Massiv – Blut gegen Blut 2

Massiv released “Blut gegen Blut 2“! Fällt dieser Satz, sind hitzige Diskussionen in der Redaktion vorprogrammiert. Einmal mehr konnten wir uns nicht auf eine verbindliche Meinungen einigen, weil die Geschmäcker einfach zu verschieden sind. Aus diesem Grund gibt es nun, zum zweiten Mal in der Geschichte von rap.de, die “Ohrenschlacht“. Wir wünschen viel Vergnügen!

 

So gern ich Massiv als Mensch mittlerweile mag und ins Herz geschlossen habe, so schrecklich finde ich seine Musik. Vielleicht liegt es an meinem Alter, oder an meiner ganz persönlichen Schwäche, aber ich habe einfach nicht die Konstitution, mich eine Stunde, 16 Minuten und 12 Sekunden lang anschreien zu lassen.
Massiv erklärte, dass er mit „BGB 2“ das härteste Album seiner Karriere gemacht hat, aber das mit der Härte ist eben so eine Sache. Bei Massiv besteht diese Härte aus unglaublich epischen Ritterbeats, die allesamt als Soundtrack für Filme wie Highlander oder Braveheart dienen könnten, garniert mit dem Waffenarsenal, das man in Sample-Libraries wie Bombodrom finden kann. Dazu dann die immer gleich gepresste, „aggressive“ Stimme des Kolosses aus Pirmasens, der wir ein Pitbull im Zwinger bellt.
Wie sehr hätte ich mir nach dem nachdenklich und ok-pathetischen „Intro“ eine sanfte Gitarrenmelodie gewünscht, über die der Rapper mal sachte flowt, aber stattdessen stapft er wie Robocop durch die Landschaft, entleert Magazine, schiebt dir Schwanz in den Arsch und zertrampelt alles, was auf Gottes weiter Welt so wächst und gedeiht.
Ehrlich gesagt schalte ich bei so einem Soundgewitter irgendwann ab und nur absolute Knallersprüche wie „Mann du bist noch weicher als Teig. Echte Männer essen Steaks, deine Hauptmahlzeit bleibt Haferschleim“ oder „Ich brandmark Deine Fresse, guck wie ich die Zigarettenstummel in deiner Drecksfresse auspresse/ Kannst Du meine Faust schmecken und Dein Gebiss strecken [??????] M-A-S wird dir beide Schlüsselbeine aufbrechen“, bleiben mir im Gedächtnis hängen. Auch gut sind Sachen wie: „Mein Schwanz ist dicker als dein ölgepumpter Bizeps“ oder „Das ist hochmoderner Streetrap, das hier ist nicht deine Welt/ all deine Gehirnzellen sind auf Opferstatus eingestellt.

Massivs einzig wirklich großer Hit, das „Ghettolied„, erfüllt auch in seiner 2011er Version seinen Dienst. Der Song ist und bleibt ein Gassenhauer und die Hook zeigt, dass sich hinter der muskelbepackten Fassade auch ein bisschen Inhalt verbergen könnte: „Ihr wollt ne Hymne wie das Ghettolied, weil ihr das Ghetto liebt, die Politik behauptet, dass es keine Ghettos gibt/ Wer kennt die Wahrheit – der Junge, der im Ghetto blieb, komm nach Berlin, in die Stadt, wo man die Ghettos sieht.

In diesem Song greifen die Bilder und schlagartig setzt Massiv hier eine Welt – seine Umwelt in Szene, dass man das Ghetto tatsächlich fast greifen kann: „Jeder dealt, jeder spielt, Novoline und Sportwetten/ jeder zieht durch lila Scheine oder schluckt hier Schlaftabletten/ am Handgelenk ne TV-Steel Klimmzüge, Eisen drücken/ Sowas nennt man Knast-Body, V-förmiger, breiter Rücken.

