Nazar

Im Iran geboren, dann als Kind mit der Mutter nach Österreich geflüchtet, nachdem der Vater im Golfkrieg fiel. Aufgewachsen in einem Bezirk Wiens, in dem es nicht selten zu Auseinandersetzungen mit Rechtsradikalen kam. Auch wenn sich der Werdegang des Persers alles andere als ideal liest, so verlief seine Musik-Karriere doch geradezu bilderbuchmäßig. 2006 das erste Mal versuchshalber bei Freunden gerappt, drei Jahre später der erste wirkliche Rapsuperstar nach Falco – zumindest im eigenen Land. Nach seinem Debüt-Album "Kinder Des Himmels" steht nun seit dem 26.6. der Nachfolger "Paradox" in den Läden und im Rahmen der allgemeinen Promo-Tour stattete der 26-Jährige auch unserer Hauptstadt einen Besuch ab, zu der er durch seine Landsmänner Chakuza und RAF Camora sicherlich auch keinen unwesentlichen Bezug hat. Wir sprachen mit Nazar unter anderem über politische Pflichten, die aktuelle Lage im Iran und die neidzerfressene, nicht vorhandene Hip Hop-Szene in Österreich und stellten fest: "Straßenrap mit Intellekt" muss keine leere Phrase sein, der Mann hat tatsächlich was im Kopf.

rap.de: Nazar, du kommst aus Österreich und bist vielen hierzulande wohl hauptsächlich aus dem Beatlefield-Umfeld bekannt. Warum sollte man dich hier in Deutschland kennen?

Nazar: Warum man mich kennen sollte? Weil ich Musik mache, die gut ist, und wenn das bei den Leuten ankommt, dann kennen die mich auch. Mir ist es nicht so wichtig, irgendwo bekannt zu werden. Ich will nur meine Musik machen. Die spricht für sich und wenn sie jemandem gefällt, dann ist das cool.

rap.de: Du selbst bezeichnest deine Musik als "Straßenrap mit Intellekt“. Wie äußert sich das? Arbeitest du auch politische Themen auf?

Nazar: Ja, das schon ein bisschen. Ich bin jetzt im Vorfeld zum neuen Album auch immer wieder von Parteien angesprochen worden, ob ich da nicht irgendwie mitwirken könnte, aber das wollte ich nicht. Ich will so was nicht öffentlich machen, vor allem weil Politik auch so ein zwiegespaltenes Thema ist. Ich mache sehr viel im Hintergrund, gebe Workshops für Kinder und Jugendliche und wenn ich sehe, dass es politische Veranstaltungen für Migranten und Jugendliche und sozial geschwächte Leute, dann setze ich mich auch dafür ein. So lange dass keine Wahlpropaganda-Veranstaltungen sind.

rap.de: KIZ haben diesen "Straight Outta Kärnten“-Song gegen Jörg Haider gemacht. Hast du den gehört?

Nazar: Ich habe nur gehört, dass es den gibt. Den Track selber habe ich aber nicht gehört. Was sagen die da?

rap.de: Da wird einfach ein bisschen satirisch mit dieser politisch rechten Gesinnung umgegangen. Von wegen "bei deiner Beerdigung schießt die SA für dich in die Luft.

Nazar: Ich finde das gut, für so etwas ist Musik ja auch da. Jeder hat das Recht, das von sich zu geben, was er möchte, und wenn das dann noch auf eine Art passiert, die menschlich akzeptiert werden kann, dann ist das auch ok so.

rap.de: Wie ist da eigentlich die aktuelle Situation in Österreich? Hat die FPÖ da wirklich so viel Zulauf, auch bei jüngeren Leuten?

Nazar: Das Ding ist, dass sie bei den letzten Wahlen viel Zuwachs bekommen haben – auch von Jugendlichen. Weil sie den Weg, den Haider schon eingeschlagen hat, auf eine noch schmutzigere Art und Weise einfach weiterführen. Das Problem ist, dass in Österreich noch vieles in den Kinderschuhen steckt, was die Integration und das Zusammenführen von Kulturen angeht. Die Arbeitslosenzahl ist wieder angestiegen, die Leute haben kein Geld und dann gibt es halt Leute, die darauf hereinfallen, wenn irgendein Hurensohn kommt und behauptet, dass die Ausländer an allen Problemen des Landes Schuld sind. Dass die ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen und die Kriminalität wegen ihnen steigt und wenn du richtig behindert bist, dann springst du auf so etwas an und unterstützt das. Weil dieses ganze Integrationsding aber auch nicht so gut läuft, fühlen sich die österreichischen Jugendlichen von ausländischen Jugendlichen immer mehr angegriffen und werden in vielen Bezirken auch sehr krass damit konfrontiert. Viele leben ihre Mentalität jetzt eben total aus, als hätten sie nur auf so einen Hurensohn gewartet, den sie in seinen Ansichten unterstützten können.

rap.de: Was glaubst du, warum die Integration in Österreich noch in den Kinderschuhen steckt?

