Street Art in Paris

Es gibt sehr schöne Momente im Redaktionsalltag. Dann zum Beispiel, wenn sich ein großes Zugunternehmen per Mail bei einem meldet und eine Reise nach Paris vorschlägt. Mit ordentlich Graffiti, Street Art und Stadtführung. Hotel, Verpflegung und Anreise natürlich auf Kosten des Veranstalters. Selbstredend sagt man da ja und kurze Zeit darauf saßen die beiden weiblichen rap.de Redakteurinnen, Tinka und Lisa, im Zug nach Paris. Grund der ganzen Aktion: Der Zugunternehmer Thalys bringt bald eine neue Fahrzeuglinie auf den Markt, die die Strecke zwischen Köln und Paris respektive Amsterdam in rund drei Stunden schaffen soll. Einer der alten Wagen sollte dann, um das ganze jugendaffin und cool aufzuziehen, von je einem Graffiti-Artist der Haltestationen (Köln, Brüssel, Paris, Amsterdam) besprüht werden, und so noch die ein oder andere Fahrt absolvieren.

Klingt alles super, haben wir uns gedacht und deshalb erwähnen wir natürlich auch gerne noch mal den Veranstalter. Thalys, Thalys, Thalys. Bereits bei der Fahrt nach Paris wird klar: Außer den Kollegen von rheinhiphop.de sind wir neben zwei freien Mitarbeitern der JUICE die einzigen Vertreter der Hip Hop Presse.  Der Rest des ausgedehnten Journalistenfelds setzt sich aus freien Fotografen, jungen Männern mit schicken Visitenkarten und einer wahnsinnig bösartigen, blonden Frau vom WDR zusammen. Letztere stellt schon gegenüber dem Kölner Writer Seakone klar, dass sie sich absolut gar nicht für Street Art interessieren würde und er sie deshalb auch nicht ansprechen müsse. Die Snacks im Zug sind natürlich auch die Höhe und wenn wir ihr keinen Platz in Fahrtrichtung freiräumen, stürzt sie sich mit Schaum vor dem Mund auf uns. Während sie sich in gedämpftem Ton mit einem grauhaarigen Herrn unterhält, wirft sie uns Blicke zu, als wären wir geistig zurückgeblieben und würden uns gerade gegenseitig die Augenlider lackieren. Von einer freundlichen Betreuerin erfahren wir: Frau Z. nimmt an keiner der Veranstaltungen Teil, sondern wird alleine mit dem Helikopter über Paris geflogen. Am gesponserten Croissant kauend wünschen wir uns, auch bei den Öffentlich-Rechtlichen zu arbeiten.
 

In Paris am Gare du Nord angekommen, geht es nach einem kurzen Zwischenstopp im Hotel auch schon mit der Führung los. Die Autoren des Buches "Paris Street Art“, Romuald Stivine und Vito, leiten uns durch den Pariser Stadtteil Belleville und erklären Graffiti. Die Fachpresse (wir) gähnt mitunter gelangweilt, die themenfremden Kollegen staunen. Frei nach dem Motto "Aaaaah, DAS ist ein Tag?“ schlendert man zweieinhalb Stunden durch die Straßen der französischen Hauptstadt und wird erst dann aus seinem Trott gerissen, als es zu einer Hood-Situation der Superlative kommt. Urplötzlich versteinert sich das Gesicht von Vito, der in Richtung herumlungernder junger Männer (auf einem Basketballplatz! Man fühlt sich fast wie in einem schlechten amerikanischen Ghettofilm) blickt und meint, wir müssten jetzt schnell hier weg. Während wir verhältnismäßig urban aussehen, baumeln um die Hälse unserer "Kollegen“ nämlich Tausend-Euro-Kameras, die der ein oder andere Francois oder Fabienne sicherlich auch gerne hätte. Im Anschluss an den Rundgang gibt es Essen mit jeder Menge Wein, denn schließlich sind wir in Frankreich.
 
