Um einer der erfolgreichsten Rapper Österreichs zu werden, musste Nazar einige Unannehmlichkeiten aus dem Weg räumen. Nun nutzt er seinen Ruhm unter anderem dazu, um sich gegen die Rechtspopulisten in seiner Heimat zu stemmen.
Bei seinem letzten Konzert in Wien hielt Nazar eine kurze Ansprache. Er beendete sie mit den Worten „H. C. [Heinz Christian, Anm. d. Red.] Strache bleibt trotzdem ein Hurensohn„. Aus diesem Satz sprach der Frust eines Menschen, der Rassismus oft genug am eigenen Leib erfahren hat. Wenige Sekunden vorher hatte der Wiener sein Publikum noch dazu aufgefordert, niemanden wegen seines Andersseins zum Sündenbock für die Probleme Österreichs zu machen. Dem Parteichef der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) Strache war das egal. Er zeigte Nazar wegen Beleidigung an und fordert nun 35.000 Euro von ihm.
Das Ganze hat eine längere Vorgeschichte. Der Rechtspopulist sorgt regelmäßig mit fremden- und islamfeindlichen Äußerungen für Schlagzeilen. „Daham statt Islam“ stand auf einem Werbeplakat der Partei des Politikers 2006. Andere Sprüche lauteten „Pummerin [die größte Kirchenglocke Österreichs, Anm. d. Red.] statt Muezzin“ oder „Deutsch statt nix versteh’n“. Äußerungen, die man in Deutschland von der NPD kennt.
Das ließ der Rapper, der in Wien-Favoriten lebt, nicht unkommentiert stehen. Er veröffentlichte den Diss-Track „H C“ (2009), in dem er zu den rassistischen Slogans von Strache Stellung bezog. Unter anderem verwies der FPÖ-Gegner auf den kulturellen Mehrwert, den die aus der Fremde Zugezogenen nach Österreich bringen: „H. C. / Wir bereichern dein Land.“ Damals reagierte der Politiker noch nicht mit Anzeigen auf beleidigende Bemerkungen des Rappers, sondern antwortete musikalisch, und das gleich mehrfach.
2010 erschien dann der Kollabo-Song „Meine Stadt“ von Chakuza, Kamp und Raf Camora. In seinem Part rät Nazar den Hörern davon ab, Strache zu wählen. Das Lied entstand im Zuge der „Ich bin Wien“-Kampagne der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ). Letztes Jahr folgte „300k Exclusive“. Auch hier schoss der 30-Jährige gegen den Rechtspopulisten.
Mittlerweile ist Nazar regelmäßig auf dem größten Fernsehsender Österreichs ORF zu sehen. Er gehört zu den erfolgreichsten Musikern aus der Alpenrepublik. 2014 erhielt er den wichtigsten österreichischen Musikpreis, den Amadeus Award, für das beste Video des Jahres – „An manchen Tagen“ vom Album „Fakker Lifestyle“ (2013). Sein letztes Album „Camouflage“ (2014) ging nach wenigen Tagen schon Gold und stieg auf Platz #1 der österreichischen Albumcharts ein – das erste Mal, das ihm das gelang.
Nazar heißt Meinung auf Persisch. Schon als Kind hat Ardalan Afshar, so sein bürgerlicher Name, seine Überzeugungen ohne Umschweife geäußert, erklärt er. Vielleicht treibt ihn – auch als berühmter Künstler – dieser innere Drang zur Ehrlichkeit an, gegen die salonfähige Fremdenfeindlichkeit in der politischen Szene seines Landes zu rappen. Der FPÖ-Gegner kämpft nicht nur mit musikalischen Mitteln: Im Wahlkampf 2010 forderte er beispielsweise in Wahlspots der SPÖ seine Mitbürger dazu auf, wählen zu gehen. Der Jugendkoordinator der österreichischen Sozialdemokraten Peko Baxant lobte die „Kreativität, Professionalität und [den] visionären Geist“ des Rappers.