Nazar: Ganz ehrlich, wenn ich das wüsste, dann gäbe es jetzt schon die Nazar-Partei. Ich bin jetzt kein Politiker und kann dir da wirklich auch nicht sagen, was da jetzt alles noch besser laufen sollte. Ich denke einfach, dass das alles noch ein bisschen Zeit braucht. Ich bin ja im Iran geboren und beschäftige mich auch sehr viel mit der iranischen Politik, deshalb weiß ich auch, dass es nicht immer gut ist, eine Politik zu führen, mit der man versucht, es jedem Menschen Recht zu machen. Wenn jetzt zum Beispiel ein Österreicher in den Iran kommt, könnte der da gar keine Welle schieben oder versuchen, seine Mentalität durchzusetzen. Der kann da nicht für seine Werte oder so zu kämpfen, der hat sich einfach anzupassen, wenn er da hinkommt. Das befürworte ich ehrlich gesagt auch ein bisschen. Jeder soll seine Freiheit haben und in seiner Wohnung und so machen, was er will, aber er soll das dann wirklich auch zuhause lassen. Es gibt in Österreich sehr, sehr viele Ausländer, die mit allem unzufrieden sind und versuchen, alles schlecht zu machen, und da verstehen die Menschen natürlich nicht, warum diese Leute dann überhaupt in diesem Land sind. Ich verstehe da ja auch die Problematik.

rap.de: Du bist also schon ein politisch interessierter Mensch und gehst auch wählen.

Nazar: (nachdrücklich) Man muss! Man hat ja bei den letzten beiden Wahlen gesehen, was passiert, wenn man das nicht macht. Da bekommt dann halt eine Partei wie die FPÖ sehr starken Zuwachs. Viele Einwanderer gehen ja gar nicht wählen, weil sie sich damit nicht beschäftigen und sich mehr Gedanken über die Politik ihres Heimatlands machen.

rap.de: Snaga und Fard hingegen haben mit "Talion“ ein sehr gesellschafts- und politikkritisches Album gemacht, trotzdem aber in Interviews gesagt, dass sie nicht wählen gehen, weil das nichts bringt. Ist das in deinen Augen eine richtige Einstellung, sich zu beschweren, aber sich im Endeffet dann doch nicht dafür einsetzen, dass sich was ändert?

Nazar: Jeder muss das für sich selbst wissen, deshalb werde ich auch nie sagen, dass ich das jetzt behindert finde, was die machen. Wenn die das für richtig halten und dahinter stehen, dann ist es ok. Auf der anderen Seite verstehe ich aber auch, was sie meinen. Was hat man denn großartig als Bürger zu sagen, wenn es jetzt nicht gerade eskaliert und alle zusammen halten und auf den Straßen Zerstörungen veranstalten. Du kannst ja auch nur zwischen Scheiße, Scheiße, Scheiße und Durchfall wählen, und jeder stinkt halt ein bisschen mehr als der andere. Aber wenn du siehst, dass diese eine Scheiße es eben in den letzten paar Jahren geschafft hat, alles irgendwie zu vereinbaren, sodass das Land halbwegs läuft, dann gibst du eben deine Stimme dafür ab, damit es eben nicht wie bei den letzten Wahlen eskaliert. Ich denke, dass die Lage in Deutschland jetzt aber nicht so ist, dass Leute wie Fard und Snaga sich unbedingt einsetzen müssen, damit es sich hier nicht verschlimmert.

rap.de: Wie beurteilst du die aktuelle Lage im Iran?

