Neonschwarz im Interview: Identität, Rechtsruck, Verwertungsgesellschaft

Neonschwarz schauen auf die Probleme unserer Zeit und verpacken sie treffsicher in polarisierende Songs. Dabei bleiben die Hamburger sachlich, werden deutlich und verlieren trotz düsterer Aussichten nie die Hoffnung. Am 12. Oktober erscheint ihr neues Album „Clash“, welches eine kontrastreiche Vielfalt an Themen und Klängen vereint. In diesem Interview erklärt die Crew den Inhalt zu fünf Songs aus dem neuen Album und stellt sich den Nachfragen.


von links: Captain GipsSpion YMarie Curry und Johnny Mauser in ihrem Tourbus beim Forest Jump Festival

1. Song: „Gleis 13“

Marie Curry: Der Song ist eine Art Rückmeldung, ein Lebenszeichen nach langer Pause. Uns gefällt der Beat von Magnus Wichmann total gut und die Art, wie der Song entstanden ist, ist auch spannend. Wir haben wie bei diesem Spiel einen Zettel durchgereicht, auf den jeder was geschrieben und dann umgeknickt hat, sodass der nächste das geschriebene fortführt.

Spion Y: Normalerweise hat bei uns jeder einen eigenen, längeren Part, mit seiner Sicht zu irgendeinem Thema. Hier treten wir mehr als Crew mit kürzeren, schnelleren Parts und einheitlicher Positionierung auf.

Inhaltlich geht es ja darum, sich nicht allzu sehr dafür zu interessieren, was andere über einen denken. Wie schafft man das? 

Marie Curry: Das ist glaube ich ein Prozess, in dem man erstmal ein dickes Fell entwickeln muss, so dass man dann irgendwann sagen kann, dass es einem egal ist.

Johnny Mauser: Es gibt in unserer Gesellschaft schon so viele Zwänge und Leute, die einem erzählen wollen, wie man zu sein hat. Sei es äußerlich, wie zum Beispiel bei Germanys Next Topmodel, oder beruflich in Form der 40-Stunden-Woche. Diese Zwänge hinterfragen wir gerne, da der individuelle Weg immer der bessere ist.

Der richtige Umgang mit Abneigung fordert auch ein gewisses Ego und eine starke Persönlichkeit. Zu sagen, wo man hingehört, ist gar nicht so einfach.

Spion Y: Vielleicht muss man die Zugehörigkeit gar nicht so klar äußern und definieren sondern eher einfach machen, worauf man Bock hat. Dann ist man auch offener für andere Richtungen.

Johnny Mauser: Wobei es jungen Leuten in der Entwicklung schon helfen kann, sich zuzuordnen. Es ist nur wichtig, dass die Nischen so ausgelegt sind, dass sie auch Leute aufnehmen, die eventuell nicht ganz in das Bild passen. Uns ist es bei Workshops zum Beispiel wichtig, dass auch Frauen rappen oder Leute, die einen ganz anderen Hintergrund haben als wir.

2. Song: „2018“

Johnny Mauser: Wir haben schon 2014 und 2015 Songs über den Rechtsruck der Gesellschaft und autoritäre Formatierungen gemacht. Der Song beschreibt, dass rechte und rassistische Äußerungen in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind und gar nicht mehr als etwas Nazi-mäßiges aufgenommen werden.

In einer Line rappt ihr: „Wir diskutieren nicht mit ihnen.“ Dadurch schließt ihr ja genau genommen, ähnlich wie die AfD, ebenfalls eine Gruppe aus. Das passt ja eigentlich gar nicht zu eurer Position, oder? 

Marie Curry: Es ist immer die Frage, wer diese „ihnen“ sind. Der Satz trifft auf Leute zu, die ein geschlossenes, rechtes Weltbild haben und gegen alles stehen, was uns wichtig ist. Wenn man diskutiert, will man ja auch auf ein Ergebnis kommen, was heißt, dass man sich inhaltlich aufeinander zu bewegen muss. Natürlich sagt jeder mal was Dummes und sollte dafür nicht direkt öffentlich an den Pranger gestellt werden. Wenn ich aber weiß, dass die anderen eine Position vertreten, die extrem rassistisch ist, dann will ich denen keine Bühne geben. Wenn man sich anhört, was für Aussagen teilweise im Bundestag fallen, merkt man, dass die ihre Positionen inzwischen schon auf ziemlich großer Bühne äußern.