Leider wird dieser Eindruck durch die ewig gleichen Schießereifantasien im nächsten Song sofort wieder zunichte gemacht und auch Hengzt mit seiner Vorstellung, dass er sich um die Frau samt Familie eines Knastinsassen kümmert ist nicht wirklich witzig. Selbst Farid Bang bleibt auf „Wir randalieren im Knast“ hinter seinen Möglichkeiten zurück und ja, den Möhrenwitz haben wir jetzt langsam alle verstanden. Es reicht.

Der heimliche Höhepunkt der CD ist definitiv die Ode an das Oberhaupt einer sogenannten „kurdisch-arabischen“ Großfamilie aus Berlin. „Ashraf Rammo“ heißt der Song, benannt nach dem einschlägig bekannten Clanchef. So stelle ich mir die Lobgesänge früherer Barden vor, die ihre mittelalterlichen Herrscher beschrieben mit Worten wie: „Er steht seinen Mann, auch wenn du mit 1.000 Mann kommst/ ich hab’s erlebt, ich weiß von was ich rede – die kristallblauen Augen klären dir 1.000 Probleme.
Das ist wirklich verrückter Shit und ehrlich gesagt, ist mir das ein bisschen fremd und ich staune Bauklötze – wirklich.

Drei Songs will und muss ich noch hervorheben aus dem insgesamt 25 Track starken Werk, was eindeutig wieder einmal zu lang und überdimensioniert ist.  „Massaka-Kokain“ featuring Haftbefehl, in dem der Offenbacher in seiner gewohnt reduzierten Form einen genialen Schnellkurs in Kokainweiterverarbeitung gibt. „Die Sterne, die aufs Ghetto knallen“, in dem Massiv und Silla einen rührenden Weg gefunden haben, der Menschheit mitzuteilen, dass ein jeder von uns einzigartig und wertvoll ist und schließlich noch „Unter der Erde“ mit Basstard und Orgi. Hier zeigt zumindest der kleine Mann seine ganze künstlerische Ausdruckskraft, die er in seine Zeilen und die Hook legt. Das ist dann feinstes Hör-Theater. Anstrengend, aber gut.

Der Rest der CD ist eben wirklich wie oben beschrieben und die Titel der einzelnen Songs sagen eigentlich schon alles. „Wenn die Druckwelle kommt“, „Hart und Gerecht“, „Kalschnikow und Handgranaten“, „Blas den Lauf meiner AK“, „Wenn der Asphalt brennt“ etc. pp.
Sorry Freunde, das kann ich mir wirklich nicht anhören. Da merke ich wie sich eine undurchdringliche Bleihaube rund um mein Gehirn legt und ich fange an, geistesabwesend aus dem Fenster zu starren. Mein Kopf ist leer.
Eigentlich ist das ein sehr schöner Zustand und vielleicht ist Massiv auch so etwas wie der Zenmeister des deutschen Raps. Innerer Friede durch Extrembelastung. Die Shaolin-Mönche machen das ja auch.
So gesehen ist „Blut gegen Blut 2“ ganz erfolgreich, doch ich bezweifle, dass dieser Effekt gewollt ist. Zumindest ich, will eigentlich etwas anderes erreichen, wenn ich Musik höre.

Staiger (2 von 7 Punkten)

Engelsflügel-Tattoos auf der Brust, die Handgelenke umschlungen von kalten Eisenketten, der Al Massiva-Löwe ziert das schwarze Tuch, welches einen tiefen Schatten in das Gesicht des austrainierten Rappers wirft. Massiv wirkt auf dem Cover seines neuen Albums wie ein geknechteter Gefangener, der endlich die Ketten der Unterdrückung sprengt, um zum ersten Mal seit Ewigkeiten einen Atemzug in Freiheit zu genießen. Im Anschluss daran, möchte der Gigant wie ein Wirbelsturm übers Land fegen, Unheil stiften und für Zerstörung sorgen. Deswegen bläst der kräftig gebaute Wahlberliner zum Angriff und schreit auf “Roll das Rr“, “…und jetzt werden wieder Magazine entleert…“.
Und es werden Magazine entleert! Im Booklet durch eine Sturmhaube verhüllt und mit dem Baseballschläger in der Hand, brennt Massiv – fast fünf Jahre nach dem ersten Teil – förmlich darauf, den Boden wieder blutrot einzufärben. Das ist “Blut gegen Blut 2“!