Nazar: Ich sehe das mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Mussawi ist für mich genau so scheiße, der kommt genau so von der Hisbollah und hat hunderttausende Exekutionen an Menschen unterschrieben. Ich scheiße auf die Politik im Iran und würde niemals den Politiker selber unterstützen, für das, was er anstrebt. Der will genau so wenig das Land von der Kopftuchpflicht und dem ganzen islamischen Regime befreien. Der denkt sich halt "Ok, Ahmadinedschad hat richtig viel Scheiße gebaut, ich versuche jetzt einfach einen gesänftigteren Ton anzuschlagen und damit meinen Weg zu finden“ und weiß auch, dass das bei den Jugendlichen ankommt. Im Iran ist es nicht so, dass die Leute einfach nur darauf warten, dass Ahmadinedschad wegkommt, weil der einfach alles zerstört, sondern die wollen in Freiheit leben. Wenn ich Bilder im Fernsehen sehe, wo Jugendliche und Frauen geschlagen werden, werde ich richtig aggressiv. Es ist in dem Moment nicht schön, da nichts tun, sondern es einfach nur aus ein paar tausend Kilometer Entfernung betrachten zu können.

rap.de: Im Iran gibt es jetzt viele Rapper, die in ihren Texten Codes verwenden, mit denen sie auf geheime Widerstandstreffen hinweisen. Was für eine Rolle kann Musik in solchen politischen Situationen spielen, insbesondere wenn es so eskaliert?

Nazar: Ganz ehrlich, Musik hat in solchen Situationen richtig viel Macht, auch in Ländern wie dem Iran. Musik ist für die Menschen dort eine sehr wichtige Sache, weil die nicht viele andere Dinge haben. Ich habe mit vielen Verwandten und Cousins da unten gesprochen, als ich zum ersten Mal was von iranischen Rappern wie Hitsch-kas gehört habe, den ich übrigens auch übertrieben feiere. Da haben die mir erzählt, dass das bei den Jugendlichen dort sehr ankommt und sich da jetzt auch einiges tut. Natürlich schauen immer alle Augen nach Amerika und Europa, was in deren Musikvideos passiert und was die sagen. Aber es ist schon sehr, sehr wichtig im Iran, dass da immer mehr gemacht wird. Bis vor kurzem war es zum Beispiel noch ein wahnsinniges Tabu, Musikvideos zu spielen oder überhaupt Musik zu praktizieren, die nicht jetzt volkstümlich oder altertümlich ist. Vor zwei Jahren oder so gab es dann ein, zwei neue Sender vom öffentlichen Fernsehen, wo dann Lieder über das Land oder die Sonne gemacht werden dürfen, aber immer noch nicht über die Tatsachen. Die haben einfach gesehen, dass das bei den Leuten zieht, wollen aber trotzdem nicht, dass das irgendwelche politischen Inhalte hat. Die wollen nicht, dass die Leute davon singen, dass sie in die Heimat zurück wollen und das Regime alles gefickt hat.

rap.de Ist es dir selbst wichtig, in deiner Musik viel Inhalt zu transportieren?

Nazar: Also wenn man meine Musik hört und das jetzt nicht unbedingt ein Track ist, bei dem ich eine Wand einschlagen möchte, dann hört man natürlich schon, dass ich immer Wert darauf lege, eine Message zu haben. Aber nicht, um irgendwelche Kinder zu belehren und den Pädagogen zu spielen, sondern einfach, weil ich meine Meinung sagen möchte. Ich will zeigen, wer ich bin. Meine Musik ist einfach einhundertprozentig Nazar.

rap.de: Viele sagen ja, dass sie zum Beispiel von Public Enemy oder Eazy E sehr geprägt wurden. Hattest du irgendwelche musikalischen Vorbilder, als du 2006 mit dem Rappen angefangen hast?

Nazar: Bis kurz bevor ich angefangen habe zu rappen, habe ich Deutschrap-mäßig eigentlich kaum was mitbekommen. Hip Hop habe ich hauptsächlich übers Ami-Fernsehen mitgekriegt, und als `98, `99 "Wu-Tang Is Forever“ raus gekommen ist, war das für mich einfach legendär. Trotzdem war das jetzt keine Musik, die mich für meine eigene Musik beeinflusst hat. Meine Umgebung damals war sehr auf Azad hängen geblieben und das war dann eigentlich auch der Grund, warum ich angefangen habe, mich richtig damit zu beschäftigen, was in Deutschland eigentlich passiert. Da war Azad auch wirklich der Einzige, den ich respektiert und gut gefunden habe, aber unabhängig davon habe ich meinen eigenen Stil entwickelt und versuche auch ständig, mich da zu steigern.

rap.de: Was war für dich der konkrete Anstoß, Rapmusik zu machen?

