Die Vorwürfe, die Damion Davis in einem Kurzinterview (fast eher einer Videoansage) gegen Money Boy erhoben hat, greifen eine uralte HipHop-Diskussion auf: Den Realness-Diskurs. Seit Anbeginn der Zeit, zumindest aber, seitdem es Rap gibt, wird immer wieder hitzig über die Frage diskutiert, was denn nun real und fast noch wichtiger, obwohl es logischerweise daraus hervorgeht, was nicht real ist.
Damion nimmt dabei die Rolle des klassischen Realkeepers ein: Er sieht Money Boy als ein Phänomen, das zwar erheblichen Einfluss auf die Kids habe, aber nicht als ernstzunehmenden Rapper. Eine klare und eindeutige Position, zu der jeder Ja oder Nein sagen, Stellung beziehen kann. Was im Netz ja auch bereits geschieht. Die Diskussion darüber, ob Damion nun Recht hat und sein Monolog eine moralische Pflicht war oder ob er ein verbitterter Realkeeper mit angewachsenem Rucksack ist, der den Swag der neuen Generation nicht mehr diggt, kennt kaum eine Zwischenposition.
Das ist auch erstmal gut und richtig so. So sollen Diskussionen geführt werden. Ein Kompromiss ist hier nicht nur nicht nötig, sondern auch nicht möglich. Die jeweiligen Standpunkte sind unvereinbar. Während Damion Davis unter einem Rapper jemand versteht, der sich seiner Verantwortung bewusst ist, Vorbild und sinnvolle Inspiration für Kids ist, verkörpert Money Boy den genauen Gegenentwurf: Der Rapper als Bad Boy, als über jeder Moral stehender Entertainer, der genau das tut, was sonst verboten ist und von denen, die nicht so viel Mumm haben, Grenzen zu überschreiten, gefeiert wird. Damion Davis hat klar gemacht, dass es für ihn nicht klargeht, hemmungslos Drogenkonsum, Sex mit Minderjährigen oder das Stören von Konzerten anderer Künstler zu verherrlichen und vorzuleben. Money Boy indes tut genau das und lässt sich dafür als Entertainer, als Tabubrecher feiern.
Diese Grundspannung gab es schon immer. Es ist der uralte Konflikt zwischen Conscious und Gangsta Rap, zwischen den Rappern, die es als ihre Aufgabe ansehen, eine Botschaft zu verbreiten oder zumindest insgesamt liebevoll zu sinnvollem Handeln zu ermahnen und denjenigen, die den Tabubruch, die kalkulierte Provokation, die radikale Zuspitzung und den Exzess als ihr Metier ansehen.
Letzten Endes brauchen wir: beides. Es wäre schlimm, wenn es keine Rapper wie Damion gäbe, der eine Message auf dem Herzen hat und diese engagiert und überzeugt verbreitet (ganz zu schweigen davon, dass er Skills en masse hat). Es wäre aber auf der anderen Seite auch ein wenig langweilig, wenn es keine Provokateure und Rebellen wie Money Boy gäbe, der ganz bewusst die Regeln bricht und auf jedwede Rücksicht scheißt.
Dass es letztlich beide Seiten braucht, sollte einleuchten – ohne jetzt das altbekannte Yin und Yang-Ding zu zitieren, aber es ist klar, dass letztlich jede der beiden Seiten die andere braucht, um sich abzuheben, sich zu definieren. Kurz und plakativ: Ohne Conscious gibt es keinen Gangsta-Rap und umgekehrt. Noch plakativer: Ohne Damion Davis gibt es keinen Money Boy. Und umgekehrt.
Dass es beide Seiten braucht, heißt aber nicht, dass die Diskussion sinnlos wäre, im Gegenteil. Es ist wichtig und gut für eine Kultur (und das ist HipHop aller Unkenrufe zum Trotz eben immer noch), dass sie ihre Grenzen, ihre ungeschriebenen Regeln und Tabus, immer wieder neu aushandelt. Es gibt im Rap nun mal keinen Putin, der per Dekret festlegt, was geht und was nicht. Nur eine lebendige, engagiert und leidenschaftlich geführte Diskussion kann solche Fragen ausloten. Immer wieder von neuem. In diesem Sinne war Damion Davis‚ kleiner Rant auch ein wichtiger Diskussionbeitrag – völlig egal, ob man seine Meinung nun teilt oder nicht.