Am nächsten Morgen beginnt das eigentliche Event: Das Besprühen des Zuges. Jonone 165 aus Paris, Sozyone aus Brüssel, Zedz aus Amsterdam und der Kölner Seakone haben jeweils einen Wagen zur eigenen Gestaltung zur Verfügung und genau die gut drei Stunden Zeit, die der Thalys in Zukunft für die Strecke Köln-Paris respektive Amsterdam brauchen wird, um aus dem Wagon Kunst zu machen. Besonders reizvoll gestaltet sich diese Künstlerzusammenstellung durch ihre absolut konträren Styles. Während Seakone als einer DER Vertreter der Moderne gilt, repräsentiert der Franzose Jonone eher den alten New York-Style. Während der mehrstündigen Malsession prügeln sich wenig hip hoppig aussehende Journalisten zu sehr raplastiger Musik um die besten Plätze, um das Spektakel zu begaffen. Zwischendurch werden belegte Baguettes und Softgetränke gereicht. Gourmets, diese Franzosen.

Nach drei Stunden und 15 Minuten ist alles vorbei. Die fotografierende Meute stürzt sich auf die müden Artists, die sich zu Anfang ihrer Writer-Karriere wohl nicht hätten ausmalen können, dass sie mal auf Aufforderung eines Unternehmens hin, einen Wholetrain machen würden. Wir schnappen uns Seakone und führen unter dem massiven Einfluss von Spray-Dämpfen ein Kurzinterview mit dem Kölner. Das findet ihr auf Seite Zwei dieses Features. Fotogalerien von der Street Art Führung (hier) und der "Graffiti Meets Thalys“-Aktion (hier) gibt es natürlich auch noch. Viel Spaß damit. 

rap.de: Wie findest du es, dass Graffiti Künstler, die ja sonst immer von den Bahngesellschaften gefightet werden, auf einmal für diese heute hier arbeiten?

Seakone: Ich bin jetzt  eigentlich ganz gut damit klar gekommen. Ich hab hier mein Ding durchgezogen. Ich habe dieselben Werte repräsentiert, die ich auch in der Szene repräsentiere mit meiner Arbeit. Ich habe der ganzen Sache hier noch so einen Köln-Bezug gegeben. Und das ist eine schöne Sache und ein authentisches Zeichen, wie man das ganze System von innen aushöhlen kann. Wie man den röhrenden Hirsch an der Wand bei den Großeltern ablösen kann.

rap.de: Wo ist der Köln-Bezug in deinem Werk?

Seakone: Da geht es um eine Geschichte aus dem Mittelalter, da wo die Sechsen sind. Dabei geht es darum, dass eine Königin mit 11000 Jungfrauen für zwei Jahre auf eine Reise gegangen ist und dann nach Köln zurück kam. Zu der Zeit herrschte dort aber Krieg und dann hatte sie sich mit ihren 11000 jungfräulichen Freundinnen geopfert. Könnt ihr euch das vorstellen? Zwei Jahre auf Tour zu gehen mit elf Freundinnen und noch Jungfrauen zu sein? (lacht) Das ist der Kölner Dom. Dort die drei Kronen stehen für die Stadtwachen. Dann die Farben. Schwarz, Weiß und Rot. Der Pink-Touch steht für die Lebensfreude, Fröhlichkeit und Weltoffenheit, die es in Köln gibt. Meinen Stil selber, den habe ich ja in Köln und auf Reisen entwickelt. Das passt halt alles. Man findet solche Arbeiten von mir ja in Köln.

 

rap.de: Nimmt man der Kunst, wenn man sie so durchorganisiert, nicht auch etwas von ihrer Faszination?

Seakone: Ich habe das euch jetzt nur so detailliert erklärt, weil ihr ja hier ein HipHop Medium seit. Den Mainstream Medien werde ich das nicht so ausklamüsern.

rap.de: Links neben dir hat Jonone extrem Oldschool gemalt. Wie findest du das?