Nazar: Am Anfang hat das eigentlich als Jux begonnen. Ein Kollege ist vorbei gekommen und hat mir was von seinem Nachbar vorgespielt, der irgendetwas mit dem Headset aufgenommen hatte. Das fand der voll gut und da habe ich mir gedacht, dass ich das auch mal versuchen könnte. Ich war eine Zeit lang ans Bett gefesselt und habe sowieso irgendeine Beschäftigung gebraucht Also habe ich ein bisschen was geschrieben und es einem Freund vorgerappt. Der fand das gut, also sind wir ins Studio von einem Freund von ihm gefahren und haben das aufgenommen. Dann haben wir das mehreren Leuten vorgespielt und es ist immer größer geworden.

rap.de: In Deutschland hören viele französischen Rap und natürlich die Sachen aus Amerika, aber ich glaube, dass die wenigsten einen Einblick in die österreichische Hip Hop Szene haben. Kannst du uns da vielleicht einen kurzen Überblick geben?

Nazar: Wenn es eine Szene geben würde, wäre das schon mal cool. (Gelächter) Aber die ist leider noch nicht vorhanden und vielleicht ist es auch ein bisschen die Mentalität der Österreicher, das alles immer sehr auf Hass und Neid aufgebaut ist. Wenn jemand was macht, sagt er natürlich auch immer, dass er der Allerkrasseste ist und alles andere ist scheiße. Meiner Meinung nach war österreichischer Rap bis zu meinem ersten Album noch 1992. Die sind auf einem Film hängen geblieben, den sie nicht weiterentwickeln konnten, und dann habe ich eben so ein bisschen aufgezeigt, dass auch andere Sitten herrschen können. Das man ein richtig gutes Album und dazu ein cooles Video machen kann, mit dem man sich gut präsentiert und womit man dann eben auch Aufmerksamkeit erregt. Seitdem haben sich viele Crews gebildet, die wirklich versuchen, etwas Cooles aufzubauen. Das respektiere ich auch alles sehr, aber das ist wirklich noch in den Kinderschuhen. Das muss noch einiges an Erfahrung gesammelt und Kontakte geknüpft werden, damit das eben in den nächsten Jahren ein bisschen anders aussieht. Aber wir haben HC, der ist ja ein Überrapper! (lacht)

rap.de: Also bist du quasi der Torch von Österreich?

Nazar: Ich weiß nicht… Wer ist Torch?

rap.de: DER deutsche Rapgott! (lacht) Kennst du nicht "Fremd Im Eigenen“ von Advanced Chemistry?

Nazar: Hat der mich gebattled oder was? (Gelächter) Nein, also es gab in Österreich natürlich auch schon Leute vor mir. Ich bin noch lange kein Falco und auch kein Torch, daran muss ich noch lange, lange arbeiten.

rap.de: Wie hat denn eigentlich die nichtvorhandene österreichische Hip Hop Szene darauf reagiert, als die Beatlefield-Leute damals zu Bushido nach Berlin gegangen sind?

Nazar: Ich habe das zu der Zeit gar nicht so mitbekommen, weil ich da auch noch gar nicht so viel Rap gehört habe, aber als ich in dem Ganzen drinnen war und die Jungs über RAF kennen gelernt habe, wollte ich einfach wissen, wie das bei denen damals war. Mir wurde anfangs nämlich auch sehr viel Neid und Hass entgegengebracht. Chakuza war einfach auch schon lange Zeit vor EGJ in Österreich aktiv und hat da schon genau so gute Musik gemacht wie jetzt. Als er noch in Österreich war, war er für die Österreicher aber nicht gut genug. Als er aber Erfolg hatte, war er wieder der King, weil das hier einfach immer so ist. Wenn jemand was in Österreich versuchen möchte, ist er scheiße, aber sobald er im Ausland erfolgreich ist, sagen sie "Heeey, das ist doch einer von uns!