Habt ihr eine Idee, wie man diese Leute vom Gegenteil überzeugen könnte?

Johnny Mauser: Leute mit geschlossenem rechten Weltbild kann man nicht leicht bekehren und mit Menschen, die den Holocaust leugnen, muss ich mich nicht an einen Tisch setzen und das ausdiskutieren. Wenn ich jetzt aber bei einer Familienfeier mit meinem Onkel am Tisch sitze und der lässt irgendwas über Geflüchtete raus, würde ich anfangen, mit ihm darüber zu reden. Dann habe ich im besten Falle die Chance, dass er sich meine Worte durch den Kopf gehen lässt.

Was glaubt ihr, warum wir immer noch mit Rassismus zu kämpfen haben?

Johnny Mauser: Das ist natürlich ein sehr komplexes Thema, über das es ganze Bücher gibt. Wenn man mit seiner eigenen Situation nicht ganz zufrieden ist und den Wohlstand erhalten möchte, den man aus irgendeinem Grund für angemessen erachtet, weil man mal gehört hat, dass man als Europäer oder als Deutscher einen Anspruch auf diesen hat, fängt man an, nach unten zu treten.

Marie Curry: In einer unübersichtlichen Gesellschaft mit Informationsüberangebot ist es leichter, nach einfachen Antworten zu suchen, sich zum Beispiel an der Identität festzuhalten und zu sagen: „Ich bin Deutscher und ihr gehört nicht dazu.“ Wenn man aus Deutschland kommt und es einem schlecht geht darüber nachzudenken, dass das am wenigsten an den Leuten liegt, die hier gerade erst angekommen sind, ist dann irgendwie nicht drin.

Spion Y: Es wird immer schnell nach einem Sündenbock gesucht. Gerade, wenn dann mal wieder was passiert und man das Vorurteil noch von den Älteren kennt, dann war das halt mal wieder der Schwarze oder der Ausländer. So hält sich die Kette aufrecht.

Johnny Mauser: Soweit, dass du deinen eigenen Chef hasst, da der drei Mercedesse hat, kommt es natürlich nichts. Man sieht nur, dass der Geflüchtete ein Smartphone hat.

3. Song: „Der Opi aus dem 2. Stock“

Captain Gips: Es geht um einen Opa, der der die NS-Zeit überlebt hat und nun ohne Wiedergutmachung die letzten 70 Jahre seines Lebens in Deutschland lebt.

Marie Curry: Der kriegt jetzt mit, dass die Rechten in Deutschland wieder lauter werden  und vor jüdischen Schulen und Synagogen die Polizei stehen muss, weil es dort immer noch nicht sicher ist. Wir haben lange damit gerungen, wie man den Song schreiben sollte. Außerdem ist das natürlich eine Hommage an Dendemanns „Die Omi aus dem 1. Stock“.

Spion Y: Bald wird es niemanden mehr geben, der diese Zeit miterlebt hat. Ob der Geschichtsunterricht das Wissen so vermitteln kann, wie es die persönliche Geschichte eines Zeitzeugen kann, weiß man nicht.

Marie Curry: Es gab mal eine Umfrage an Schulen, bei der heraus kam, dass an die 50% der Kinder nicht wusste, was Auschwitz ist. Da fehlt es also ganz eindeutig an Erinnerungskultur.

Johnny Mauser: Es gibt natürlich auch nicht viele, die den Holocaust überlebt haben.
Esther Bejarano ist eine Überlebende, die mit der Rapgruppe Microphone Mafia Musik macht und dabei über ihre Erfahrungen aus der NS-Zeit singt. Damit gehen sie auch an Schulklassen, was extrem wichtig ist und bei den Schülern bestimmt auch im Gedächtnis hängen bleibt.

Captain Gips: Eine Freundin von mir hat jemanden interviewt, der den Holocaust überlebt hat und nun immer eine gepackte Tasche neben dem Bett stehen hat, falls er in der Nacht flüchten muss. Das habe ich auch in meinen Part aufgenommen. Wie traumatisiert muss man eigentlich sein?

