Fler – Im Bus Ganz Hinten

Den Start in die totale künstlerische wie geschäftliche Unabhängigkeit hat Fler mit „Airmax Muzik II“ ziemlich gut hinbekommen. Gerade auch geschäftlich: Platz 6 und das mit einem Mixtape – auch in diesem bisher so chartstarken Deutschrap-Jahr ist das durchaus beachtlich. Aber auch künstlerisch hatte Fler in einigen Songs auf dem Mixtape angedeutet, wozu er in der Lage und imstande ist, nämlich ehrliche, persönliche, introspektive Tracks, die tief in die seelischen Abgründe eines Jungen blicken lassen, der immer wieder – im übertragenen Sinne wie wortwörtlich – in die Fresse bekommen hat, aber bisher jedes Mal wieder aufgestanden ist, sich den Mund abgewischt und weitergepöbelt hat.

Und genau diesen unbeugsamen Frank White bekommen wir auch auf Flers neustem Werk „Im Bus Ganz Hinten“ zu hören. Beatzarre, Djorkaeff, Gee Futuristic und X-Plosive legen eine musikalische Grundlage, die irgendwo zwischen französischer Straßenmelancholie, New  Yorker Brachialpathos und dem klassischen Berliner Synthiebrett verortbar ist, eine kleine Prise Südstaaten-Ignoranz gibt es gratis obendrauf. Wuchtig klatschen die Drums, die Synthies klirren in Moll. So wird eine Atmosphäre geschaffen, die dunkel, düster, kalt und hart ist und die vom Protagonisten berappten Themen quasi schon vorwegnimmt.

Der Albumtitel zieht sich, als Metapher für Außenseitertum und Underdog-Dasein, wie ein roter Faden durch die gesammte Spielzeit. Dabei zeichnet Fler ein in seiner Widersprüchlichkeit sehr differenziertes und genaues Bild vom Leben auf der Straße, er beschönigt nichts, spart die Einsamkeit und Verzweiflung nicht aus, vergisst aber auch nie, den unbedingten Stolz und die Unbeugsamkeit zu betonen, die das Selbstverständnis eines echten Straßenjungen ausmachen „Das Leben ist ne Busfahrt und alle coolen Typen wollen hinten sitzen/ hinten auf der letzten Bank, da wo die schlimmsten sitzen“ rappt er auf dem Titeltrack, aber eben auch „Mehr Stress als Sand am Meer/ wie soll ich die Miete blechen? So ein Leben auf der Straße klingt nicht vielversprechend“ („Wenn ich kein Rapper wär„).

Nein, „Im Bus ganz hinten“ ist kein Album, das große Hoffnungen oder gar Optimismus verbreitet. Zwischen Jungendheim und Psychiatrie, falschen Freunden und echten Verrätern ist kaum Platz für Gefühle wie Geborgenheit oder echte Zuneigung. Frauen spielen in dieser Welt keine große Rolle, es sei denn als Objekt der Lustbefriedigung, als geile, aber letztlich unwichtige und austauschbare Schlampen („Money over bitches„). Dementsprechend hart fällt auch das einzige Stück aus, das sich mit, naja, Zwischenmenschlichem beschäftigt. „Wir machen einen drauf“ schildert ohne Umschweife, wie der Protagonist es mit einer solchen Schlampe treibt, hart, direkt, von vorne, hinten und der Seite, aber eigentlich ohne große Begeisterung. Sex dient hier vor allem der Selbstbestätigung, dem Ausüben von Macht und Kontrolle sowie der kurzfristigen Ablenkung von Stress und Sorgen.
Auch der Genuss einer Shisha („Teer in meiner Lunge„) oder ein Abend im Club („Spiegelbild„) bieten nur vorübergehende Zerstreuung. Der wichtigste Bezugspunkt bleibt aber stets das Materielle, das Geld, das Auto, die Felgen, die Uhr und die Kette. „Du weißt Geld ist eine Hure, die niemals schläft/ sie wird gefickt, Junge, du kannst nicht widerstehen“ (aus „Geldregen“ von der Premium Edition). Ideelle Werte sind praktisch nicht vorhanden, abgesehen von ein paar Essentials wie Loyalität oder Verschwiegenheit gegenüber der Polizei („Kein Kommentar„).

Aufstieg erscheint in dieser Welt zwar immer erstrebenswert und im Bereich des Möglichen („Ich schaff’s auch ohne sie/ ich saß im Bus ganz hinten/ mein Weg nach oben ließ den alten Frust verschwinden„, aus „Mein Lifestyle„), doch echte Erlösung ist weit und breit nicht in Sicht: „Ich steh im Regen, muss überleben/ manchmal gibt mir das Licht Kraft/ doch warum fängt man an zu beten erst wenn man nichts hat?“ fragt sich Fler auf „Freunde werden Feinde„. „Im Bus ganz hinten, auch wenn man es nach oben schafft„, so das bittere Fazit des Titeltracks. Kein Ausweg, nirgends.

Da gibt es nur eins: Nicht aufgeben, weiterfighten, weiterrennen, denn: „Die Straße geht ewig„, so der Titel des letzten Songs, allerdings leider nur auf der Deluxe-Version. Diese sollte man sich allerdings unbedingt zulegen, denn der Gastauftritt von Puls (auch schon als Puls030 in Erscheinung getreten) ist allein schon fast die gesamte Kohle wert, jedenfalls, wenn man ein Ohr für gutgemachte 80er-Jahre-Hommagen ohne Angst vor Pathos und Männerschweiß hat. Die übrigen Gastauftritte von Moe Mitchell, MoTrip, G-Hot und Nicone sind ebenfalls solide, können da allerdings nicht ganz mithalten.

Doch egal in welcher der drei Versionen (normale, Premium, Deluxe) – „Im Bus ganz hinten“ ist ein schlüssiges Album, auf dem sich Fler voll und ganz auf seine Stärken konzentriert und es immer wieder schafft, mit wenigen Schlagworten Filme vor das innere Auge des Zuhörers zu zaubern. Die Welt, die er da schildert, ist in ihrer Härte und Schonungslosigkeit, in ihrer kalten Freund-Feind-Logik weder anziehend noch erstrebenswert, aber sie ist, was sie von vielen anderen Welten, die in Raptexten geschildert werden, unterscheidet: Fühlbar echt und unbedingt glaubwürdig.