RAF Camora: Wenn ich dazu auch was sagen darf: In Wien kannten wir ihn ja gar nicht, der war für uns wirklich ein ganz, ganz Fremder. Aber in Linz war es schon so, dass die ganze Stadt ihn gehasst hat. Zumindest als ich damals nach Linz gekommen bin, weil ich da mit jemandem aus Chakuzas Umfeld aufnehmen musste. Bis auf ein paar kleine Ausnahmen haben ihn da alle gehatet. Wir in Wien sind alle sehr patriotisch, wir kriegen auch gar nicht unbedingt mit, was außerhalb von uns so alles abgeht. Bei uns war es so, dass er für uns der King war, als das alles raus gekommen ist, aber davor hat sich niemand für ihn interessiert.

rap.de: Also ist es für einen jungen Künstler aus Österreich eigentlich eine ganz schreckliche Situation, wenn er in seinem eigenen Land Musik machen möchte.

Nazar: Das ist definitiv so. Wer in Österreich frisch damit beginnt Musik zu machen, begibt sich auf jeden Fall in eine Löwengrube, weil da einfach zu viele behinderte Opfer sind, die seit 15 Jahren versuchen durchzustarten. Teilweise haben die nach 12 Jahren auch gute Ansätze bekommen, aber die werden von ihrem Ego so gefickt, dass sie es einfach nicht verkraften können, wenn jemand junges kommt, der mit einem Album alles zerstört. Also, mich persönlich stört das überhaupt nicht, gegen mich hat in Österreich sowieso niemand was zu sagen und zu machen noch weniger. Und wenn ich aus irgendwelchen Ecken höre, wie alle wegen den Raubkopien und was weiß ich nicht allem rumjammern, dann gibt mir das noch mehr Ansporn.

rap.de: Man könnte dich jetzt schon als den Rap-Star innerhalb Österreichs bezeichnen, oder?

Nazar: Das kann man natürlich.

Ben Mansour: Das kann ich nur bestätigen. Ich bin extra rüber gefahren, um mir das mal anzugucken, und das war beeindruckend. In jeder U-Bahn waren Fotos von ihm, weil er zu dem Zeitpunkt auch zusammen mit Chakuza bei einem Konzert aufgetreten ist, und die Leute haben ihn alle übertrieben gefeiert. Auch als die Beatlefield-Leute ihren Stand da aufgemacht haben… Der wurde richtig gestürmt. Ich habe so etwas noch nie erlebt.

RAF Camora: Ich bin ja aus Wien und kann da vielleicht auch was zu sagen. So einen Status wie Nazar ihn gerade in Österreich hat, hat einfach sonst kein anderer Rapper und das gab es davor auch noch nicht. Die letzten, die mit ihrem Rap so respektiert wurden, waren wirklich Texta, wobei es damals noch um nichts gegangen ist und es leicht war, Musik zu machen. Mittlerweile könnte Puff Daddy mit ihm rumlaufen und drei Kinder würden sagen "Oh, guck mal! Nazar!

Ben Mansour: Auch als wir uns das erste Mal im Gasometer getroffen haben, kamen wir kaum zum Reden, weil ständig Leute kamen, die ihn gegrüßt haben oder mit ihm quatschen wollten. Das waren schon so Dinge, die mich beeindruckt haben. Es gibt Leute, die viel reden, und es gibt Leute, die viel arbeiten. Nazar gehört zu Letzteren.

rap.de: Machst du hauptberuflich Musik? Was wäre für dich eine Alternative gewesen?

Nazar: Ja, schon seit zwei Jahren. Ich müsste auch ein richtiges Opfer und behindert sein, wenn ich behaupten würde, dass ich ansonsten verhungert wäre und 40 Menschen hätte töten müssen, um mir ein Brot zu kaufen. In Deutschland und Österreich weiß jeder, dass man auch auf eine sehr einfache und legale Art und Weise Geld machen und davon gut leben kann. Auch ohne einen Benz zu fahren. Auch wenn das jetzt alles nicht klappt, ist es für mich ok. Danke für die schöne Zeit, ich habe ein paar coole Videos, die ich meinen Kindern zeigen kann, damit sie damit ein paar andere Kinder in der Schule damit beeindrucken können, und das war es dann auch für mich. Dann mache ich eben irgendeinen Laden auf oder gehe wieder auf dem Bau arbeiten.

rap.de: In Deutschland ist es ja sehr verbreitet, dass Künstler jahrelang versuchen den Durchbruch zu schaffen und dann irgendwann die gesamte Schuld für ihr persönliches Scheitern der Szene oder den Fans in die Schuhe schieben. Ärgert dich so was?

