Vorbemerkung: Es handelt sich bei folgendem Text um einen Gastkommentar von Kaveh. Der Rapper ist im Iran geboren, verbrachte seine Kindheit in Frankreich und lebt seitdem in Berlin. Seit Beginn seiner Raplaufbahn beschäftigt er sich mit kontroversen Themen, die vom Alltagsrassismus über Unterdrückung und Kapitalismus bis hin zu imperialistischen Kriegen reichen. Sein Kommentar beschäftigt sich mit der angeblichen Verbindung zwischen Gangsta-Rap und gewaltsamem Islamismus. Der Artikel ist sehr meinungsstark und spiegelt nicht in allen Punkten die Meinung der rap.de-Redaktion wider. Dennoch oder gerade deshalb liefert er interessante Denkanstöße.
In den letzten Jahren hörte man immer wieder von einem angeblichen Zusammenhang zwischen Gangsta-Rap und gewaltbereitem islamischen Fanatismus. Diese Stimmen traten verstärkt auf, nachdem sich der 39-jährige Berliner Ex-Rapper Denis Cuspert (Deso Dogg) 2012 dem IS anschloss und der 32-jährige Pariser HipHop-Fan Chérif Kouachi, der früher von einer Rap-Karriere träumte, Anfang des Jahres das Attentat auf Charlie Hebdo mitverübte. Seitdem gab es immer wieder Zeitungsartikel, darunter in der Bild oder in der Zeit, die eindeutige Zusammenhänge zwischen Gangsta-Rap und Islamismus zu erkennen glaubten. In den sozialen Netzwerken wurde auch schon heftig diskutiert, Mainstream-Rap-Medien wie die Juice haben das Thema aufgegriffen, und es gab mehrere Podiumsdiskussionen. Bei einer dieser Diskussionsrunden zum Thema „Rap und Islam“, das von Raputation.tv organisiert wurde, waren Diskussionsgäste geladen, die entweder keine Ahnung von Rap oder keinen blassen Schimmer vom Islam hatten.
Es ist ja durchaus legitim, die Frage zu stellen, warum laut Verfassungsschutz mehr als 600 Salafisten von Deutschland aus in den Irak und die syrischen Kampfgebiete ausgereist sind. Doch Gangsta-Rapper dafür verantwortlich zu machen, lenkt von den eigentlichen Ursachen ab. Der militante Islamismus ist der nunmehr erwachsen gewordene Sohn eines verbrecherischen Regimes namens US-Staat und einer geldgierigen Ehefrau mit dem Namen Militärindustrie. Der US-Staat leugnet zwar offiziell, den militanten Islamismus gezeugt zu haben, aber heimlich füttert er seinen Sohn mit tödlichen Waffen. Wenn dieser es aber wagt, sich zu sehr breit zu machen, dann weist ihn der Pate nach alter „Teile-und-Herrsche-Manier“ in die Schranken und lässt es medial so aussehen, als wenn er die Menschenrechte verteidigt. Der Imperator duldet keine Konkurrenten neben sich. Notfalls tötet er seine eigenen Kinder, um die unangefochtene Weltmacht beizubehalten.
Dieselben Journalisten und Medien, die eine Affinität von Islamismus und Gangsta-Rap herbeireden, schweigen, wenn es um einen viel triftigeren Zusammenhang geht: Die Verantwortung westlicher Politik und der kapitalistischen Wirtschaftsordnung für Krieg, Terror und Armut auf der Welt. Die USA und ihre Verbündeten in der NATO und Wirtschaft haben in den 80ern (Mujahedin), 90ern (Taliban und al-Kaida) und auch in den letzten Jahren (z.B. al-Nusra) militante Islamisten logistisch unterstützt, bezahlt und mit Kriegsgerät ausgestattet. Jetzt hat auch noch ein geheimes Pentagon-Dokument aus dem Jahr 2012, das Ende Mai in Teilen veröffentlicht wurde, offiziell bestätigt, was Experten schon seit Jahren vermutet hatten: Dass erst durch die Unterstützung der USA der ISIS entstanden ist. Ein „Islamischer Staat“ sei wortwörtlich eine „strategische Chance“ für den Sturz der Assad-Regierung in Syrien und ein Mittel, um die schiitische Expansion im Irak durch Iran einzudämmen. Außerdem: Im Zuge der Bombardierung und Besatzung Afghanistans, Iraks und Libyen starben mehr als 1,5 Millionen Menschen, und in diesen Ländern herrscht schon seit Jahren flächendeckend Leid, Tod und Chaos. Der Angriff auf diese Länder und die dadurch entstandene allgemeine wirtschaftliche und soziale Perspektivlosigkeit sind die Hauptursache dafür, warum sich so viele Menschen in der Region extremistischen Gruppen anschließen. Gleichzeitig sind die Gründe für die Radikalisierung natürlich vielschichtig. Für die im Westen lebenden Menschen mit muslimischem Hintergrund oder den zur IS übergetretenen Konvertiten, reichen die Ursachen von familiären Verlusten bis hin zu sozialen Ausgrenzungserfahrungen wie Rassismus und Armut, politischen und religiösen Motiven.