In der iranischen Hauptstadt Teheran kam Nazar 1984 zur Welt. Um nach Wien zu kommen, mussten seine Mutter und sein großer Bruder mit dem kranken dreijähriger Ardalan über 4.000 Kilometer zurücklegen. Der Vater kam im Ersten Golfkrieg – dem iranisch-irakischen Krieg zwischen 1980 und 1988 – ums Leben. Nazar lernte ihn nie kennen. Denkt der Rapper an seine Kindheit zurück, kommt ihm das Krankenhaus in den Sinn. Dort verbrachte er einen Großteil seiner ersten Lebensjahre. Er musste am Oberschenkelknochen und Fuß mehrmals operiert werden.
Telefonierte seine Mutter mit den Verwandten aus dem Iran, stellte der junge Ardalan ihr nach den Gesprächen etliche Fragen. So erfuhr er viel über die turbulente Zeitgeschichte des Irans. Als der Wiener eingeschult wurde, dehnte sich sein politisches Interesse auf Österreich aus. „Daran kommst du nicht vorbei hier: Die österreichische Politik ist sehr krass, was Äußerungen zu Ausländern angeht“, so Nazar gegenüber rap.de.
Hätte Nazar drei Worte um sich zu beschreiben, dann wären es die folgenden: „pünktlich, gründlich und ehrgeizig.“ In der Grundschule war er Musterschüler und blieb es einige Jahre. Später flog er von drei Gymnasien und endete auf einer Hauptschule. Zu dieser Zeit zeriss ihn die Identitätsfrage innerlich, die der gebürtige Teheraner mit Lebensmittelpunkt in Wien in „Fremd im eigenen Land“ aus seinem Debütalbum „Kinder des Himmels“ (2008) thematisiert hat. Zur Identitätskrise kam die Flucht vor alltäglichen Problemen hinzu: Er verbrachte sehr viel Zeit auf den Straßen Wiens.
Seine größte Niederlage sieht Nazar in einem fünfwöchigen Aufenthalt in Untersuchungshaft. Der damals 26-Jährige war wegen schweren Raubes angeklagt. Das Gericht entließ ihn aus der Haftanstalt, aber verurteilte den Rapper wegen schwerer Nötigung und Körperverletzung. Nach dieser Zeit widmete sich der in Wien-Favoriten Aufgewachsene vollständig der Musik, in der er sich häufig sehr bedacht ausdrückt. In „Reue“, einem Lied aus dem Album „Kinder des Himmels“ (2008), rappt er: „Weißt du was Reue ist? / Wenn es dich nicht schlafen lässt / Und der Schmerz deine Träume fickt.“ Zeilen, die ihm vielleicht im Gefängnis im Kopf herumschwirrten.
Im letzten Heimspiel der österreichischen Fußballnationalmannschaft gegen Brasilien – Endstand 1:2 – standen fünf Österreicher mit Migrationshintergrund in der Startelf. Nazar beklagte sich gegenüber rap.de, dass „keiner von denen gegen die rechtspopulistischen Äußerungen der Politik die Fresse aufmacht“, obwohl diese Äußerungen sich gegen Leute wie sie richte. Anfang Februar forderte er in einem ORF-Interview Personen des öffentlichen Lebens dazu auf, ihre Stimmkraft zu nutzen, um politische Stellung zu beziehen.
Nazar ist ein Visionär. Mit seiner Firma Nazar Films dreht er für andere Rapper Musikvideos. Zudem arbeitet er momentan an einer Modekollektion, die für jeden erschwinglich und aus ökologisch nachhaltigen Stoffen produziert sein soll. Womit er politisch als nächstes auf sich aufmerksam macht, wird sich zeigen. Der Drang seine Meinung zu äußern, wird es ihm aber wohl auch in Zukunft kaum möglich machen, die fremdenfeindlichen Töne der österreichischen Politik unkommentiert zu lassen.