Nazar: Das habe ich auf jeden Fall schon viel in Interviews gehört oder gelesen und stören tut es mich das nicht unbedingt, weil mir bis auf meine Familie und meine Freunde alle scheißegal sind. Das Ding ist aber, dass ich das ein bisschen nachvollziehen kann. Ich kenne mittlerweile ziemlich viele Rapper und viele sind einfach schon zu lange dabei und hinken immer noch ihrem Traum hinterher. Vielleicht war der auch schon mal in sichtbarer Nähe. Sie sind einfach so auf diesem Film hängen geblieben, dass sie nicht mehr dazu in der Lage sind, die Realität zu erkennen. Dass die, wenn es nicht mehr läuft, gar nicht aufhören können oder noch mal versuchen, ihren Namen zu steigern, damit sie in eine andere Sparte rein können. Oder vielleicht noch mit dem Rap-Ding Kohle machen, aber in einer anderen Form. Ach, was weiß ich. Die sind mir eigentlich auch alle scheißegal! (lacht) Fakt ist aber, dass in der Szene hier nach wie vor viel zu viele Leute sind, die schon lange hätten abwinken sollen. Damit hätten sie ihren Namen nicht kaputt gemacht und könnten in fünf Jahren vielleicht noch mal ein Best Of Album bringen. Trotzdem bin ich kein Typ, der viel nach links und rechts guckt. Ich schaue geradeaus und versuche, mir meinen eigenen Weg zu ebnen.

rap.de: Hast du trotzdem so ein bisschen einen Einblick in die deutsche Rapszene? Es ist für uns dann ja doch immer recht interessant, was Außenstehende darüber denken. Gerade über diese ganzen Dissgeschichten.

Nazar: Jeden Track, den ich in meiner bisherigen Karriere zusammen mit anderen aufgenommen habe, habe ich nur mit Leuten gemacht, die ich persönlich auch sehr mag und die meine Freunde sind. Ich habe aber innerhalb der deutschen Szene auch schon Leute kennen gelernt, mit denen ich lieber nichts zu tun gehabt hätte. Gerade auch bei diesen Beef-Sachen: Jeder kann machen, was er will, aber ich finde das richtig lächerlich. Das ist wirklich Kindergarten und wenn du in Wien mit so etwas anfangen würdest, würdest du erst einmal zehn Mozartkugeln auf den Kopf kriegen, die dir den Kopf zerbrechen. Da gibt es auch keine Familien, die sich mit Rap beschäftigen und Leute da beschützen, um irgendwann mal ein paar tausend Euro zu sehen. Da laufen ganz andere Geschäfte und wenn da jemand Beef beginnt, dann ist auf jeden Fall Game Over. Ich habe hier ein paar Sachen gesehen, die leider viel, viel zu weit gingen. Wie sich jemand selbst noch im Spiegel angucken kann, wenn er Tracks macht, in denen er Cousinen fickt und dann die Tante und der andere schießt zurück mit dem Cousins und dem Onkel und irgendwann ist die Sache gegessen, weil keiner mehr Bock hat, sich das Ganze noch anzuhören und zu kaufen. Da fängt dann der nächste an, mit der Stute seines Esels oder was weiß ich zu ficken und… Ach egal, jeder soll machen, was er will. Das soll jetzt auch kein Angriff gegen irgendjemanden sein. Wenn es immer noch Leute gibt, die so was für cool halten und auch fixiert darauf sind, so was zu hören, dann sollen die das machen. So lange das für die funktioniert, ist das Musik und Business, aber für mich ist das definitiv kein Thema.

rap.de: Battlerap kann ja aber auch sehr unterhaltsam und witzig sein.

Nazar: Natürlich, das kommt halt immer darauf an, auf was für eine Art und Weise das geführt wird. Das EkoSavas-Ding war auf jeden Fall cool, das mit Azad und Samy auch, aber wie sich das in letzter Zeit entwickelt hat, dass sich irgendwelche Vögel gegenseitig mit Scheiße beleidigen und dann auch noch boxen müssen, das finde ich nicht gut. Für mich ist das wirklich lächerlich. Wenn so ein paar von diesen Leuten in Österreich damit angefangen hätten, dann wären die nicht lange dabei gewesen. Ich hoffe im Allgemeinen, dass das in Österreich so bleibt und die Leute sich da erwachsen verhalten und nicht auf so eine Scheiße eingehen. Diese lustigen Sachen, die du eben angesprochen hast, sind ja auch ok. Die sind nicht das Problem. Aber das mit dem Mutter-Dissen und so… Ich weiß nicht.

rap.de: Ich glaube einfach, dass die Leute irgendwann an einen Punkt kommen, an dem sie merken, dass sie das Battle auf einer lyrischen Ebene nicht gewinnen würden. Es gibt zu viele, die nicht gut genug sind, um auf einer lyrischen Ebene ein Battle zu führen.

