Das nächste große Ding – jeder sucht es. Gerade im Rap, wo Trends besonders schnell vorbeigehen und bei aller Beschwörung traditioneller Werte doch nur der Zeitgeist zählt. Und vor ein paar Jahren war man sich in Rapdeutschland weitgehend einig: Das nächste große Ding ist ein Straßenrapper mit Technik. Wir erinnern uns, es war die Zeit, als jeder Türsteher, jeder Grasticker und jeder Schläger glaubte, seine Realness und Authenz reichten aus, ihn als Rapper zu qualifizieren. Das konnte so nicht weitergehen, da war man sich einig in Redaktionen wie Studios.
Es ging auch nicht so weiter. Der Straßenrapper, der auch technisch versiert zu Werke geht, ist längst da. Er hört auf den Namen SSIO, kommt aus Bonn und bringt neben Straßenkante und sauberster Reimtechnik noch etwas mit, was im deutschen Rap seit jeher dünn gesäht ist, egal ob auf der Straße oder an der Universität. Genau: Humor. Damit hatte man in den sich gutunterrichtet wähnenden Kreisen nicht unbedingt gerechnet. Vermutlich hatte man eher den klassisch humorlosen deutschen Rapper mit gefährlichem Aussehen und sauber gedrechselten Reimen erwartet. Doch auf die gepflegten Erwartungshaltungen vermeintlicher und tatsächlicher Experten scheißt SSIO einfach. Mit einem breiten Grinsen schiebt er der deutschen Sprechgesangsszene seinen Steifen tief in den Arsch, nicht ohne dabei genüsslich „Nuttööö“ auszurufen – nur echt mit mindestens drei Ös.
Schon auf seinem Mixtape „Spezial Material“ wies er die Richtung, in die es gehen soll. Mit „BB.U.M.SS.N“ (das steht für, Moment, ich muss es nachschlagen: BoomBapisch Ultraamnesisch Melodischanaboler StraßenScheiß Nuttööööööö) macht er genau da weiter. Dieses Mal allerdings nicht auf Beats von Amiklassikern, sondern auf Beats von Reaf, Maestro, Gee Futuristic, Figub Brazlevic, m3 & Noyd, PhreQuincy u.a.. Und diese Beats sind einer der Schlüssel zu „BB.U.M.SS.N„: Während andere Rapper, die man in die Schublade Straße steckt, gerne (mitunter durchaus teures und schickes) Plastik bevorzugen, setzt SSIO voll auf klassische, ja, BoomBap-Beats, die mehr bumsen als Berlusconi zu seinen besten Zeiten. Besonders hervorheben muss man an dieser Stelle Reaf, Gee Futuristic und nicht zuletzt Figub Brazlevic, die für das nötige Zack-Bumm sorgen und Beats produziert, ach was, erschaffen haben, die sich hinter denen der Amis tatsächlich mal nicht verstecken müssen.
So ist also auf einem deutschen Rapalbum endlich auch mal an der Beatfront alles klar. Selten genug war das bislang der Fall. Am Mikrofon ist bei SSIO ohnehin kein Problem weit und breit in Sicht. Auch wenn der Protagonist sich auf „BB.U.M.SS.N“ erneut auf die Dreieinigkeit aus Weibern, Luxusgütern und Drogenverkauf beschränkt, tut das der Unterhaltung keinerlei Abbruch. Im Gegenteil. Wie soll Langeweile aufkommen, wenn aus so gut wie jeder Zeile, jeder Line der unverwechselbar überdrehte Humor von SSIO spricht bzw. rappt? „SSI-BI-O vercheckt noch mehr Stoff als ein Schüler, der im Unterricht pennt bis es gongt“ („Ein tiefsinniges, sozialkritisches und moralvermittelndes Lied“ – allein für die Songtitel hat SSIO einen Echo verdient).
Und überhaupt, wer will behaupten, SSIO habe keine Message? Mehrfach bezieht er eindeutig Stellung gegen den grassierenden Schlankheitswahn „Scheiß auf Vitamine und extra viel Kalcium/ Bestell dicke Pommfrites mit Ketchup und Mayo“ („Das Wasser ist nass„) „Scheiß auf Salat, hol den Big King XXL/ Mein Hausarzt verschreibt mir den Big King XXL/ Wenn du auf deine Gesundheit achtest, hol dir statt ’nem Apfel einfach mal den Big King XXL“ („Big King XXL„). Das, liebe Freundinnen und Freunde, ist echte Weisheit, abseits des lästigen Zeitgeists. SSIO macht eben schlau. Vor allem aber ist es verdammt lässig.
Und wenn SSIO gemeinsam mit Schwesta Ewa den imaginären Gegner bezichtigt, noch nicht mal Kekse zuhause, ja, nichtmal ein Zuhause zu haben, liegt man endgültig vor Lachen am Boden. Ich jedenfalls. Bei aller Ironie, aller Freude am sprühenden Witz, ist SSIO aber beileibe kein Spaßrapper. Da sind seine Skills, die jeden Backpacker (eine weitere unnötige, aber hilfreiche Schublade) vor Neid erblassen lassen, vor.
Kurz und klein: „BB.U.M.SS.N“ ist das beste deutsche Gangsta-Rap-Album seit langem. Es darf sich ohne Scham oder falsche Bescheidenheit in eine Reihe mit Klassikern wie „Vom Bordstein bis zur Skyline„, „Carlo Cokxxx Nutten„, „Hinterhofjargon“ oder „Azzlack Stereotyp“ stellen. Mit diesem Album schlägt SSIO nicht weniger als ein neues Kapitel im deutschen Rap auf. Ja genau, Rap. Nicht Straßenrap, nicht Gangsta-Rap, nicht Ticker-Rap oder Sonstwas-Rap. Rap. In seiner natürlichsten, echtesten und herzlichsten Form. Nuttöööö!