Nichts rechtfertigt die menschenverachtenden Taten militanter Islamisten. Was dabei jedoch oft unerwähnt bleibt oder verschwiegen wird: die Jihadisten haben mehr Muslime auf den Friedhof befördert als nicht-Muslime. Die Muslime selbst sind die eigentlichen Leidtragenden der NATO-Politik und der daraus resultierenden Stärkung fanatischer Salafisten. Dass gewisse Medienanstalten nun also den Grund für den gewaltbereiten Islamismus im Gangsta-Rap suchen, ist absolut lächerlich. Es verschleiert die Motive der Täter und sagt mehr über den Geisteszustand des jeweiligen Schreiberlings als über das behandelte Thema aus. Nur weil es viele muslimische Rapper gibt, die ihre Religion gegebenenfalls auch künstlerisch zum Ausdruck bringen, bedeutet nicht, dass diese Rapper Islamisten sind oder gar gefährdet sind, zum IS überzulaufen. Auch nicht, wenn einige wenige von ihnen mit salafistischen Stilmitteln hantieren oder mit islamistischen Gewaltfantasien kokettieren (z.B. Bushido), um eine Kunstfigur zu schaffen, mit der es sich noch mehr Geld verdienen lässt als vorher. Einen direkten Zusammenhang zwischen Rap und militantem Islamismus nahezulegen wäre genauso hirnrissig wie zu behaupten, jeder Priester sei ein Pädophiler.
Menschen, die sich aus dem Westen dem IS anschließen, verfolgen in der Tat rückschrittliche und menschenverachtende Ziele. Sie wollen es dem US-Imperium und dessen NATO-Verbündeten in erster Linie heimzahlen, um sich gegebenenfalls mit Gewalt zu nehmen, was ihnen und den Menschen in ihren Ursprungsländern bzw. ihren muslimischen Brüdern und Schwestern jahrelang verwehrt worden ist: ein Leben in Würde. Dies lässt sich z.B. aus den Aussagen der Attentäter von Boston und auch Charlie Hebdo schließen. Chérif Kouachi, der oben erwähnte Attentäter von Paris z.B., sagte in einem Interview, dass er sich erst durch Bushs Irak-Krieg radikalisierte: „Es war das einzige, was ich im Fernsehen sah, die US-Folter im Abu-Ghraib-Gefängnis, all diese Dinge haben mich dazu motiviert.“ Er wollte schon 2005 in den Irak, um gegen die Besatzer zu kämpfen, aber er wurde vorher bereits von der Polizei festgenommen.
In Zukunft ist es leider nicht auszuschließen und keineswegs unwahrscheinlich, dass sich einige HipHop-Fans und ehemalige Rapper, wie auch andere verbitterte oder perspektivlose Muslime, gewaltbereiten Islamisten anschließen werden. Dazu tragen die staatsterroristische Mafia-Politik westlicher Staaten und ihrer treuen politischen Gehilfen im Nahen und Mittleren Osten, Diskriminierung, Fremdenhass und auch die mediale Heuchelei kräftig bei. Damit meine ich die andauernden Kriege und die anhaltende Ermordung tausender Zivilisten durch US-Bomben und Drohnen, die auch noch von deutschem Boden aus (v.a. Ramstein) gesteuert werden. Damit meine ich auch den strukturellen Rassismus, der Jugendliche mit migrantischem oder muslimischem Hintergrund in Europa und den USA von der Gesellschaft ausschließt, das heißt im Alltag durch Polizeischikanen oder auf dem Arbeits-, Bildungs,- Wohnungs- und Unterhaltungsmarkt (z.B. Discos) diskriminiert.
Natürlich bringt es nichts, eine Opferhaltung einzunehmen, statt sich zu bemühen, etwas aus dem eigenen Leben zu machen. Wenn wir uns den Arsch aufreißen würden, wird uns oftmals entgegengebracht, könnten auch wir Muslime und Schwarzköpfe es zu etwas bringen. Teilweise stimmt das ja sogar und es gibt dafür auch genügend Beispiele. Aber der Konkurrenzkampf ist groß, und die meisten bleiben leider auf der Strecke, während diejenigen, die es nach oben schaffen, häufig ihre Seele gegen Geld und Erfolg eingetauscht haben. Das ist allerdings zum großen Teil auch systembedingt und nicht nur ein Persönlichkeitsproblem.