Nazar: Dann sollen sie eben die Fresse halten! Außerdem kommt es doch viel cooler, wenn du so ein behindertes Opfer einfach ignorierst und ihm so zeigst, dass es dir scheißegal ist. Als mein Hype damals so ein bisschen angefangen hat und auch mein erstes Album raus gekommen ist, war natürlich das erste, was kam, irgendein behinderter Track von so einem Kind. Der hat jetzt daraus gelernt und ein paar tausend Euro für eine Zahnprothese zahlen müssen. Der hat gelernt, dass man so etwas nicht machen darf und vor allem nicht auf dieser Mutter-Ebene. Wenn meine Familie da rein gezogen wird, sehe ich wirklich rot. Da ficke ich jeden mitsamt seiner Familie, ist mir scheißegal, wer das ist. Scheißegal, wie viele Leute der hinter seinem Rücken hat. Diese Leute werden dafür bezahlen. Die Mutter und die Familie sind so Themen, die richtig heilig sind, und das sollten so ein paar Leute auch respektieren und in Zukunft besser mal die Klappe halten. Und wenn er technisch und lyrisch nicht mithalten kann, dann soll er überhaupt die Fresse halten.

rap.de: Dein Video zu "Kinder des Himmels“ lief zum Release deines letzten Albums auch bei MTV Deutschland, jetzt kommt am 26.06. dein Album "Paradox“ raus. Was ist in diesem Jahr passiert? Inwiefern unterscheidet sich dein neues Album von dem alten?

Nazar: Ich habe bei der Beatauswahl versucht, in andere Richtungen zu gucken und ich habe natürlich auch versucht, mich raptechnisch zu steigern. Außerdem wollte ich ein paar mehr Geschichten und Ideen reinbringen und damit alles auf eine höhere Ebene zu befördern. Und ich denke auch, dass mir das gelungen ist.

rap.de: Warum der Titel "Paradox“?

Nazar: Ähm, mir ist eigentlich nichts Besseres eingefallen. (Stille) Ach nee, das war doch nur Spaß. Ich musste schon so oft auf die Frage antworten. Mein ganzer Werdegang ist paradox. Aber ich bin jetzt auch kein Typ, der Konzeptalben macht und einen roten Faden für das Album entwirft. Ich mach einfach meine Musik, das nächste Album kann von mir aus "“ heißen, die Hauptsache ist doch, dass der Inhalt stimmt.

rap.de: Du kommst ursprünglich aus Teheran, jetzt bist du ein erfolgreicher Künstler in Österreich. Verblüfft dich das manchmal selbst?

Nazar: Wenn man sich mal die quasi nicht vorhandene Rapszene Österreichs anschaut, dann ist es wirklich paradox, dass ausgerechnet ich es geschafft habe, dort durchzustarten. Und das, obwohl viele Leute versucht haben, mir Steine in den Weg zu legen.

rap.de: Außerdem strebst du eine Filmkarriere an, habe ich gelesen.

Nazar: Der persische Til Schweiger. (lacht)  Nein, aber der Film "Schwarzkopf“ ist Ende dieses Jahres fertig und wird dann nächstes Jahr im Kino laufen. Und die, die den Film sehen, werden feststellen, dass alle, die dort mitspielen, zu hundert Prozent sie selbst geblieben sind. Ich musste mich bei vielen Szenen auch überwinden, das zu zeigen. Es wurden keine professionellen Schauspieler gecastet, es sind Leute aus Schulen, aus meiner Umgebung, meinem Bezirk. Wir haben auch Leute aus Strafanstalten und Jugendzentren gecastet. Es sollte alles Straße sein: Mentalität, Herz, Gefühl, Glaube, Mentalität.

rap.de: Dann ist es ja auch ein bisschen autobiografisch angehaucht, oder?

