Deutschlands Gangster- und Straßenrapper können noch so hart sein, gegen einen Gegner verlieren sie immer wieder. Und das auch noch gerade dann, wenn sie so richtig hart sind. Dieser ‚Feind‘ ist die BPjM. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdene Medien entscheidet, ob Medien, in denen zum Beispiel Gewalt oder Sex thematisiert werden, ein Werbeverbot erhalten und nicht mehr an minderjährige Menschen verkauft werden dürfen.
Schon seit vielen Jahren werden Deutschrapalben regelmäßig indiziert. Bekannte Beispiele sind Bushido, Bass Sultan Hengzt, King Orgasmus One, Massiv und Haftbefehl. Die Liste ließe sich jedoch problemlos erweitern. Die Rapper reagieren meist wütend und verteidigen ihre Musik mit dem Argument der Kunstfreiheit. In unserem Interview mit Petra Meier, der stellvertretenden Vorsitzenden der BPjM, sprechen wir unter anderem über das Verfahren der Indizierung, die Kunstfreiheit und die Legitimation der BPjM im digitalen Zeitalter.
Hallo Frau Meier, jeder Rap-Hörer kennt die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien. Können Sie trotzdem in Ihren Worten sagen, was die Aufgabe der BPjM ist – insbesondere bezogen auf die Musik?
Die BPjM wird auf Antrag/Anregung der im Jugendschutzgesetz genannten Stellen tätig (u.a. Jugendämter), wenn ihr z.B. eine Rap-CD zur Prüfung der Jugendgefährdung eingereicht oder ein auf einer Internet-Plattform eingestelltes Rap-Video benannt wird. Ein Gremium prüft dann, ob der Inhalt der CD oder des Videos Tatbestände der Jugendgefährdung erfüllt (z.B. Anreizen zu Gewalttätigkeit, Diskriminierung von Frauen oder von Homosexuellen).
Wird eine Jugendgefährdung bejaht, hat das Gremium die Kunstfreiheit mit dem Jugendschutz abzuwägen und zu entscheiden, welches der beiden Rechte als vorrangig einzustufen ist. Geht nach Auffassung des Gremiums der Jugendschutz vor, wird eine Indizierung (= Aufnahme in die Liste der jugendgefährdenden Medien) ausgesprochen, womit ein Weitergabeverbot an Kinder und Jugendliche und ein Werbeverbot in Kraft treten.
Neben Rap-CDs hat die BPjM im Bereich der Musik am häufigsten mit CDs zu tun, in deren Texten rassistische oder antisemitische Äußerungen enthalten sind oder in denen der Nationalsozialismus verherrlicht wird. Auch mit Black Metal oder Death Metal, dessen Texte zum Teil drastische Gewaltschilderungen enthalten, ist die BPjM öfter befasst.
Wie setzt sich das Gremium zusammen und welche Qualifikationen muss man dafür mitbringen, das entscheidet, ob die Musik eines Rappers indiziert werden muss?
Im Regelverfahren entscheidet das sogenannte 12er-Gremium. Dieses besteht aus der Vorsitzenden der BPjM und aus ehrenamtlich tätigen Beisitzerinnen/Beisitzern. Deren Zusammensetzung bildet einen Querschnitt der Gesellschaft ab, der eine vielfältige Expertise sicherstellt. Diejenigen, die als Beisitzerin/Beisitzer benannt werden, sind z.B. Mitarbeitende von Jugendbehörden oder von Medienunternehmen oder sie sind künstlerisch oder in der Jugendarbeit tätig. Das Zwölfergremium muss mit einer 2/3- Mehrheit für die Indizierung stimmen.
Für Fälle der offensichtlichen Jugendgefährdung gibt es außerdem das vereinfachte Verfahren, in dem ein 3er-Gremium entscheidet, das aus der Vorsitzenden der BPjM sowie zwei Beisitzerinnen/Beisitzern besteht. Die Entscheidung muss einstimmig getroffen werden.
