Ich war nie ein Fan von Kollegah. Zu konstruiert finde ich die Reimstrukturen, zu vorhersehbar die Punchlines, zu seelenlos der ganze Character. Seine legendären „Zuhältertapes“ habe ich daher nur zu Bildungszwecken einmal vor geraumer Zeit angehört. Dass Kollegah ein verdammt guter Rapper ist, ist dennoch nicht von der Hand zu weisen. Die gigantische Fanbase des Düsseldorfers jubelte, als dieser das „Zuhältertape Vol. 4“ ankündigte. Doch weshalb? Ich, für meinen Teil kann das nicht nachvollziehen. Mein Kumpel Leon schon. Leon lässt sich wohl als so etwas wie der prototypische Kollegah-Fan beschreiben. Kein pubertierender Junge, der sich zu Weihnachten die BossTraFo wünscht, aber auch kein alter Oldschool-Head. Ein aufgeweckter 20-Jähriger Berliner Abiturient, der gerne auch mal einen orangenen Schein für eine Deluxe Box hinblättert.
Die ersten beiden „Zuhältertapes“ hat er nachgeholt, damals war er zu jung. So geht es wohl einem Großteil der Kollegah-Fans. Eingestiegen ist er mit dem Album „Kollegah“ – „Das war stark, Alter! Damals war es mein Lieblingsalbum, das hat sich mit der Zeit natürlich ein bisschen gewandelt. Da waren ja wirklich viele poppige Sounds drauf.“ Der „Zuhältertape„-Flavor hingegen hat ihn sofort angefixt – daran hat sich bis heute nichts geändert. Unter anderem die melodiösen Beats haben es ihm angetan. „Das hatte ich auch im Amirap so auch noch nicht gehört, das war etwas komplett Neues für mich. Gerade der Kontrast von Kollegahs überharter Selbstdarstellung, zu den soften, melodischen Beats ist nice.“ Die Beats rangieren zwischen Alchemist und Dipset-Crunk – beides ist Leon kein Begriff. Der Flavor der Beats im Zusammenspiel mit der überspitzt arroganten Attitüde scheint also einen unverzichtbaren Bestandteil der Faszination auszumachen.
Der ist laut Leon aber hauptsächlich für den Mehrwert der Tapes verantwortlich. Die wahre Faszination, das Alleinstellungsmerkmal, sind die Punchline-verliebten Texte. „Beim ersten Hören eines Songs gibt es immer diesen Wow-Effekt. Wenn du ein Album das vierte Mal hörst, dann kennt man zwar alle Wie-Vergleiche, die sind auch trotzdem noch cool, aber beiden ersten drei Malen hören hat man diesen Flash – und auch danach feiert man immer mal wieder, weil man noch neue Sachen entdeckt.“ Doch auch die Kunstfigur Kollegah., die er von Anfang an klar als solche wahrgenommen hat, reizt ihn und unzählige weitere Fans. Die Übertreibungen, das Auftreten, mit dem er unverhohlen über die Stränge schlägt, sind Kunstgriffe, die zum Unterhaltungswert beitragen. Er differenziert da klar:“Ich feiere die Figur, weil ich es feiere, dass es einen Menschen gibt, der so eine Figur erschaffen und verkörpern kann. Würde diese Kunstfigur real sein und mir als Mensch gegenüberstehen – das würde ich nicht feiern.“
Die „Zuhältertapes“ sind also reizvoller, da die Kunstfigur des Kollegah viel mehr zur Geltung kommt als auf Alben wie „King„. Sie seien der pure Ausdruck der Kunstfigur – Kolle als Drogen verkaufender, Lauchs klatschender, frauenverachtender Zuhälter-Rapper in seiner reinsten Form. Mit ernsteren Songs á la „Du bist Boss“ oder „Keine neuen Freunde“ kann Leon überhaupt nichts anfangen. Wichtig für die Figur sei aber, dass Kollegah bewusst überspitze und erkennbar clever sei.
Als der selbsternannte Boss ins Rampenlicht trat, war aber nicht unbedingt jedem sofort klar, dass es sich um eine reine Kunstfigur handelte. Auch Leon hatte diesen Moment: „So bin ich da erst reingekommen: Ich hab ihn gesehen und dachte ‚Boah, wie sieht der denn aus? Der kommt an, Gesicht wie 12, Körper wie’n 30-Jähriger Bodybuilder und erzählt so ne Scheiße!“ Gerade dieser Widerspruch zwischen Optik und Image habe ihn aber erst interessant gemacht.
Ob das „Zuhältertape Vol. 4“ den Spirit des überheblichen Jungspunds, der mal eben die Tür auftritt und das Game zerfetzt, erneut einfangen oder ihn auf ein zeitgemäßes Level hieven kann – wir werden es bald wissen. Schwierig könnte es dadurch werden, dass der selbstgekrönte „King“ mittlerweile eine Reputation innehat, die es ihm eigentlich nicht erlaubt, zu diesen unverbrauchten Wurzeln zurückzukehren. Es wäre ein Rückschritt, wieder als übertalentierter Emporkömmling von unten nach oben zu bellen. Ein Downgrade, mit dem Kollegah selbst an den Grundpfeilern seines eigenhändig gezimmerten Throns sägen würde – vom Millionär zum Tellerwäscher. Simpel ausgedrückt: Er würde die Stellung als Nummer eins eintauschen und wieder bei Null anfangen. Schwer vorstellbar.