„Our art is a reflection about our reality“ („Straight outta Compton„)
Ob das nun aus dem Mund des fiktiven Ice Cube oder des echten Ice Cube stammt, tut hier nichts zur Sache. HipHop ist Kunst. Rapper sind Künstler. Darüber müssen wir wirklich nicht streiten, das übernimmt ja der Rest der Gesellschaft für uns. Vielen Dank. Wenn Rap also Kunst ist und jeder das machen kann, was er will, warum gibt es dann auf allen Kanälen der sozial-virtuellen Gemeinde und auch im Reallife so viel Beef, so viele Hater, so viele Beleidigungen? Wir diskutieren, wir streiten, quasi täglich. Wir debattieren, ob Kendricks „To Pimp a Butterfly“ so dope ist wie „good kid, m.A.A.d city“, ob Money Boy das, was er da tut, wirklich ernst meint und wie viel Rap das noch ist, wir reden über Credibility, über Realness, und darüber, wer das beste Album droppt. Und wir haben einhundert Leute gefragt (Werner Schulze-Erdel-Voice an) und einhundert verschiedene Meinungen eingeholt. Selbst im utopischen Idealfall, dass wir uns alle mal einig sind – wie objektiv treffen wir dieses Entscheidung – wir, die HipHop so feiern? Anders gefragt – wie objektiv müssen wir eigentlich entscheiden?
Da haben wir doch neuerdings unsere eigenen Charts – und sind mehr schockiert als euphorisch über die jüngsten Ergebnisse, in denen sich irgendein dahergelaufener Youtube-Vogel (mehr dazu von Skinny) an der Spitze der Wochencharts breit macht. Die eigene Sparte in den Charts bringt uns also, völlig subjektiv betrachtet, rein gar nichts, weil wir in unserer Meinungsbildung völlig auf die Fakten und die Zahlen scheißen. Die Charts werten völlig objektiv, absolut rational und trotzdem passt es uns nicht.
Wieso lehnen wir uns nicht einfach zurück, lassen die Zahlen entscheiden, wer am geilsten ist und sparen uns somit jegliche hitzigen Diskussionen? Keiner müsste mehr Beef mit dem anderen haben und alle (spät-)pubertierenden Facebook-Rambos könnten sich wieder um ihre Schulaufgaben kümmern, statt mit orthographisch fragwürdigen Kommentaren um sich zu werfen. Gut, die offiziellen Zahlen sind immer noch gehüteter als jedes Staatsgeheimnis. Aber ginge es uns damit besser? Bestimmt nicht. Zugegeben genießen wir doch alle diese Diskussionen , ob Kollegah SAV nun das Krönchen streitig machen könnte oder eben nicht, ob „CCN3“ wirklich noch den Namen verdient, oder ob Genetikks neue Bombe uns das Hirn raus blasen wird (dazu gibt’s
’ne Review, übernehmen wir für euch). Dass das Ganze auf einem Niveau mit echten Argumenten stattfinden muss und über der Gürtellinie bleiben darf, steht dabei außer Frage.
Jede unserer Meinungen ist beeinflusst durch unsere Vorgeschichte, durch das, was vielleicht unser großer Bruder Ende der Neunziger gefeiert hat oder aus welcher Ecke der Republik wir stammen. Wir sind also alle in gewisser Weise vorgeschädigt, sagen wir geprägt, unsere Meinung wird niemals objektiv sein.
Aber statt der spießigen Haterei, mit der die kleinen Jungs in ihren sicheren Festungen, die heutzutage die anonymen Profile im World Wide Web darstellen, immer wieder auf allen sozialen
Kanälen um sich werfen, täte uns im Endeffekt ein klein bisschen Objektivität wirklich gut. Objektivität ist in diesem Zusammenhang die Liebe zum Game, zu HipHop, zu bösen Punchlines,
die uns ein respektvolles „oooh!“ entlocken und derben Beats, an ohrwurmverursachenden Hooks und Lines, die wir auch in zwanzig Jahren bei der richtigen Gelegenheit noch zitieren – unabhängig davon, welcher Künstler dafür verantwortlich ist. Bitch, don’t kill my vibe!
Ich will hier jetzt gar nicht auf Moralapostel machen, ich erwische mich selbst immer wieder dabei, wie ich voreingenommen ein Video wegklicke, weil ich den Künstler nicht mag oder mir ein Album nicht anhöre, weil das letzte nicht so gut war wie erhofft. Und nein, man muss auch nicht alles mögen und feiern, darum geht’s auch nicht. Es geht viel mehr darum, ohne vorgefertigte Meinung die Musik, die uns die Rapper dieser Welt liefern (wofür wir ihnen dankbar sein sollten, ohne Rap sähe es ganz schön whack aus), anzuhören, wertzuschätzen und im Idealfall zu feiern – weil sie gute Mucke machen, nicht weil wir sie mit unserer besten Freundin verkuppeln wollen. Ich verspreche euch, wenn „Choices“ nicht auf Money Boys Mist gewachsen wäre, würdet ihr es auf jeden Fall feiern… (die Idee hatte übrigens auch schon mal E-40, Anm. d. Red.)
Jetzt aber mal auf die andere Seite – wie objektiv sollten die Künstler selbst Props geben, wie objektiv sollten sie pöbeln (wie widersprüchlich ist das denn?) und wie kritikfähig muss man als
Künstler sein? Man denke nur an Flers provokanten Tweet vor nicht allzu langer Zeit, den Azad in den falschen Hals bekommen hat – und für den sich der Herr Losensky aufrichtig entschuldigt hat, er würde dann jetzt ein bisschen „Aussage und Technik lernen gehen.“ Und dann denke man an all die vorangegangenen Beleidigungen an ebendiesen, die nicht ganz so liebevoll geschlichtet wurden. Richtig, man ahnt es schon – es geht um Respekt. Respekt vor dem Künstler und seinem Produkt, aber ganz banal auch einfach um Respekt anderen Menschen gegenüber. Schön. Auch unsere Szene kann Kritik offensichtlich vertragen und konstruktiv umsetzen – wenn sie berechtigt ist. Davon könnte sich der ein oder andere Künstler gern ne Scheibe abschneiden, statt achtundzwanzig beleidigende Rhymes zu suchen und daraus ein neues Album zu basteln.
Wir sind doch alle in dieser Szene unterwegs, weil wir auf den gleichen Scheiß stehen, weil wir HipHop lieben und das Teil unser aller Identität ist. Ziehen wir uns also doch mal gemütlich den Stock aus dem Allerwertesten, entspannen uns ein bisschen und kommen endlich wieder dahin zurück, wo wir angefangen haben – bei der Begeisterung zum Deutschrap. Hocken wir uns zusammen, trinken eine hippe Limo und hören ein bisschen Trap, ein bisschen Gangsta Rap und ein bisschen deeperen Shit, den uns Azad für dieses Jahr versprochen hat. Wir könnten einfach ein Spaß haben und über das amüsieren, was uns zu unserer Unterhaltung geboten wird – dafür ist Musik da! Freuen wir uns weiterhin über aggressive Lines von Künstlern, die hungrig sind und Bock auf das Game haben – aber ohne das Ganze viel zu ernst zu nehmen. Das ist Kunst – und nein, das kann nicht weg.