Wie verläuft das Verfahren, in dem entschieden wird, ob ein Song oder ein Album noch verkauft werden darf oder nicht?
Wenn eine CD bei der BPjM eingereicht wird, prüfen die Mitarbeitenden der Behörde, ob ein Fall für das 12er-Gremium oder für das 3er-Gremium vorliegt. In jedem Fall werden die Rechteinhaber über das Indizierungsverfahren benachrichtigt und erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme.
Wird im 3er-Gremium eine Indizierung beschlossen, haben die Betroffenen das Recht zu beantragen, dass der Fall noch einmal im 12er-Gremium geprüft wird.
Wird eine CD für eine Sitzung des 12er-Gremiums terminiert, haben die Betroffenen das Recht, an der Sitzung teilzunehmen oder sich dort von einem Anwalt vertreten zu lassen. Sie können auch schriftlich Stellung nehmen.
In der Sitzung wird die CD angehört, den Mitgliedern des Gremiums liegen außerdem die Textabschriften vor. Danach erhalten die Verfahrensbeteiligten die Gelegenheit, sich zu äußern und ggfs. Nachfragen aus dem Gremium zu beantworten. Anschließend entscheidet das Gremium in geheimer Beratung darüber, ob eine Indizierung ausgesprochen wird oder nicht.
Wichtig ist: Ein absolutes Verkaufsverbot ist mit einer Indizierung nicht verbunden, sondern es handelt sich um eine Maßnahme des Jugendschutzes, d.h. der Verkauf an Personen unter 18 Jahren ist verboten.
Rapper ziehen öffentlich oft über die BPjM her. Wie würden Sie das Verhältnis zwischen der BPjM und den Rappern abseits der Kameras beschreiben?
Dass Interpreten mit einer Indizierung nicht einverstanden sind und dass sich Künstler von Maßnahmen des Jugendschutzes in ihrer Betätigung eingeschränkt fühlen, ist verständlich. Der Jugendschutz hat aber wie die Kunst- und die Meinungsfreiheit Verfassungsrang und kann unter bestimmten Umständen die Verbreitung bestimmter Inhalte eingrenzen. Die Betroffenen haben immer das Recht, beim Verwaltungsgericht Klage gegen eine Indizierung einreichen.
Außerhalb der Indizierungsverfahren gibt es nicht viel Austausch zwischen Rappern und der BPjM. Es ist deshalb für das 12er-Gremium immer sehr hilfreich, wenn die Interpreten bei den Verhandlungen selbst dabei sind und z.B. erläutern, was sie mit einer bestimmten Textzeile ausdrücken wollten. Das Gremium hat dann zu bewerten, ob Kinder und Jugendliche einen Text so verstehen, wie er ursprünglich gemeint war, z.B. wenn der Interpret ein Thema ironisch bearbeiten wollte, oder ob sie das Gesagte wörtlich nehmen, was wiederum eine jugendgefährdende Wirkung beinhalten kann.
In Filmen wird Gewalt oder Sex oft sehr deutlich gezeigt. Dennoch sind sie ab 16 oder 18 freigegeben, verhältnismäßig wenige Filme werden indiziert. Wie unterscheidet sich die Bewertung der Musik von anderen Medien, wie zB. Filmen oder Videospielen, was Gewalt, Sex und andere Themen betrifft?
Jedes bei der BPjM eingereichte Prüfobjekt wird in seiner spezifischen Eigenart und mit seinem spezifischen Inhalt bewertet. Die Tatbestände der Jugendgefährdung sind aber für alle Medienarten gleich und es gibt feste Prüfkriterien, die bei jeder Medienart eine Rolle spielen.