 

Die 118 Kilo Kampfgewicht, wie zu Beginn seiner Karriere, hat der Koloss zwar nicht mehr auf den Rippen, aber wie jeher ein furchtbar großes Mundwerk und polarisierende Texte, die  er auf 25 Tracks (inkl. Intro und Outro) “zusammenstauchen“ konnte. Bei dieser Fülle könnte man eigentlich ein breites Themenspektrum erwarten, dem ist aber überhaupt nicht so. Wobei, kann man das? Die Kernpunkte der Platte lassen sich locker an einer Hand abzählen: Ghettos, Drogen, Gewalt, Waffen und massig stupider Battlerap. Das Bemerkenswerte daran aber ist, es stört nicht. Ganz im Gegenteil sogar, genau so muss es sein!
Warum? Kein Mensch auf dieser Welt wird sich ein Album von Massiv zulegen, um sich im Nachhinein über einfache Reimstrukturen oder fehlende Tripple-Rhyme-Kombos zu beschweren.

Wenn man sich ein Massiv-Album kauft,  wenn man sich dieses Massiv-Album kauft, dann will man Tracks mit Maschinengewehrgeräuschen im Hintergrund. Man will Musik, die man im 3er BMW bis zum Anschlag aufdrehen kann, während man mit dem Arm aus dem Fester, langsam durch die Stadt fährt und nen Dicken schiebt. Genau diese Musik bietet “Blut gegen Blut 2“.
Durch die Bank weg voluminöse, basslastige Beats, wirken oft so, als würde Massiv höchstpersönlich aus den Boxen steigen und einem mit voller Wucht in die Fresse schlagen. Dabei ist es völlig egal welchen Track man wählt, der Beat pumpt und pumpt und pumpt.

Eines der farbenprächtigsten Stücke ist zweifelsohne der Track mit dem vielsagenden Namen “Massaka-Kokain“, welchen es vorab schon als Videoauskopplung zu bestaunen gab. Mehr Straße auf einem Track geht einfach nicht. Der Pirmasenser mit dem pfälzischen Dialekt beschreibt das harte Berliner Pflaster und sein Featuregast, der Offenbacher Ex-Ticker Haftbefehl, verrät sein Hausrezept um Crack einzukochen. Lecker!
Du willst an dem Joint schnüffeln, an meim’ Sack schütteln? – Das hier ist Genickbruchmucke, wenn ich abdrücke. Komm mit Handschellen angesteppt, Bulle ich hab Blut geleckt – ’BGB2’, das ist Anti-Kripo-Gangster-Rap!
Was will man eigentlich mehr?

Von Musik dieses Kalliebers ist das Album bis obenhin vollgestopft. “Wedding65 feat. Beirut“, “Wenn der Asphalt brennt feat. Automatikk“, “Der Immigrant in Handschellen“, „Kalaschnikows und Handgranaten“ oder “Wenn die Druckwelle kommt“ sind allesamt Straßenhymnen mit ordentlich Adrenalin im Blut – pure Action!

Für “Blut gegen Blut 2“ wurde sogar das “Ghettolied“, Massivs erster und wohl bekanntester Track, welcher sich 2006 wie ein Virus auf deutschen Handys verbreitete, mit “Ghettolied 2011“ neu aufgelegt. Anfangs eine zauberhafte Melodie und dann…. –  Natürlich! – Brachiale Beats und ein Punchlinegewitter, das seinesgleichen sucht.
Zum Abschluss, der Refrain des Tracks. Ein wunderbarer Querschnitt der Platte. Lasst Euch das hier auf der Zunge zergehen:
Ihr wollte ne Hymne wie das Ghettolied, weil ihr das Ghetto liebt? Die Politik behauptet, dass es keine Ghettos gibt. Wer kennt die Wahrheit? – Der Junge, der im Ghetto blieb. Komm nach Berlin, in die Stadt, in der man die Ghettos sieht.

Oli (6 von 7 Punkten)