Warum macht der das eigentlich noch? Die Frage ist erlaubt. Nötig hat er es jedenfalls nicht mehr. Wobei, was heißt „nicht mehr“? Hatte er ja nie. Jetzt aber noch weniger als je zuvor. Mit seinem letzten Album „Zum Glück in die Zukunft 2“ hat Marten endgültig den kommerziellen Durchbruch geschafft. Und nicht nur das, auch den künstlerischen. Rap ist nur noch eine von mehreren Zutaten in der Suppe, wenn er als Marteria ans Mic geht. Kein Vorwurf deswegen – was ich von „ZGIDZ2“ halte, kann man hier nachlesen. Trotzdem, er hat uns nicht vergessen. Und siehe, er sendet seinen grünen Bruder Marsimoto, der keinen Quantensprung anpeilt, weder einen kommerziellen noch einen künstlerischen, der nach sich nach wie vor an die Klassiker hält: Gras und Rap.
In Zeiten von um sich greifendem Kokainkonsum unter Rappern und einer Aufweichung der guten, alten Dualität von tight vs. wack ist das fast schon nostalgisch. Nun schickt sich Marsimoto mit seinem vierten Album allerdings nicht an, irgendwelche verstaubten Sounds aus dem Jungskeller zu holen, im Gegenteil. Gerade musikalisch ist „Ring der Nebelungen“ sein bisher innovativstes, ausgereiftetes Werk, ohne dass es jetzt irgendwie durchkalkuliert oder ausgedacht klingen würde. Ist ja auch nicht so, dass irgendwelche Stümper hier am Werk gewesen wären, im Gegenteil. Mit Dead Rabbit, The Krauts, Nobodys Face, Kid Simius und dem zumindest mir bisher unbekannten Ben DMA hat Marsi sich die führenden Köpfe ausgesucht, was diesen speziellen, basslastigen Soundteppich angeht. Anfänger mögen das für Trap halten, die Referenzpunkte liegen aber eher in London und vor allem Kingston, Jamaica, wo ein Großteil des Albums auch entstanden ist. Mit Reggae hat das alles aber nicht das geringste zu tun, jedenfalls nicht mit dem von Bob Marley. Sphärische, düstere Beats brechen sich hier ihre Bahn in den Gehörgang und sorgen ein ums andere Mal für diese wohlige Erektion von Nackenhaaren, auch Gänsehaut genannt.
Während musikalisch also noch mal eine ordentliche Schippe draufgelegt wurde, was auch verhindert, dass „Ring der Nebelungen“ – wie noch seine Vorgänger – unter allzugroßer Homogenität oder auch Redundanz leidet, ist lyrisch alles beim Alten geblieben – „Alten“ im Sinne von gutem, altem. Marsi packt Wortspiel an Wortspiel, Referenz an Referenz. Die Bandbreite der von ihm zitierten Deutschrap-Kollegen reicht dabei von Advanced Chemistry („Ich hab ’nen goldenen Pass mit ’nem grünen Adler drauf„) über Freundeskreis („Immer wenn es regnet, muss ich an dich denken„) bis zum Frankfurter Azzlack-Oberhaupt („Wir waschen unsere Seele rein/ Haftbefehl auf Lebenszeit„).
Das alles streut Marsi einfach so ein, scheinbar nachlässig und ohne Nachzudenken. Es unterstreicht den Flavor des Albums, ist aber noch lange nicht alles. Die lyrische Dichte von „Ring der Nebelungen“ ist enorm, umfasst auf den Punkt heruntergebrochene Jugenderinnerungen wie „An der Tischtennisplatte“ ebenso wie kluge politische Ansagen wie „Anarchie“ oder „Zecken raus„. Dabei macht Marsi wieder einen großen Bogen um platte Parolen oder einfache Halbwahrheiten. Lieber dekonstruiert er mal eben im Vorbeigehen das enervierende „Babylon“-Gefasel von Soziologie-Studenten mit blonden Dreadlocks: „Ich rapp‘ solange Babylon steht/ Was Babylon ist? Ich glaub‘ ein Prophet/ oder ein Komet oder eine schlechte Großraumdiskothek“ oder entlarvt die Forderung nach einer Legalisierung von Marijuana als den Traum deutscher Spießer, mit dem Segen der Obrigkeit kiffen zu dürfen.
Viele Zeilen entziehen sich einer konkreteren Ausdeutung, stehen für sich und entfalten ungeahnte Wirkung. Nach wie vor setzt der Grüne die Pointen richtig, verwirrt den Hörer zunächst mit einer Vielzahl von Anspielungen und konkret besetzten Schlagwörtern, die er gerne aus dem Kontext reißt, um sie sofort in einen neuen zu setzen, der umgehend Sinn ergibt („Axel-Springerstiefel„). Klar, die Message, die über allem schwebt, ist eigentlich recht klar und einfach: „Back to green„, zurück zur Natur, die Ausgestaltung und Umsetzung aber ist so verspielt, detailverliebt und facettenreich, dass es immer wieder Spaß macht, in den grünen Schleier der Lyrics einzutauchen und jedes Mal neue Kleinigkeiten zu entecken.
Was haben wir also? Wir haben ein Album, das sich voll und ganz im grünen Bereich bewegt (haha) und wahrscheinlich Martens bisher bestes ist, auch Alter Ego-übergreifend betrachtet. Nicht der Gegenentwurf, sondern die Ergänzung zu „Zum Glück in die Zukunft 2„. Das einzige, was man an „Ring der Nebelungen“ mit Recht kritisieren kann, hat mit Musik rein gar nichts zu tun, soll aber an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben: 100 Euro für die, hm, Limited Ultra Vinyl Edition hätten’s dann doch nicht sein müssen.