Im Bereich der Filme und Computerspiele ist die BPjM nur zuständig für Fassungen, die kein Alterskennzeichen tragen. Die FSK bzw. die USK, die im Auftrag der Obersten Landesjugendbehörden die Altersfreigaben von Filmen bzw. Spielen prüfen, haben im Gegenzug darauf zu achten, dass Filme oder Spiele, deren Inhalt Tatbestände der Jugendgefährdung erfüllt, kein Alterskennzeichen bekommen dürfen. Dies betrifft auch das rote Kennzeichen „ab 18“.
Was unterscheidet Inhalte, die von Ihnen mit dem Verweis auf die künstlerische Freiheit gebilligt werden, von jenen, die indiziert wird?
Das Gremium lehnt z.B. eine Indizierung ab, wenn in den Liedtexten nicht der im Battle-Rap oder Gangsta-Rap übliche Rahmen überschritten wird. In diesem Genre ist es die Regel, dass die Interpreten sich ihren Konkurrenten überlegen einstufen und andere Rapper und deren musikalische Fähigkeiten herabwürdigen. Ein gewisses Maß an Gewaltdrohungen oder abwertenden Äußerungen ist deshalb unter dem Aspekt der Kunstfreiheit zulässig.
Werden die Gewaltandrohungen aber sehr detailliert und drastisch oder ist mit einer herabwürdigenden Äußerung eine Diskriminierung verbunden, kann dies den Ausschlag dafür geben, den Jugendschutz als vorrangig einzustufen. Entscheidend ist auch, ob Kinder und Jugendliche die Aussagen in den Texten auf ihren Lebensalltag übertragen, diese als handlungsleitend übernehmen. Ein Überwiegen der Kunstfreiheit ist eher gegeben, wenn sich die Texte erkennbar auf die Rap-Szene beziehen.
Eine Nichtindizierung kann auch dann erfolgen, wenn ein Inhalt erkennbar ironisch ist, also auf den ersten Blick Gewalt befürwortende Aussagen auch von Jugendlichen als nicht ernst gemeint wahrgenommen werden. Aber auch ein satirisch gedachter Inhalt kann als indizierungsrelevant eingestuft werden, wenn die Satire/Ironie zu Lasten bestimmter Personengruppen geht und diese dadurch diskriminiert werden, ohne dass eine gesellschaftskritische Aussage damit verbunden ist.
Manche Medieninhalte, vor allem jene, die vor vielen Jahren veröffentlicht wurden, werden nachträglicher für ein jüngeres Publikum freigegeben. Gibt es eine Tendenz, Inhalte „lascher“ zu bewerten?
Dass manche Medieninhalte, die indiziert waren, nach einiger Zeit aus der Liste gestrichen werden und ein Alterskennzeichen erhalten, betrifft den Bereich der Filme und der Computerspiele. Dort führt die Weiterentwicklung der Grafik und der visuellen Effekte dazu, dass manche Medien aus heutiger Sicht nicht mehr in einem so hohen Maß jugendschutzrelevant erscheinen.
Im Bereich der (Rap-)Musik ist eine solche Entwicklung nicht festzustellen, da sowohl Anfang der 2000er indizierte CDs als auch heutzutage indizierte CDs ähnliche Inhalte aufweisen.
Es gibt viele widersprüchliche Studien über die Wirkung von Medien. Gibt es überhaupt einen klaren Befund, der beweist, dass Musik einen negativen Einfluss auf Jugendliche haben kann?
Es gibt keine Forschungsergebnisse, die belegen können, dass allein der Konsum eines bestimmten Films, Spiels oder einer bestimmten Musik bei einer jugendlichen Person zu einem gewalttätigen Handeln geführt hat. Ein Beweis ist auch nicht erforderlich, eine Wirkungsvermutung reicht aus. Zudem hat eine tatsächliche sozialethische Desorientierung immer vielschichtige Ursachen.
Es gibt aber immer wieder Hinweise darauf, dass bei bestimmten Jugendlichen („gefährdungsgeneigte Jugendliche“), die z.B. aus ihrem sozialen Umfeld die Anwendung von Gewalt als selbstverständlich oder zumindest naheliegend ansehen, eine Gewalt befürwortende Haltung durch Medienkonsum verstärkt werden kann. Gerade diese Jugendlichen hat die BPjM bei ihren Entscheidungen z.B. zu CDs des Genres Gangsta-Rap im Blick.
