Deutscher Rap ist oft poetisch. In den Schulen wird aber kaum Zeitgenössisches gelesen. Das muss sich ändern. Auch Deutschrap sollte seinen Platz in den Lehrplänen finden.
In den kommenden drei Tagen strömen im Zuge der Leipziger Buchmesse mehr als 60.000 Schüler und mindestens halb so viele Lehrer in die ostdeutsche Stadt. Die Jugendlichen würden aber fast nichts mit zeitgenössischer Belletristik anfangen können, schrieb Sandra Kegel vor zwei Tagen in der FAZ.
In Berlin und Brandenburg sei Bertolt Brecht – seit 60 Jahren tot – der modernste in der Schule gelesene Autor, so die Journalistin. Obgleich das Schulsystem Kompetenzbereich der Bundesländer ist, lasse sich eine deutschlandweite Tendenz erkennen: In den Klassenzimmern spiele Literatur unserer Tage kaum eine Rolle. Einzelne Ausnahmen gibt es. Sachsen hat zum Beispiel Juli Zehs 2009 erschienenes „Corpus Delicti“ auf den Lehrplan gesetzt. Kegel betont die Bedeutung der Klassiker, aber fordert von Lehrern „gegenwärtigen literarischen Entwicklungen“ nicht außen vor zu lassen.
Für seinen Roman „Vor dem Fest“ erhielt Saša Stanišić letztes Jahr den Leipziger Buchpreis für Belletristik. Am Erscheinungstag des FAZ-Textes las er Münchner Schülern aus seinen Werken vor. Für den in Heidelberg Aufgewachsenen ist es laut eigener Aussage kein Wunder, dass die Literatur die Jugendlichen langweile. Die besprochenen Bücher hätten gar keinen Bezug zu ihrem Leben.
Die Lehrer arbeiten sich an immer gleichen Autoren ab, können die Klassen dabei kaum motivieren, wie auch, wenn die das alles nicht betrifft
— Saša Stanišić (@sasa_s) 10. März 2015
Und hier kommt deutscher Rap ins Spiel. Er könnte durchaus als Türöffner für interessanteren Deutschunterricht fungieren. Auf dem morgendlichen Weg zur Arbeit fallen einem mehr kopfhörertragende als bücherlesende Jugendliche auf. Vielen von ihnen rappt jemand ins Ohr, bevor sie das Federmäppchen auf den Tisch legen. Und die Verse deutscher Rapper sind literarisch wertvoll – natürlich nicht alle, aber dafür seit Anbeginn der HipHop-Musik. Man erinnere sich an Advanced Chemistrys „An das Publikum“ (1992), ein Song in Anlehnung an das gleichnamige Gedicht von Kurt Tucholsky aus dem Jahre 1931. „Rap ist die Literatur der Jugend„, schrieb Michael Pilz Februar 2014 in der Welt. Haftbefehls sprachliche Eigenart lasse sich nicht in Literaturinstituten erlernen, so Daniel Haas in der Zeit im November 2014. Er kürte den Offenbacher zum „deutschen Dichter der Stunde“.
Rap als Komponente in den Deutschunterricht einzubinden, ist heutzutage möglich. In der Vergangenheit schreckten Pädagogen davor zurück: Es herrschte die Angst, dass die Schüler mehr als die Lehrer über das Unterrichtete wissen könnten. Nun lehrt bereits eine Generation, die selbst mit HipHop aufgewachsen ist und folglich Ahnung von dieser Musik hat. Der Deutschlehrer Christian Mahnke vom Peter-Petersen-Gymnasium in Mannheim ist einer von ihnen. Anstatt eine Arbeit oder Referat zur Interpretation von Franz Kafkas Roman „Der Prozess“ (1925) zu verfassen, ließ Mahnke seinen Schüler Tobias Stoll einen Rap-Song dazu schreiben. Der Lehrer benotete das kreative Projekt nicht nur mit 15 Punkten. Es ist auch durchaus hörbar, und das Bemerkenswerte daran ist: Stoll habe durch das Rappen viel mehr über das Buch gelernt als im Unterricht.
2002 veröffentlichte Sascha Verlan im Reclam-Verlag das Buch „Texte und Materialien für den Unterricht: Rap-Texte„. Zwei Mal wurde das Werk in der Zwischenzeit aktualisierend erweitert. Der Forscher zeigt darin den literarischen Mehrwert der gerappten Texte. Da wären zum Beispiel die Anspielungen auf schon bestehende Literatur. Das schon genannte Lied von Advanced Chemistry ist so ein Fall. Ein Schüler, der von der Parallele zu Tucholsky erstaunt ist, wird sich vielleicht auf seinem Smartphone den Wikipedia-Eintrag des Schritstellers durchlesen. So könnte HipHop tatsächlich für die Literatur sensibilisieren.
Vor allem wegen eines seiner Leitmotive – der Do-it-Yourself-Attitüde – hat Rap das Potential Literatur für junge Menschen schmackhafter zu machen. Für Verlan, der 2012 ein ausführliches Interview zu seinem Buch mit dem Deutschlandfunk führte, unterscheidet sich Rap genau an diesem Punkt von der restlichen Literatur: der Impuls, selbst zu dichten. Dieser kann dazu führen, dass Schüler sich einen persönlicheren Bezug zur Literatur erlesen, sich in bestimmten Romanen von Autoren wiederfinden, oder vielleicht sogar selbst mit dem Schreiben anfangen.
Sandra Kegel hat vollkommen Recht, wenn sie schreibt, dass es in in den Büchern, die im Zuge des Deutschunterrichts gelesen werden, darauf ankommt, das kritische Bewusstsein der jungen Leser zu wecken. Rap soll nicht Literatur in der Schule ersetzen. Er soll sie aber bereichern, indem er einen neuen Zugang zum Lesen ermöglicht.