Wie habt ihr euch da rein gedacht? 

Johnny Mauser: Das ist das Schwierigste daran und eigentlich können wir das gar nicht. Wir haben es über Filme, Überlieferungen und Erzählungen versucht, sodass manche Teile real sind und andere unserer Fantasie entspringen. Wir sind sehr gespannt auf die Reaktionen der Menschen.

In welcher Hinsicht kann politischer Rap etwas verändern?

Spion Y: Wir haben schon oft das Feedback bekommen, dass Menschen, die sich eigentlich gar nicht für Politik interessieren, nach unseren Konzerten angefangen haben, sich mit politischen Themen auseinander zu setzen.
Marie Curry: Natürlich glauben wir nicht, dass wir einen Song schreiben und sich dann plötzlich alles ändert. Trotzdem merken wir merken, dass wir etwas verändern können. Wenn wir in Städten wie zum Beispiel Dresden spielen, merkt man, dass die Leute es genießen, Gleichgesinnte um sich herum zu haben, da sie in ihrem Alltag oft mit ganz anderen Denkweisen konfrontiert werden.

4. Song: „67“

Johnny Mauser: Gerade in den Industriestaaten ist es ja so, dass die Leute sich kaputt ackern, um eine gute Rente zu haben und das Haus abzubezahlen. Oft sind das die einzigen Maßstäbe, die die Menschen in ihrem Leben haben. Das haben wir auf die Spitze getrieben, indem wir sagen, dass dann mit 67 Jahren der Herzinfarkt kommt und man eigentlich nur einen Haufen Geld angespart aber das Leben nicht genossen hat. Das ist eine sehr selbstaufgeberische, menschenfeindliche Haltung, bei der jeglicher Spaß verloren geht.

Andererseits ist unsere Gesellschaft auch so konstruiert, dass jeder der kann, seinen Beitrag zum Allgemeinwohl beiträgt. 

Johnny Mauser: Das ist eine Verwertungsgesellschaft. Nur diejenigen, die es schaffen, in der Firma möglichst weit aufzusteigen, bekommen Ansehen. Er dann bist du wer. Ob du dann wirklich wer bist, ist dann die andere Frage, über die viele aber nicht wirklich nachdenken.

Was ist für euch ein erfülltes Leben?

Spion Y: Gerade wenn ich Leute in meinem Alter sehe, die sich richtig krass in die Arbeit reinhängen, um immer mehr Geld zu verdienen, merke ich, dass es mir persönlich eher wichtig ist, weniger zu arbeiten, um dann zwar auch weniger Geld, aber mehr Zeit für das Leben zu haben.

Marie Curry: Alle, die Interviews geben und auf ihr Leben zurückblicken, sagen, dass sie mehr Zeit mit ihren Liebsten hätten verbringen sollen. Sowas geht in einer Leistungsgesellschaft aber eher unter.

Also geht es darum, seine eigenen Prioritäten heraus zu kristallisieren und sein Leben nach diesen zu richten, anstatt der gesellschaftlichen Norm nachzueifern? 

Johnny Mauser: Ich verurteile niemanden, dem das wichtig ist, einen gewissen Luxus zu haben. Das ist natürlich ein wünschenswertes Ziel, aber ich glaube, dass der Großteil der Leute eher Statussymbolen nacheifert und erst später merkt, dass die gar nicht wichtig sind.

5. Song „5 nach 12“

Johnny Mauser: Darin geht es um die angespannte gesellschaftliche Lage.

Was sind für euch die größten Probleme unserer Zeit?

Johnny Mauser: Wenn ich in die Türkei gucke oder in andere Staaten, die gesellschaftlich schon mal weiter waren, in denen jetzt aber krass autoritäre Regime herrschen, kann man das Problem unter autoritären Formierung zusammenfassen. Wenn die Leute zu einem starken, faschistischen Staat zurück wollen, findet man sicherlich auch einen Rückweg in das Mittelalter. Und der Klimawandel wird von vielen unterschätzt.

Marie Curry: Autoritarismus, Klimawandel und ein erstarkter Nationalismus. Es ist schade, dass die Menschen auch außerhalb von Deutschland eher national denken, anstatt in größeren Gruppen zusammen zu arbeiten.