„Solange ich denken kann, wollte ich schon immer Gangster werden„, fängt das Intro von Flers neuem Album „Hinter blauen Augen“ an – und dem aufmerksamen Hörer wird schnell klar: Der Titel soll nicht auf einen weiteren Seelenstriptease hinweisen. Den hatte der Südberliner ja bereits mit seinem letzten Album „Im Bus ganz hinten“ plus dem zugehörigen Buch absolviert. Schlimme Kindheit, Mobbing, Unsicherheit, Klapse. Alles schon erzählt – auf zu neuen Ufern bzw. Themen.
Doch woher nehmen und nicht stehlen? Fler hat sich auf seinem neuen Werk dazu entschieden, die harte Vergangenheit weit hinter sich zu lassen und dem Umstand, dass sein Kontostand nicht in rot auf dem Auszug erscheint, ordentlich Rechnung zu tragen. So ballert nach besagtem Intro, das von der Synchronstimme Ray Liottas aus Scorceses Klassiker „Good Fellas“ gesprochen wird und leicht abgewandelte Zitate aus ebenjenem Mafiafilm enthält, der Opener „Maskulin CEO“ los, der gleich mal die Marschrichtung vorgibt: Treibender Synthiebeat, durchaus verwandt mit Artgenossen aus den südlichen Staaten der US of A, dazu Zeilen, die nicht viel mehr im Sinn haben als zu motivieren, zu bestärken, zu pushen. „Der frühe Vogel fängt den Wurm – Adlerauge„.
Motivieren und pushen – so etwa lässt sich auch die erste Hälfte des Albums zusammenfassen. Der Titeltrack kommt auf einem zähen, ebenfalls sehr southlastigen Instrumental daher und bietet u.a. die bereits in vielen Foren und Kommentaren breitgetretene Zeile „Denn diese Schuhe sind zum Laufen da“ – wer’s nicht weiß: ein frei übersetztes Zitat aus Nancy Sinatras Klassiker „These Boots are made for walking„. Der Vorwurf allzugroßer simplizität zielt also ins Leere. Dennoch ist die Zeile durchaus repräsentativ für das, was auf „HBA“ inhaltlich und lyrisch so passiert. Hier geht es nicht um den achtfachen Endreim oder den fünfdeutigen Inhalt, sondern um simple, klare Botschaften. Die Kälte, die „IBGH“ noch geprägt hatte, ist einer geradezu schwülen Wärme gewichen, die sich nicht zuletzt aus der großzügigen Verwendung des berühmt-berüchtigten Autotune-Effekts speist.
Anders als auf dem Vorgängeralbum gibt es hier kaum Zweifel an der Richtigkeit der eigenen Handlungsmaxime. „Geld kann dich erlösen/ darum hol es dir – verdammt viel“ heißt es etwa ganz lapidar in „Slumdog Millionär„, einem Song, der den vielzitierten Traum vom steilen Aufstieg, Stichwort: Tellerwäscher/Millionär, ohne die harte Dramatik nachzeichnet, die auf „IBGH“ noch dominiert hatte. Das mag ein konsequenter Abschluss Flers mit seiner Vergangenheit sein, ist im Ergebnis aber ein bisschen flacher und eindimensionaler als nötig. „Du siehst es in meinem Gesicht: Mein Leid war groß/ und trotzdem ging ich Schritt für Schritt/ die Leiter hoch„.
Den Mittelteil des Albums bilden dann drei Songs, die einem das eine oder andere Haar zu Berge stehen lassen. „Höhenflug„, das bereits als Vorabvideo veröffentlichte „Nummer Eins“ sowie „Schönheit ist vergänglich“ mit dem Heidelberger Animus sind wirklich extrem cheesy. Die drei Stücke überbieten einander geradezu in Sachen Kitsch und plakativer Schnulzigkeit. Man fragt sich, ob ein Song dieses Kalibers nicht vollkommen ausgereicht hätte, um die kollektiven Höschen der Damenwelt anzufeuchten.
Danach kommt noch ein „Good Fellas„-Skit und mit „Zu Gangsta“ featuring Silla und French Montana macht dankbarerweise Schluss mit dem allzu schwulen Sound. „Meine Jungs siehst du niemals auf dem Dancefloor„, rappt Silla und straft seinen Maskulin-CEO bzw. dessen vorherige Songs Lügen. Sehr unterhaltsam der Part von French Montana, der wie immer durch rotzige Arroganz und Ignoranz zu entertainen weiß.
Jetzt könnte man meinen, damit wäre im Grunde alles schon durch, vielleicht noch ein Outro und tschüss. Doch da irrt der voreilige Hörer. Die Highlights kommen tatsächlich noch: Zum einen das melancholische, süßlich-schwere „La Vida Loca„, dessen Hook ins Ohr und nicht mehr raus geht, das recht trockene „Atme ein, atme aus“ wiederum mit Silla und natürlich der Bonustrack „Team Blade“ mit Kool Savas, bei dem sich Fler hörbar Mühe gibt, dem Flow des King of Rap etwas Gleichwertiges entgegenzusetzen.
Leider können diese drei Höhepunkte aber auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass „Hinter blauen Augen“ lange nicht die Dichte und Intensität seines Vorgängers erreicht. War dieser ein faszinierend kalter Ausflug auf die dunkle Seite des Lebens ist „Hinter blauen Augen“ ein sehr kurzer Trip in die Südsee – sicher schön warm und sonnig, aber im kalten Novemberregen eben auch schnell wieder vergessen.