Wird schon, Bruder: Warum Kopf-Hoch-Songs nicht langweilig sein müssen (Kolumne)

Kopf-Hoch-Songs gelten oft als einfallslos und stumpf. Das ist nicht ganz fair, wie die folgenden Beispiele zeigen.

Gib nicht auf“, „Kopf hoch“ oder „Alles wird gut, Bruder“. Wieso rappen sie alle das Gleiche? Das ist sooo einfallslos, stumpf und kitschig.“ (Irgendein Rapfan, immer)

Sagt ein Kenner des deutschen Raps „Kopf-Hoch-Songs“, dann verwendet er diesen Begriff in der Regel mit einer ordentlichen Brise Verachtung. In besagten Songs geht es seit jeher um seelische Plagen der Vergangenheit und das Überwinden dieser Phasen. Sie wollen dem Hörer Kraft geben. Und vielleicht ist der Sammelbegriff nach einem der ersten dieser motivierenden, aufbauenden Lieder im deutschen Streetrap entstanden: AzadsKopf Hoch“ mit Jonesmann (vom Album „Bozz„, 2004).

Diese Tracks, auf denen die sonst so harten Jungs Einblicke in ihr Innenleben gewähren – und das sogar konstruktiv; sie machen der Hörerschaft Mut –, haben aber trotz aller inzwischen darum entstandenen Klischees nach wie vor ihre Daseinsberechtigung. Sie müssen auch gar nicht stumpf, kitschig und einfallslos sein. Drei Gegenbespiele:

Gott ist groß“ von Criz mit Yassir, Manuellsen und Jonesmann (aus dem EchteMusik-Sampler „Kapitel Eins: Zeit für was Echtes„, 2009)

Auf der Suche“ von Bushido mit Saad (aus dem Ersguterjunge-Sampler „Nemesis„, 2006)

Aufgeben“ von Hanybal (aus dem Album „Weg von der Fahrbahn„, 2015)

Männern wird oft vorgeworfen, dass sie nur beim Fußball-Gucken Gefühle zeigen könnten. Das ist falsch. Es gibt kaum einen deutschen Rapper der Straße, der auf einem Album mindestens auf einem Lied seine melancholische Seite zeigt. Traditionell eifert ein Straßenrapper in seiner Darstellung dem stereotypen Ideal der Männlichkeit nach. Trotzdem zeigt er Gefühle. Er tut das, was eine fortschrittlichere Gesellschaft von ihren Kerlen fordert: weg vom stereotypen Männerbild. Wieso ernten diese Künstler so viel Verachtung, wenn sie das tun? Man sollte diesen Mut stattdessen begrüßen, zumindest anerkennen.

Die Erfahrung, dass das Leben oft hart ist, hat viele Rapper ihr eigenes Leben gelehrt. Das haben die nicht nur in einem Buch gelesen. Ein Beispiel: Von der Hauptschule zunächst ohne Schulabschluss abgehen, die falschen Freunde finden, jahrelang auf der Straße herumlungern, Scheiße bauen und, sagen wir, mit 25 kaum etwas auf seinen Lebenslauf schreiben zu können. So in etwa verlief das Leben von Hanybal, der mit 32 Jahren sein Debütalbum „Weg von der Fahrbahn“ veröffentlicht hat. Diesen durchlebten Schmerz packt seine emotionsgeladene Stimme in nachdenklichere Lieder wie „Spiegel“ oder „Aufgeben„.

Jeder nachdenkliche Song zeugt von Reflexion. Auch wenn für manchen Hörer das Ergebnis der Gedanken des Rappers zu banal erscheint oder keine neuen Erkenntnisse liefert, sollten wir damit einverstanden sein, dass Denken in erster Linie etwas Gutes ist. Grübelt man über einen begangen Fehlern, kann die richtige Schlussfolgerung dazu führen, dass das Fehlverhalten nicht wiederholt wird.

Zur Verdeutlichung: Nicht mal die vermeintlich so hochgeistige Philosophie muss immer spitzfindig oder gar verkopft sein. Sen no Rikyu, ein japanischer Philosoph aus dem 16. Jahrhundert, war zum Beispiel davon überzeugt, dass der Mensch nicht zwangsläufig im Ausführen komplizierter Gedanken, sondern eher in banalen Alltäglichkeiten Erfüllung findet: Seine Philosophie befasst sich mit dem Teetrinken.

Außerdem muss man oft nur genauer und mit weniger Vorbehalten hinhören, um das zu erkennen, dass in scheinbar abgedroschenen Zeilen interessante Gedanken stecken. Hier ein Beispiel: „Auf dem Weg Richtung Glück ist nur wichtig, was bleibt„, rappt Mosh36 in „Chill maaa“ (aus dem Album „Unikat„, 2015). Der Berliner gibt damit nicht nur eine äußerst interessante Gebrauchsanweisung zum Glücklichsein. Er stellt dem Hörer die Frage, was denn in seinem Leben von Dauer ist, also (auf Lebenszeit) bleibt.

Rapper sind keine Idioten. Und solange ihre melancholischen Lieder die Hörer berühren, mich zum Beispiel, ihnen Kraft geben oder zum Nachdenken bringen, dürfen sie auch „Alles wird gut, Bruder“ rappen. Und wenn dir das nicht gefällt: Kopf hoch. So schlimm ist es nicht.