schreiben zu lassen. Wenn dann aber jemand die Fakten auf den Tisch legt, ist Ghostwriting auf einmal kein Thema mehr und „man greift sich nur hin und wieder unter die Arme.“ Komische Logik. Ich fordere: Beweist doch endlich die Eier, die ihr so gerne in euren Tracks lobpreist, und steht dazu. Who cares? Mir persönlich geht es jedenfalls gepflegt am Arsch vorbei, ob Bushido „Sonny Black“ selbst geschrieben hat. Style, Attitude und Delivery stimmen hier von vorne bis hinten, und darauf kommt es an.
Offenbar steht dem Geständnis die Angst im Weg, man würde seine so oft beschriene Realness verlieren. Von ein paar Ausnahmen à la Xatar oder Schwesta Ewa mal abgesehen, sind ohnehin locker 98 Prozent der Ticker- oder Puff-Stories und Mafia-Märchen entweder stark übertrieben oder komplett frei erfunden. Mit der Realness ist es also schon mal nicht weit her. Richtig ärgerlich wird es dann, wenn die Betroffenen alle Anschuldigungen von sich weisen, obwohl das Fremdschreiben derart offensichtlich ist, dass es sogar ein Taubstummer erkennen würde.
So erst kürzlich im Fall von Majoe und seinem Track „Utopischer Körperbau“ geschehen. Es könnte kaum offensichtlicher durchscheinen, dass vermutlich Kollegah hinter all dem steckt. Trotzdem verkündet der Boss via Facebook: „Er hat viel Arbeit in sein neues Album gesteckt, es ist übrigens 100% Kollegah-frei, ich habe keine einzige Line geschrieben […].“ So viel zum Thema „Realtalk„. Ali Bumaye gibt im Interview mit rap.de immerhin zu, dass sowohl Shindy als auch Bushido ihm lyrisch unter die Arme gegriffen haben. Ich persönlich glaube: Weder er noch Majoe haben auch nur einen kleinen Finger gerührt. Interessiert mich auch nicht die Bohne. Aber: Warum nicht einfach dazu stehen?
Zu den bekanntesten und derzeit wohl auch umtriebigsten Ghostwritern im Deutschrap zählt MoTrip. Im Interview mit laut.de erzählte er vor einiger Zeit: „Die Sachen, die ich schreibe und die überschüssig sind, […] davon gibts dann ’ne Menge Material und bevor das verrottet – ganz ehrlich – kanns auch ein anderer rappen.“ Recht hat der Mann. Aber auch Ali As, Laas Unltd., Sentino und Eko Fresh gehören zu diesem Kreis. Letzere thematisierten besagtes Thema 2010 gar in einem Track namens „Ghostwriter„: „Guck‘ in die Akten oder sammel‘ erst die Ordner, ohne uns zwei gäbe es bloß stammelnde Performer / Vergammelt wie vom Vortrag, dir mangelt es am Wortschatz, haben wir den verdammten Stil verwandelt wie Transformers.“
Man sieht: Von deren Talent profitieren so Einige. Mehr als „Da lasse ich mir natürlich gerne helfen […] aber keiner hat je eine Hook für mich gemacht„, wie Fler beispielsweise gegenüber Backspin erklärte, ist in Sachen Outing aber bisher nicht viel passiert. Und keiner glaubt ernsthaft, dass sich Rapper locker bei einem Käffchen zusammensetzen, und wenn der eine keinen Reim auf „Maus“ findet, fragt er einfach den anderen. Wir sind ja nicht im Kindergarten. Ghostwriting ist knallhartes Business inklusive vertraglichen Regelungen. Verpflichtung zur Geheimhaltung steht vermutlich ganz oben auf der Liste.
Ali As versucht dem Ganzen im Gespräch mit hiphop.de auf den Grund zu gehen und bezieht die Kollegen aus Übersee gleich mit ein: „Das ist aber eher ein deutsches Ding. In den Staaten interessiert es die Leute nicht groß, ob Puffy seine Lyrics selbst geschrieben hat. Der bringt es einfach cool rüber und hat den Kontostand, der seine Inhalte rechtfertigt. Für die Fans hier in Deutschland ist immer die Illusion wichtig, dass jeder Rapper alles, was er aufschreibt, wirklich selbst erlebt hat.“ Aber warum? Immer diese Deutschen. Mit unserer Nazi-Vergangenheit kann man es aber ausnahmsweise mal nicht rechtfertigen.
Schließlich bezieht sich dieses Phänomen wirklich nur auf das Kopfnicker-Genre. Helene Fischer macht keinen Hehl daraus, dass ihr Hit „Atemlos durch die Nacht“ aus der Feder von Kristina Bach stammt. Im Gegenteil, sie dankt der Frau vor Millionen Zuschauern in ihrer Rede anlässlich des Echo-Gewinns. Das nenne ich Eier. Von der musikalischen Qualität will ich hier gar nicht sprechen, fest steht: Im März dieses Jahres erreichte der Song den Status eines Millionensellers. Es interessiert keine Sau, ob du deine Texte selbst schreibst.
Zurück in die USA: Gut, bekanntermaßen entzündete sich der Beef zwischen Drake und Meek Mill ebenfalls an Ghostwriting-Vorwürfen, ansonsten sind uns die Amis in dieser Hinsicht aber mehrere Schritte voraus. „Straight Outta Compton„, anlässlich des bald erscheinenden Kinofilms wieder sehr aktuell, soll Ice Cube alleine geschrieben haben und musste seinen Kollegen Eazy-E und Dre wohl Merkzettel reichen, damit diese sich den Text behalten können. Das macht das Album aber keinen Deut weniger wegweisend. Big Pun schrieb für Fat Joe, Jay Electronica für Nas, Pharoahe Monch für P. Diddy.
Allesamt große Namen. Wurde deren öffentliches Ansehen durch diese „Offenbarungen“ geschmälert? Ich glaube kaum. Sagte mir heute jemand, Eminem schreibt seine Texte nicht ganz hinten im Bus auf einen zerfledderten Block, würde ich ihn deshalb nicht weniger bewundern. Warum auch? Sein Talent als Rapper bleibt unbestritten. Ghostwriting ist keine Schande, sondern Daily Business – also zieh‘ den Stock aus deinem Arsch und steh‘ dazu, dass kein großer Dichter und Denker in dir steckt. Du bist Rapper, verdammt noch mal.