Nazar: Na ja, es dreht sich ja nun nicht alles um mich in dem Film. Es geht um mehrere Personen, um einen Lifestyle, eine Musikszene. Es geht um eine Gruppierung, die denselben Glauben und dieselbe Meinung teilt. Ich will auch nicht zu viel verraten.

rap.de: Wen würdest du hier in Deutschland in derselben Position wie dich in Österreich sehen? Also jemand, der zwar mit seiner Musik erfolgreich ist, aber trotzdem auf der Straße Respekt bekommt.

Nazar: Auf jeden Fall Azad. Dem sollte man für das, wofür er steht und kämpft, auf jeden Fall respektieren. Generell gibt es in Deutschland viele Leute, die ich respektiere. Leute, die ich zwar noch nie getroffen habe, die aber alleine durch ihre Musik überzeugen. sido und Bushido sind zum Beispiel übertrieben King, denen muss man einfach Respekt dafür zollen, was die beiden erreicht haben. Es ist doch eigentlich auch scheißegal, ob die beiden jetzt von der Straße respektiert werden oder nicht, das sollte eigentlich allen egal sein. Du kannst von der Straße nicht leben, die Straße lebt von dir.

rap.de: Das war ein Bild dafür, dass auch wirklich jeder sagt: "Du bist cool, du hast es geschafft, ich respektier dich dafür.

Nazar: Ach, wir reden doch von Rap. Da gibts doch so was gar nicht, dass man jemanden so lobt.

rap.de: Findest du das schade?

Nazar: Na klar! Ich bin ein sehr ehrlicher Mensch, der  immer sagt, was er denkt. Zumindest versuche ich das. Und wenn ich etwas respektiere oder gut finde, dann sage ich das auch. Es geht doch nichts von meinem Körper, meiner Seele oder meinem Geld verloren, wenn ich jemanden Respekt zolle! Und wenn es hunderttausend Rappern gut geht und die ihr Ding machen, dann hoffe ich, dass es mir auch irgendwann so gut geht. Ich versuche doch nicht, jemanden von da oben nach unten zu ziehen.

rap.de: Das Beeindruckende an Azad ist ja, dass er in seinem letzten JUICE-Interview gesagt hat, das ihm sein Steuerberater seit Jahren rät, dass Label dicht zu machen und dass er pleite ist und so was. Ich glaube, das hat in der Rap-Szene viele geschockt, weil hier immer vermittelt wird, dass die Leute zwar im Ghetto leben, aber trotzdem einen Siebener vor der Tür stehen haben.

Nazar: Als ich mit der ganzen Sache begonnen habe, habe ich mir auch ernsthafte Gedanken gemacht, wie das ganze Endprodukt werden soll, wie der Look seien soll. Für mich ist der Ami, der in seinem Video seine ganzen Scheiß-Autos und seinen dummen Schmuck zeigt, zwar behindert, aber er hat es wenigstens. In Deutschland ist echt viel dadurch gefickt worden, dass Rapper darüber geredet haben, wie viel Geld sie jetzt machen und welches Auto sie fahren. Wenn ich jetzt überhaupt keine Kohle habe und um mein Leben kämpfe und dann sehe ich plötzlich so einen Typen, der auf richtig Boss und Ghetto-Millionär macht und ich muss mir abgelaufenes Brot kaufen, dann ist doch klar, dass das Neid weckt. Jetzt ist die Zeit der Erkenntnis gekommen. "Überall steht mein Album zum Download bereit und die Industrie fickt uns“ – das ist nicht das einzige Problem. Es wurde einfach viel zu viel gelogen und irgendwann kommt die Scheiße unterm Teppich hervor. Das ist jetzt eingetroffen in Deutschland.

rap.de: Würdest du es feiern, wenn jetzt jemand ein Lied machen würde von wegen "Scheiße, jetzt ist der Videodreh vorbei. Ich muss die Autos wieder abgeben und in meine Ein-Zimmer-Wohnung zurück.“

Nazar: Ich feiere alles, was ehrlich ist! Ich habe das Interview von Azad gelesen und ich respektiere, was er da sagt. Es zeigt einfach, dass er ein Mann ist, der so etwas auch zugeben kann. Die Musikszene hat sich einfach gewandelt, die Leute müssen sich umstellen, wegen den Downloads und so. Man muss einfach einen Weg finden, wie man sich umstrukturieren kann, wie man einfach wieder gute Musik machen kann!

rap.de: Abschließende Frage: Wo siehst du dich in zehn Jahren?

Nazar: Hoffentlich auf meinem 34. Geburtstag. Party! Du bist herzlich eingeladen.