Doch zurück zum Thema. Auch die Doppelstandards, die von den Massenmedien angelegt werden, wenn es um Meinungsfreiheit geht, spielen eine wichtige Rolle und befeuern den Hass auf den Westen. In vielen Medienanstalten und weiten Teilen der Politik und Gesellschaft wird das Leben weißer Menschen aus Industrienationen höher gewertet und geschätzt als der Rest, während notleidende Menschen aus der sog. Dritten Welt tagtäglich leiden und sterben müssen. Viele von uns sind wütend, weil wir sehen, dass westliche Medien, Politiker und die bürgerliche Gesellschaft die Meinungsfreiheit hochhalten und von westlichen Werten sprechen, aber gleichzeitig rassistische Äußerungen machen, Menschenleben mit zweierlei Maß messen, sich die Taschen vollstopfen, die ärmeren Klassen und Länder ausbeuten oder angreifen und uns dabei noch den Mund verbieten wollen. In Frankreich, wo Zeitschriften wie Charlie Hebdo oder Parteien wie der Front National seit Jahren im Namen der Meinungsfreiheit rassistische Hetze verbreiten können, wurden in den letzten Jahren mehrere Rapper mit arabischen und afrikanischen Wurzeln von Staat und Medien zensiert oder standen nach regierungskritischen Äußerungen vor Gericht. Auch mir wurden in den letzten Jahren mehrere Konzertabsagen für bereits zugesagte Veranstaltungen erteilt, während die Mainstream-Rap-Medien meine Musik größtenteils boykottieren. Mir und anderen Künstlern beraubt man unserer Meinungsfreiheit und schließt uns aus, weil den Veranstaltern, Plattenfirmen und Chefredakteuren unsere Solidarität mit Palästina oder unsere Systemkritik nicht passt, und sie Angst vor negativen beruflichen Folgen haben.
Die immer weiter zunehmende politische und mediale Heuchelei, die westlichen Interventionskriege und ihre verheerenden Folgen für die Menschen in der Region, der im Westen vorherrschende Rassismus und soziale Ausgrenzung bilden den eigentlichen Nährboden für den gewaltbereiten Islamismus. Solange die Übel nicht an der Wurzel gepackt werden, wird es immer wieder Menschen geben, die sich solchen Gruppen anschließen. Rassismus, Imperialismus und Kapitalismus, nicht Gangsta-Rap und Islamismus sind der wahre Grund für den Zulauf von Extremisten.
Rap ist die vielleicht populärste Musikrichtung der Welt und bildet zum Teil auch den Soundtrack eines Trauerspiels. Aber nicht, weil es eine angebliche Affinität zwischen Gangsta-Rap und Islamismus gibt, sondern weil Rapmusik größtenteils sexistisch, homophob und luxusverherrlichend daherkommt und den neoliberalen Kapitalismus reproduziert. Dass sich der IS in seinen Propagandavideos an der Ästhetik von Rap-Clips orientiert, hängt, wenn überhaupt, vor allem mit Marketinggründen und nicht mit dem Medium Rap an sich zusammen. Rap spiegelt die Gesellschaft wieder und kann von rechten oder auch von Islamisten instrumentalisiert werden. Rap fängt aber auch viele Menschen auf, bietet ihnen Halt und eine Perspektive. Ohne Musik und Rap gäbe es nicht weniger, sondern mehr Gewalt auf den Straßen. Von den Anfängen des HipHop in den 80er Jahren bis heute haben Rap und die anderen drei Elemente dieser Kultur den Druck von der Straße genommen und die sozialen Aggressionen in künstlerische Bahnen gelenkt.
Die rapfeindlichen und islamophoben Journalisten, die immer wieder einen Zusammenhang von Gangsta-Rap und militantem Islamismus suggerieren, sollten sich vielleicht einmal zur Abwechslung damit auseinandersetzen, wie viele soziale Missstände durch Rapmusik erst Aufmerksamkeit bekommen und an die Oberfläche gelangen, wie Gewalt durch HipHop-Projekte umgepolt und dadurch teilweise sogar verhindert wird, bzw. wie viele gesellschaftskritische und positive Energien und Visionen durch Rapmusik entstehen und Verbreitung finden. Rap ist natürlich nie die Ursache von Problemen und kann die Welt auch nicht verändern. Aber Rap kann dazu beitragen den Ist-Zustand der Gesellschaft zu durchleuchten, ihn dabei schlimmstenfalls zu verinnerlichen oder bestenfalls infrage zu stellen, Orientierung zu bieten, Denkanstöße zu geben, für Proteste zu mobilisieren und einen Zufluchtsort zu schaffen. Nicht mehr und nicht weniger.
Autor: Kaveh