Eine Gruppe junger Männer und Frauen sitzt im Park auf der Wiese. Alle sind hip gekleidet. Nicht schön, aber hip. Die Männer tragen sehr enge Hosen und haben schicke, hochgeföhnte Frisuren. Die Seiten sind kurz rasiert. Einer der Männer trägt einen bedruckten Jute-Beutel, einer trinkt eine Soja-Latte von Starbucks. Ein bisschen davon bleibt in seinem Schnauzbart hängen. Eine der Frauen hat ebenfalls rasierte Haare, aber nur an einer Seite. Sie trägt eine runde John-Lennon-Sonnenbrille und raucht eine selbstgedrehte Zigarette. Abgeascht wird in eine leere Club Mate-Flasche. Die andere schließt ihr iPhone an die Retro-Boombox an. Es ertönt „Ihr Hurensöhne“ von Haftbefehl. Begeistert rappen sie die Hook mit und lachen. Im Hintergrund sieht man einen Typen mit fünf Bällen auf einmal jonglieren. „Chabos wissen wer der Babo ist, Brudi“ raunt einer der Kerle mit den schönen Haaren dem mit dem Kaffee und dem Schnurrbart zu und deutet auf den Jongleur. Sie grinsen.
Ja. „Ihr Hurensöhne„. Ganz toll seid ihr, wie hip und ironisch ihr Straßenrap hört und zitiert. Wie weltgewandt und zugleich überlegen ihr seid. Wie ihr eure Mediengestaltungs-Kommilitonen süffisant grinsend fragt, ob sie in der Hausarbeit auch so „rasiert“ hätten. Ihr hört ja eigentlich keinen Rap, sondern eher Indie-Rock, Minimal und natürlich Paul Kalkbrenner. Zum feiern auch gerne mal Psytrance oder Techhouse. Auch Progressive, aber nur wenn ihr MDMA genommen habt. Rap hört ihr nur aus Spaß. Ironisch. Besonders Straßenrap. Weil es einfach amüsant ist und man drüber lachen kann. Natürlich lacht ihr nicht böswillig darüber, nein einfach ironisch – ihr meint ja eh fast alles ironisch. Ihr habt nichts gegen Straßenrap, nein – ihr mögt ja auch Streetart. „Urban Music, Streetart und Graphic Novels / What the fuck? Ich kenn‘ nur Graffiti, Rap und Comics“ um es mit NMZS‚ Worten zu sagen. Ihr seid die Typen, die noch vor fünf Jahren abfällig geschaut haben, wenn man gesagt hat, dass man Rap hört. Die Wichser, die, wenn es um Rap ging, unkontrolliert mit den Armen gefuchtelt, die Finger zu fiktiven Gangzeichnen verknotet und „Yo Yo, isch fick deine Mutter!“ gegrunzt haben. Jetzt hört ihr ernst gemeinten Straßenrap auf eure unverbindlich ironische Art und Weise.
Ihr arroganten Schnösel! Ihr hättet euch vor ein ein paar Jahren niemals auf ein Haftbefehl-Konzert getraut. Ihr hättet Angst gehabt, euch ein Messer zu fangen oder zumindest um euer geliebtes iPhone erleichtert wieder nach Hause zu kommen. Ihr, in eurem Elfenbeinturm aus Oberflächlichkeit, latenter Xenophobie und Geltungsbedürfnis. Ihr haltet euch für etwas Besseres. Ihr wollt eure Überlegenheit gegenüber diesen „dummen, ungebildeten Kanacken“, für die ihr sie haltet, zelebrieren, ohne dass man euch daraus einen Strick drehen kann. Wahrscheinlich nicht einmal bewusst. Aber ihr tut es. Ihr macht euch darüber lustig, ohne euch wirklich im klaren darüber zu sein. Ihr stellt euch in euren hippen Klamotten, die nicht alle verstehen, weil das ein Livestyle und ja eigentlich auch ironisch ist, auf ein Podest. Habt ihr jemals gesehen, dass irgendwelche HipHop-Heads ironisch Paul Kalkbrenner hören?
Rap hatte seinen Boom. Rap-Hörer sind keine Exoten in zu weiten Hosen mehr. Rap ist ein salonfähiges Genre. Ihr könnt euch dem nicht mehr verweigern und es von oben herab als Idiotie abtun. Also belächelt ihr es. Ihr kokettiert damit auf ironischer Ebene, macht euer eigenes Ding daraus. Straßenrap ist eine Art Maskottchen für euch, aber keine Musik, die ihr mit Kopfhörern in der U-Bahn hört. Ihr nennt eure Freunde „Brudi“ weil das voll lustig und exzentrisch ist. Vielleicht nennt ihr sie mittlerweile auch „Bira“, Hafti ist schließlich schon ein paar Monate her und die neue Catchphrase „Ich trage Mantel“ taugt ja auch, um sie kess auf dem Campus zu zitieren. Ihr seid verdammt respektlos, wisst ihr das eigentlich?
Warum hört ihr nicht Rick Ross oder Kool G Rap ironisch? Weil das zu weit weg von eurer Realität ist. Die Gangster von Übersee sind nicht so nah an euch dran, darüber müsst ihr euch nicht lustig machen. Ihr könntet natürlich, aber wozu? Es macht doch viel mehr Spaß sich über Menschen zu stellen, die ihr Tag für Tag auf der Straße seht. Ihr erkennt einen echten Straßenrap-Hörer wenn ihr ihn seht. Ist ja klar, diese Möchtegern-Gangster, die das ernst nehmen. Zum Glück seid ihr nicht so stupide. Casper ist ganz gut. „Ein Rapper, der nicht meine Mutter ficken will“. Aber sonst? Musik für Idioten, wobei es ja eigentlich gar keine richtige Musik ist. Die können ja nicht mal singen. Egal, lustig ist es, oder, Bratan? Macht schon gute Laune, mit der Clique im Park nach ein paar Bier-Mischgetränken mit zu rappen. Später geht’s dann noch ins Berghain – zu richtiger Musik tanzen. Alles schön und gut – aber bitte lasst Rap in Ruhe. Er hat euch nichts getan. Bis jetzt.