Warum wir Swag-Rap lieben (Kommentar)

Es dürfte niemandem entgangen sein, dass wir auf rap.de in letzter Zeit verstärkt Videos posten, die ein paar Dinge gemeinsam haben: Die Protagonisten legen weniger Wert auf saubere Technik und Achtfachreime, behandeln thematisch hauptsächlich enormen Reichtum, Polygamie und den Konsum von codeinversetzter Limonade in zwei Styroporbechern und – vor allem – gehen mit viel hörbarem Spaß an der Sache zu Werke. Die Instrumentale haben meist ein Tempo von etwa 140 bpm, sind fast immer mit zischenden 808-Drums und fiesen Synthielines bestückt, Claps sind ebenfalls ein beinahe unverzichtbares Grundelement. Es geht um Swag-Rap, wie ich ihn fortan griffig bezeichnen werde. Das soll keine endgültige Schublade darstellen, aber was gemeint ist sollte klar geworden sein.

Warum aber lieben wir von rap.de Money Boy, MC Smook und den Hustensaft Jüngling, die Cosmo Gang, die Blauen Burrrka Buben, die Berg Money Gang und das ChickinVVingSyndikat? Ganz einfach: Weil sie so wunderbar unverkrampft sind. Man hört den Jungs einfach an, dass sie das aus Spaß an der Sache machen. Dass sie nicht versuchen, irgendwelchen Ansprüchen gerecht zu werden oder auf einen Zug aufzuspringen, nur weil der Richtung Charts fährt. Und das hört man. Etwas pathetisch: Man hört die Liebe, die darin steckt. Damit ist keine Akribie, keine Perfektion gemeint, sondern die hörbare Liebe zur Sache an sich. Spaß beim Aufnehmen bedeutet Spaß beim Hören. Die Lockerheit und die lässige Herangehensweise, die all das überstrahlt und die schlicht und ergreifend die Definition von Swag ist. Der echte Swag, nicht der, der pervertiert als cooles, sinnernleertes Slang-Wort, die überteuerten Snapbacks und Shirts irgendwelcher Hipster ziert. Nein, dieser greifbare, authentische und unkalkulierte Swag ist es, der den Hörgenuss des Swag-Raps ausmacht.

Genau das fehlt deutschem Rap nämlich: Neben der mangelnden Eigenständigkeit ist deutscher Rap auch oft unfassbar verkrampft. Deutscher Rap hat auch 2015 immer noch den einen oder anderen Stock im Arsch. Einen riesigen. Wenn Fler oder Farid Bang Trap-Ausflüge wagen, dann geschieht das nach einem Plan vom Reißbrett. Genau wie beim flowversierten Rapsta, der das Medium der Trap-Beats nutzt, weil die 140 BpM Raum für abwechslungsreiche Doubletime-Flowabfahrten bieten. Das istalles natürlich trotzdem legitim – aber locker ist das nicht. Auch nicht, wenn man auf Teufel komm raus versucht es locker klingen zu lassen.

Genre-Korryphäen von jenseits des großen Teichs wie Young Thug, Riff Raff oder Gucci Mane geben keinen Fick. Die sehen auch nicht aus, wie sie aussehen, um irgendeiner Rolle als Exzentriker gerecht zu werden. Die machen einfach. Wer, außer den Swag-Rappern, macht in Deutschland einfach drauf los? Es wird immer geplant, studiert und berechnet. Nicht, dass das per se etwas schlechtes wäre – technisch hat das teilweise nahezu unerreichte internationale Höchstleistungen zur Folge. Aber darunter leidet eben: der Spaßfaktor. Und die Jungs brechen endlich damit. Sie brechen mit so ziemlich allem. Stilbrüche, Normbrüche, Maßstabsbrüche. Scheiß auf den Rhyme. Ich mach‘ lieber ein paar Birdcall-Adlibs. KrahKrah! Burrr! Scurrr! Jetzt noch ein bisschen an den Autotune-Reglern herumspielen. Einfach so. Fertig ist das Gartenhäuschen. Sie ziehen Deutschrap ein paar Stöcke aus dem Arsch. Klingt befreiend? Ist es auch.

Als ich mich mit Oliver Marquart über diesen Artikel unterhielt, kam noch etwas zu Tage: Oli ist fast doppelt so alt wie ich und was Rap angeht im Grunde von Anfang an dabei gewesen. Er hat alles mitbekommen. Ich habe natürlich auch sehr vieles nachgeholt, aber ich habe die Ära, zu der sich nun gefühlt die Hälfte aller Deutschrapper zurück orientiert („Zu ihren Wurzeln zurückkehren„, wie man so schön sagt) nie miterlebt. Oli hat das. Und nun wiederholt sich der ganze Spaß. Funktioniert ja auch. Aber nix mit Innovation. Wer bringt also den frischen Wind? Richtig. Money Boy und Konsorten. Die Swag-Rapper. Ein nie dagewesenes Phänomen. Überhaupt hat nie jemand so auf die „Regeln“ deutschen Raps geschissen, wie diese Burschen es tun. Und das ist ungemein erfrischend. Auch für mich 24/7-Rap-Nerd, aber erst recht für all diejenigen, die alles, von Heidelberg  über Hamburg und Stuttgart bis Aggro und Berlin bis heute miterlebt haben. Ein Großteil davon scheint nicht offen für Swag-Rap zu sein und kann das nicht genießen. Warum? „Das ist doch kein HipHop!„. Stock im Arschhalt.

Ich will niemanden bekehren und auch nicht sagen, dass man, wenn man Swag-Rap nicht mag, generell diesen Stock im Arsch hat. Auch die „Wem’s nicht gefällt, der soll’s einfach nicht hören!„-Karte will ich niemals (! um’s Verrecken nicht!) ausspielen. Ich will nur klar stellen, warum diese neue Entwicklung so gut ist. So erfrischend. Musikalisch in sich und für Deutschrap allgemein. Ich habe nie ein Konzert erlebt, wie es bei meinem Besuch beim Money Boy-Konzert der Fall war.

Um einen verbreiteten Irrtum aus der Welt zu schaffen: Es handelt sich bei diesen Movements auch nicht um originalgetreue Kopien amerikanischer Swag-Rapper. Es wird sich sehr daran orientiert, aber es wird nicht versucht, möglichst originalgetreu dem zu Entsprechen, was Übersee geschieht. Es wird eben nicht analysiert und am Reißbrett auf die deutsche Sprache übertragen. Das ist schon alleine aufgrund der phonetischen Gegebenheiten ein wohl unmögliches Unterfangen. Es wird einfach durchgedreht. Einen deutschen Waka Flocka Flame oder Lil Wayne werden wir wohl nie haben. Aber wir haben die Glo Up Dinero Gang. Oder die Berg Money Gang. Oder die Blauen Burrrka Buben oder die Cosmo Gang. Und die machen, worauf sie Bock haben. Das ist gut. Und hat Swag.