Seakone: Ich finde es cool. Ich respektiere ihn ganz stark für das, was er tut und für was er steht. Das finde ich so toll, dass sich die ganzen Styles gegenseitig befruchten. Ich stehe überhaupt nicht drauf, wenn Leute in meinem Style malen. Wenn die den 3D-Style adaptieren. Ich male lieber mit Leuten, die einen eigenständigen Style haben und der kann völlig anders sein.

rap.de: Du bist ja jetzt der Einzige von den Jungs, der kein Wholecar gemacht hat…

Seakone: Wollt ihr mich jetzt fragen ob das real ist? (schmunzelt noch)

rap.de: Aber machst du es dir nicht einfach? Die anderen hauen alles voll und du nicht. Ds wurde ja jetzt hier explizit als Wholetrain-Aktion angekündigt.

Seakone: Das war keine Wholetrain Sache. Das habt ihr als Berliner so gelesen!

rap.de: Na ja, so stand es zumindest im Pressetext und da vorne am Eröffnungsschild steht es auch.

Seakone: Dann müsst ihr den Leuten jetzt halt erzählen…

rap.de(Tinka): …dass Seakone die Leute verarscht! Wenn das der Damion Davis wüsste.

Seakone: (gereizt) Dem kann ich ja mal einen Wand machen, dann gucken wir mal!

rap.de: War das ein Damion Davis Diss?

Seakone: Nee, überhaupt nicht. Such doch nicht immer nach dem Negativen!. Also in Seakland, und ihr seid gerade alle in Seakland, denn ihr steht gerade vor meinem Bild, in meiner Realität, sieht so ein Wholetrain aus. Anders ausgedrückt: Ich finde es geil, Elemente aufzunehmen. Und der Zug bietet halt viele davon. Mit dem Grau und Rot, also warum soll ich das ganze Ding platt machen, wenn man es so schön integrieren kann und immer noch eine massive wuchtige Wirkung hat? Außerdem, das was ich gemacht habe, haben die anderen nicht gemacht und nur so hebt man sich voneinander ab. Das ist dich ein klassisches Ding im Graffiti: Alle malen eine Hall bunt, du malst deine Schwarz/Weiß.

rap.de: Ein weiteres Ding im HipHop ist ja auch, dass man sich selbst immer am besten findet. Ist das bei dir auch so?

Seakone: Man muss an sich selber glauben und das was du tust. Dann läuft es im Leben auch eigentlich immer ganz gut. Dann findest du auch Leute, die es attraktiv finden. Ich bin in meiner Realität der Beste und auch der einzige. Es gibt genug Leute, die meinen Stil übernehmen und die blenden denn auch in meine Realität ein. Auf der einen Seite sind es Fans, auf der andere herrscht da ein zwiespältiges Verhältnis. Es gibt besser und schlechter, aber es gibt auch anders. Wenn man den Hintergrund der Leute kennt, zum Beispiel bei Jonone, dann ist es für mich anders. Wenn du eine Ausstellung hast, da hast du verschiedene Leute mit verschiedenen Aktionen, aber eben auf dem selben Niveau, die alle in der Szene Anerkennung genießen. Du kannst hin gehen wo immer du willst und die Leute sagen “Ey Seak, Hammer!“. Und dann haben die sich gefreut, dass die meinen Style kopieren können und das dann weiter machen können.

rap.de: Warum hast du mit Stiften gearbeitet und was ist da mit diesen Haaren? Sind das überhaupt Haare?

Seakone: Ein bisschen schon.

rap.de: Gut. Warum?

Seakone: Weil ich ein sehr männlicher Mann bin (Gelächter bricht aus). Nein, weil ich die Haare erfunden habe im Graffiti und auch die Antennen  und auch diese Kugel-3D-Geschichten gehen auf meine Kappe. Ist ja klar, dass ich hier in meinem Stil male, weil der Wiedererkennungswert hoch ist.

rap.de: Noch abschließende Wort für rap.de?

Seakone: Ja rap.de ist eine coole Sache. Vor Jahren war ich mal nicht ausgelastet als Künstler und wollte Interviews machen für euch. rap.de: Macht weiter so! Verlinkt mich ordentlich! Ja und wenn ihr mal nach Köln kommt Mädels, zeig ich euch mal was real ist… (schmunzelt)