Kevin Michael – Kevin Michael

Es heißt, er habe das gewisse Etwas. Er sei anders, besonders, outstanding. Nun, wir wollen das im Folgenden überprüfen, indem wir Kevin Michaels Debütalbum, das auch seinen Namen trägt, mal etwas genauer unter die Lupe nehmen.

Zunächst fällt auf, seine Stimme ist wirklich anders, sehr hell, vielleicht irgendwo zwischen Maxwell und Justin Timberlake, so etwas hat man tatsächlich noch nicht in der Form gehört. Aber reicht das, um zu sagen, da habe sich ein Phänomen offenbart, da ist jemand, der den R&B neu erfindet? Denn gleich als nächstes hört man dieses seltsame Vibrato, das er länger gesungenen Tönen gibt, das irgendwo zwischen Reggae-Chant und alter Soulschule anzusiedeln ist und irgendwie deplatziert, aufgesetzt wirkt. Er benutzt es zum Glück nicht allzu oft und arbeitet ansonsten sehr gut mit den Vocals – vor allem die Backgroundchöre sind sehr flexibel, schön gesetzt und auf höchstem Niveau, außerdem bringt der Junge ein erstaunliches Falsett zustande.

Die erste Nummer „We All Want The Same Thing“ kommt frisch daher, ein mittelschneller Akustikjam mit einem gut aufgelegten Lupe Fiasco, in dem der Debütant gleich mal seine Herkunft (halb schwarz, halb Italiener) besingt. Allgemein sind das erste und das letzte Drittel der CD gut gelungen, allesamt gute Stücke, die ihren eigenen Charakter und eigenständige Hooks haben, die im Gehör haften bleiben, und vor allem auch gut instrumentiert und produziert sind. Aber in puncto Innovation, die er sich ja ganz groß auf die Fahnen geschrieben hat, ist das Album ein Reinfall. Im Großen und Ganzen klingt das alles nach Pop-RnB, wie er eben heutzutage – und das auch schon seit mehreren Jahren –  aus den Staaten zu uns kommt. Nur einige Beispiele: „Ha Ha Ha“ klingt nach einer Mischung aus Snoops „Drop It Like It’s Hot“ und „Right For Me“ vom ersten Justin Timberlake Album, „Hood Buzzin“ benutzt original die Bassline und den Pianotrack von Raphael Saadiqs „Still Ray“, wobei das nicht mal im Booklet erwähnt ist, und „Liquid Lava Love“ bedient exakt denselben Vibe wie „Can U Handle It?“ (Usher) oder „Speechless“ (Beyoncé), wobei ich zugeben muss, dass ich eine enorme Schwäche dafür habe – für mich einer der besten Songs! Aber so ist es mit all diesen Tracks, ein Auge lacht, weil vieles ja schon sehr gut ist und auf der anderen Seite stellt sich bald das Schon-mal-gehört-Gefühl ein. Dann weint das andere Auge. Auch Totalausfälle gibt es: da ist zunächst die Singleauskopplung „It Don’t Make Any DifferenceTo Me“ ft. Wyclef Jean (auch von ihm produziert), eine infantile Popnummer, mit peinlichen, pseudokaribischen Anleihen und „Stone Cold Killa“, eine selbsternannte Ode an Michael Jackson. Auch die Ballade „Ain’t Got You“ löst nicht wirklich Träumereien und Nachdenklichkeit aus, sondern erstickt eher an der zu dick aufgetragenen Instrumentierung, da trieft der Schmalz aus den Boxen, ohne zu berühren und diese Art Drumprogramming hätte man eher auf einem Ace Of Base Titel erwartet, als auf einer RnB Ballade. Schwach.
Was Kevin Michael sehr gut transportiert, ist eine positive fröhliche Stimmung – die Titel, auf denen dies geschieht, zu denen das auch passt, gehören eindeutig zu den herausragendsten. Zu nennen sind hier „Can’t Get Enuff“ und „Ghost“.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass hier ein sehr talenierter Sänger am Werk ist, der erst am Anfang steht und mit Sicherheit noch seine eigene Stimme in der RnB-Welt finden muss und auch wird. Obwohl die Songs wohl alle von ihm mitgeschrieben wurden, kann man nicht sagen, dass das nun wirklich seine Musik ist. Zu groß ist der Einfluss der Labels, die lieber auf Bewährtes zurückgreifen, um kompatibel für den Popmarkt zu sein. Aber gerade das kann für den Künstler fatal sein, weil er möglicherweise gar nicht die Chance bekommt, seine wahre Künstleridentität zu offenbaren, wenn dieses Album, eben weil es in keinster Weise aus dem Popmeer der Belanglosigkeit heraussticht, nicht beachtet wird. Schade wäre das schon.