Haftbefehl – Russisch Roulette (Review)

Klick. Ihr Hurensöhne. Da hatte der gute Haftbefehl ja noch mal eine Kugel im Lauf. Sein neues Album „Russisch Roulette“ ist, das Fazit sei hier vorweggenommen, tatsächlich das bisher beste, das er veröffentlicht hat. Schlüssiger, runder, durchdachter als die vorherigen. Insbesondere der direkte Vorgänger „Blockplatin“ ist aus heutiger Sicht zwar immer noch geil, aber viel zu lang. Im Grunde wurde da alles zweimal gesagt. Oder noch öfter.

Auf „Russisch Roulette“ dagegen stimmt die Story, von Anfang bis Ende. Es ist die uralte Geschichte von Versuchung und dem Versuch, ein guter Mensch zu sein. Die Art und Weise, wie Haft diese aus seiner Sicht, aus der Sicht eines Einwandererkinds aus Offenbach, erzählt, macht sie brennend aktuell.

„Russisch Roulette“ ist Hafts persönliches „Ready to die“. Endlich sind die ganzen Widersprüche, die ihn als Rapper, aber eben auch als Mensch ausmachen, stringent und mit einem blutroten Faden in einem Album vereint. Das aggressive Gepose als Alphamännchen, das radikale Kosten-Nutzen-Denken eines Dealers, die Freude an materiellem Luxus, die Selbstzweifel ob des brutalen, gefühllosen Lebensstils und die Sehnsucht nach Erlösung vom Bösen – all das war vorher schon auf allen Alben von Haftbefehl vorhanden. Dieses mal aber ist es zu einer stimmigen Geschichte verwoben. Es fehlt kein wichtiges Detail, aber es ist auch kein Buchstabe, kein Komma zuviel.

Wo vorher das Chaos regierte (was auch reizvoll war), wo Haft früher laut eigener Aussage gerne im Suff seine Songs aufnahm, da ist jetzt, nein, keine Ordnung, aber eine gewisse Folgerichtigkeit. Die Beats klingen alle noch mal einen Tick wuchtiger und konzentrierter als zuvor. Zudem kommt Haft auch all jenen seiner Fans entgegen, die ihn sich immer auf BummTschack-Beats gewünscht hatten. Die gibt es auf „Russisch Roulette“. Zum Glück aber nicht nur die. Sondern auch fiese Bretter wie „Roll mit meim Besten“, das fast nur aus einem Mörderbass zu bestehen scheint.

„RR“ ist ein Film, ein Gangsta-Film, klar. In drei kurzen Rückblicken („1999“ Part 1 bis 3) erfahren wir in kurzen, auf den Punkt präzise gezeichneten Bildern, wie zerrissen Haftbefehl schon zu Beginn seiner Ticker-Karriere war. „Engel im Herz, Teufel im Kopf“ dekliniert diesen Zwiespalt dann aus: Der Mensch ist gut, aber die Umstände und seine Gier lassen ihm keine Wahl, als schlecht zu sein. Und im Schlechtsein war Haftbefehl anscheinend ziemlich gut.

Im Vorfeld wurden Vorwürfe laut, er verherrliche Gewalt. Das ist eine unzulässige Verkürzung. Natürlich identifiziert sich der Erzähler (denn genau das ist Haft) mit seinem Lifestyle. „RR“ ist ein Report aus dem wahren Leben. Und in diesem läuft ein Ticker nicht ständig von Schuldgefühlen geplagt herum. Er verdrängt sie vielmehr. Und redet sich ein, es wäre das Coolste der Welt, mit einer Knarre, womöglich einer Kalaschnikow („Anna Kournikova“) herumzulaufen.

Trotzdem glorifiziert oder beschönigt Haftbefehl nichts. Er spart nichts aus. Neben dem (falschen) Glanz beschreibt er auch den Dreck, das Elend, die pure Sinnlosigkeit des Straßenlebens. „Azzlackz sterben jung 2“ etwa fängt die Tristesse schonungslos ein.

Tote Augen werden rot, siehst du die Dämonen,
Die ihre Seele verloren haben auf dem Weg nach oben?
Töten für Kohle, Hauptsache reich
Fick die Gefühle, Herzen sind aus Stein

Das ist genau die Stärke von „Russisch Roulette„: Es beschreibt die Welt, in der viele Menschen in Deutschland leben, sehr treffend. Von innen, wohlgemerkt, nicht warnend mit dem Zeigefinger von außen, aus der Position eines wissenschaftlich interessierten Beobachters. Roh, direkt und authentisch. Dazu gehören auch die „Rothschild“ und „Rockefeller“-Lines, deren Inhalt zum Grundinventar von Verschwörungstheoretikern wie Antisemiten zählt. Dass Haft zumindest letzteres nicht ist, hat er bereits oft genug klargestellt. Schlagworte wie diese sind aber nun mal Grundwortschatz in der Welt, deren Bild er zeichnet.

Man muss gar nicht so weit gehen wie die Kollegen von der Zeit und Haftbefehl deswegen gleich zum größten lebenden deutschen Dichter ausrufen. In solchen sicherlich überzogenen Lobpreisungen steckt auch viel schlechtes Gewissen der Feuilltonisten ob ihrer Ignoranz gegenüber sämtlichem Rap, der nicht lustig und harmlos daherkommt. Trotzdem ist es erstaunlich, dass das deutsche Feuiletton inzwischen offenbar mehr von gutem Rap versteht als viele sogenannte Rapfans. Gibt es unter letzteren doch nach wie vor viele, die hartnäckig darauf bestehen, dass Haftbefehl nicht rappen könne. Lächerlich. Um es noch mal klar zu sagen: „Russisch Roulette“ ist nicht nur das beste Gangsta-Rap-Album 2014, es ist tatsächlich das beste Rapalbum. Ohne wenn und aber.

Russisch Roulette (Ltd. Babo Edition)
VÖ Datum: 2014-11-28
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