Es gab in letzter Zeit kaum einen zweiten deutschen Rapper, der in so kurzer Zeit so viele stehende Ausdrücke und Phrasen etabliert hat. Von „Ich trage Mantel“ über „Dribbeln“ bis hin zu „In Gold gebadet„. Fünf Jahre lang war Xatar weg. Nun ist er wieder da – „Iz da“ – und entweder hatte er dieses Talent zur gekonnten Selbstinszenierung schon immer oder die lange Zeit im Knast hat seine diesbezüglichen Fähigkeiten noch reifen lassen. Fakt ist, seit seiner Entlassung im Dezember hat der Bonner sich sympathisch, witzig und stilvoll als Don des deutschen Gangsta-Rap präsentiert. Die ersten drei Videos „Original„, „Iz da“ und „Mein Mantel“ deuteten aber auch bereits an, dass Xatar nicht nur ein Meister der coolen Selbstdarstellung mit dem gewissen Augenzwinkern ist, sondern auch musikalisch und raptechnisch nochmal eine ordentliche Schippe draufgelegt hat.
Dieser Eindruck wird beim Hören des dritten Albums „Baba aller Babas“ bestätigt. Der Vorgänger „Nr. 415“ war ein rohes Stück durchaus faszinierender Straßenrap – aber es litt natürlich an den schwierigen Aufnahmebedingungen, vor allem der Tatsache, dass Xatar seine Strophen gar nicht auf den Beats aufgenommen hatte, die letztendlich auf dem Album zu hören waren. Dieses Mal ist alles aus einem Guss – und das hört man. In den vergangenen beiden Jahren hat sich der Alles oder Nix-Sound weiter ausdifferenziert. Hart kickende Drums kombiniert mit den leicht psychedelischen Sounds, die man im allgemeinen mit der guten, alten Westcoast in Verbindung bringt. Keine billigen Synthielines, keine Ibizia-House-Anleihen, kein Bullshit.
„Ich kam, um zu equalizen
und dem armen Deutschrap ein paar Beats zu zeigen“ („Rote Notiz„)
True Story: Allein schon durch die Beats ist „Baba aller Babas“ ein starkes Album. Reaf, Maestro und Shoukri haben einen Soundteppich ausgerollt, auf dem man tatsächlich guten Gewissens die Schuhe ausziehen kann: Hier ist Rap zuhause, hier fühlt er sich wohl. Genau die richtige Mischung aus klassischem Ansatz und State of the Art – ohne komplett in nostalgisches Retro-Zitieren zu verfallen. Anbiederungsversuche an aktuelle Trap-Trends sucht man ebenfalls vergeblich.
Und auch Xatars Rap hat sich deutlich gesteigert. Hatte der Bira auf „Nr. 415“ noch vor allem durch die offensichtliche Authentizität und die faszinierende Atmosphäre geglänzt, so sitzen die Reime dieses Mal locker an der Hüfte wie die Uz‘. Der Kurde ist immer noch kein Technikfetischist, der emsig Reimsilben zählt, aber er weiß, was er kann und wo seine Stärken liegen. Und das ist vor allem die Haltung, die Attitüde, die aus seinen Zeilen spricht. Seine größtes Kapital ist unzweifelhaft sein Charisma. Wenn er auf „Dresscode“ mit Olexesh den Doubletime-Flow auspackt, sitzt das trotzdem wie angegossen. Aber so ein Stilmittel wird hier nicht zum Selbstzweck, sondern fügt sich logisch ins übrige Geschehen. Das gilt auch für die Featuregäste Haftbefehl, Schwesta Ewa, SSIO, Kalim, Samy und Teesy.
Natürlich dominieren wieder Straßenthemen. Insgesamt geht Xatar es aber weit lockerer an als auf dem Vorgänger. Dominierten dort noch düstere Knastgeschichten, so geht es dieses Mal eher darum, den eigenen Lifestyle und den damit einhergehenden Status zu zelebrieren. Der Grundton ist positiv. Eine sinnlose Verherrlichung von Straftaten findet man auf „Baba aller Babas“ nicht, einen nervös erigierten Zeigefinger aber auch nicht. Recht lakonisch, gerne mit einem Augenzwinkern, aber weder albern noch klamaukig wird das vielbeschworene Streetlife in schillernden Farben gemalt, ohne die negativen, unglamourösen Aspekte auszublenden.
Zudem schafft es Xatar ohne Verrenkungen, auch ernstere Themen anzusprechen. Etwa, wenn er in „Original“ das brutale Vorgehen des IS in den kurdischen Gebieten auf den Punkt bringt:
„Ein paar Fundis wollten Kurdistan schocken, indem Blut fließt
Sie wollten uns Islam beibringen, doch vergaßen
Dass wir die Kinder Saladins sind“
Oder wenn er in „Justizia“ (feat. Kalim) kritisiert, dass viele Inhaftierte erst im Gefängnis zu richtigen Verbrechern werden.
„Im Knast fängt man doch erst an
Macht Connex von Lapaz bis Rotterdam
All die Babas, Mörder, Mafioso
Knast ist wie Börse für Banden und so“
Das aber wie gesagt ohne bemüht oder verkrampft moralisch zu wirken. Man merkt es „Baba aller Babas“ wohltuend an, dass Xatar nicht Anfang 20 ist. Das Album klingt in einem guten Sinn erwachsen – nicht langweilig oder verzweifelt, sondern souverän und mit ruhiger, aber im Zweifelsfall schlagkräftiger Hand. Diese wird jedoch nicht dazu gebraucht, sie gegen Schwächere zu erheben, sprich, es finden sich keine Disses oder Beleidigungen auf dem Album. Mit dieser Fahrweise unterscheidet sich AON schon seit jeher durchaus wohltuend von den Entwürfen anderer Vertreter des Straßenrap-Genres. Statt auf plakative Ansagen legt man viel Wert auf die Musik, die Stimmung und die Atmosphäre. Und das ergibt im Endeffekt ein rundes, starkes Album – eins der besten des bisherigen Jahres 2015.