In Bezug auf rassistische oder den Nationalsozialismus verherrlichende Musiktexte sind die gefährdungsgeneigten Jugendlichen diejenigen, in deren sozialem Umfeld herabwürdigende Äußerungen gegenüber Menschen ausländischer Herkunft oder dunkler Hautfarbe bzw. positive Aussagen über Adolf Hitler und das Dritte Reich nicht kritisch hinterfragt werden.
Man findet im Internet unzensiert jede Form von Gewalt und Sex. Braucht es da überhaupt noch die Indizierung und muss stattdessen nicht viel mehr präventiv mit Jugendlich über Mediennutzung gesprochen werden?
Auf jeden Fall ist es in der heutigen Medienwelt, in der es unzählige Abspielgeräte und Verbreitungswege für Inhalte gibt, von ganz großer Bedeutung, dass Jugendliche sich der möglichen Gefahren bewusst sind und eine gute Umgangsweise für die Fälle finden, in denen sie mit drastischer Gewalt, mit rassistischen Äußerungen oder mit diskriminierenden Aussagen über bestimmte Personengruppen konfrontiert werden.
Die Indizierung soll gerade aufzeigen, an welchen Stellen bestimmte Grenzen überschritten wurden, die unsere Gesellschaft im Hinblick auf die gemeinsamen Werte und den Schutz von Minderjährigen zieht. Kinder und Jugendliche sollen gerade nicht die Anwendung von Gewalt als vorbildhaft empfinden, oder die Herabwürdigung von anderen Menschen aufgrund deren Hautfarbe, Geschlecht oder ihrer sexuellen Orientierung. Sie sollen eine eigenverantwortliche und gemeinschaftsfähige Persönlichkeit entwickeln. Deshalb ist es wichtig, dass Jugendliche auch selbst Diskussionen über die gemeinsamen Werte der Gesellschaft führen, sei es untereinander, in der Schule oder im Kreis der Familie.
Beim Konsumenten ist die BPjM eher unbeliebt. Käufer fühlen sich bevormundet und ihrer freien Entscheidung beraubt. Tun sie Etwas für ihre Außenwirkung? Wäre eventuell mehr Transparenz angebracht?
Ich habe ja schon darauf hingewiesen, dass eine Indizierung kein absolutes Verkaufsverbot bedeutet, sondern dass ein Weitergabeverbot an Kinder und Jugendliche in Kraft tritt. Erwachsene können sich deshalb indizierte Medien weiterhin kaufen. Dass sich Jugendliche bevormundet fühlen, wenn sie eine bestimmte CD nicht mehr kaufen dürfen, ist verständlich und die BPjM erwartet auch nicht, dass Jugendliche mit dieser Einschränkung einverstanden sind. Wo Gelegenheit ist, mit Jugendlichen in Kontakt zu treten, diskutiert die BPjM auch mit ihnen über die einzelnen Entscheidungen und erläutert die hinter einer solchen Entscheidung stehenden Überlegungen des Gremiums.
Die BPjM informiert bereits jetzt auf Messen wie der gamescom in Köln und mit Vorträgen über ihre Arbeit. Sicherlich kann die BPjM immer noch mehr Informationen über ihre Arbeit herausgeben und die Transparenz ihrer Entscheidungen erhöhen. Die Behörde befasst sich deshalb zurzeit mit Überlegungen, wie die Öffentlichkeitsarbeit und der Austausch mit anderen Stellen verbessert werden könnte.
Insofern möchten wir Ihnen für die Interviewanfrage und damit die Gelegenheit danken, die Arbeit der BPjM in einem Portal vorstellen zu können, das von so vielen Rap-Fans genutzt wird.