Ratlosen Blickes sitzt das jüngere Semester vor der Elektronik, liest diese Zeilen und hat eventuell keinerlei Ahnung, um wen genau es hier gerade geht. Die eventuell fällige Googlesuche sei der werten Leserschaft hiermit abgenommen: Lakmann (früher übrigens mit nur mit einem N am Schluss) war mal einer der Großen im deutschen Rapgeschäft. Gemeinsam mit seinem damaligen Partner in Crime, Flipstar, riss der Mann aus Witten mit dem Duo Creutzfeldt & Jakob um die Jahrtausendwende herum landesweit die Bühnen ab. Die erste Hochzeit, den ersten großen Boom des Deutschrap, prägte man als Zugpferde. Mittlerweile allerdings ist der Glanz dieser Ära komplett verblasst. Kaum ein damaliger Act genießt heute im aktuellen Kontext der Szene noch echte Relevanz.
Zehn Jahre ist das letzte C&J Album nun bereits alt. Während Flipstar mittlerweile das Mic mehr oder weniger komplett an den Nagel gehängt hat (für zwei Feature-Parts hat sich der gute Mann für den freudigen Anlass der Lakmann-LP tatsächlich reanimieren lassen!) um die Brötchen als Gehirnchirurg an der Universitätsklinik Essen zu verdienen, hält Laki nun nach langer Auszeit wieder tapfer die Fahne für die Bunkerwelt Witten hoch.
„2 Gramm gegen den Stress“ lautet der Titel des Albums, nominell angelehnt an besagtes letztes Creutzfeldt Release „2 Mann gegen den Rest„. Die Überschrift also: ähnlich. Hier enden die Übereinstimmungen dann allerdings auch schon. Zielte die Marschroute in den letzten Tagen von Creutzfeldt & Jakob 2003 noch direkt Richtung Spitze der Charts, bekommt der geneigte Hörer 2013 einen ganz anderen Standpunkt präsentiert.
„Wofür mach ich das?„
Ja, wofür eigentlich? Es wird relativ zügig deutlich, wofür. Lakmann rappt: für die Liebe zum Handwerk. Für die Verbundenheit zu „seiner“ Kunst. Und dies ist mitnichten negativ zu verstehen. Man erlebt auf „2 Gramm gegen den Stress“ einen spürbar gereiften Rapper. Plakative dummdreiste Schreikrämpfe, die auf die tausend Mal wiedergekäute „Übernahme des Games“ zielen? Gott bewahre. Auf „2 Gramm gegen den Stress“ herrscht ein gesunder Pragmatismus. Selbstherrlichkeit um der Selbstherrlichkeit willen darf getrost andernorts gesucht werden. Laki ist sich der Tatsache bewusst, dass er mit Rap trotz seines Skills auf Topniveau in diesem Leben keine goldene Platte mehr einheimsen dürfte.
„Ich sollte arbeiten, weil ich und mein Mic wohl nie wieder Gold gehen…„
Angenehm nah an der tatsächlichen Lebensrealität spielen sich die Aussagen Lakmanns ab. Diese Platte ist nicht dazu da, sensationsgeilen vor sich hin geifernden Teenagern eine Fantasiewelt vorzugaukeln. Diese Platte ist auch nicht gemacht worden, um der Öffentlichkeit ungefragt das selbstverständlich imposante Gemächt im Gesicht herumbaumeln zu lassen. Wobei, das auch. Aber keinesfalls nur. So finden sich neben den typischen Raptracks über Rap durchaus auch einige Themensongs. „Tabbis Song“ beispielsweise ist Lakmanns Tochter gewidmet, die auch das Intro spricht.
„Feel right doing wrong“ wiederum behandelt die Diskrepanz zwischen dem Wissen um die theoretisch richtige Handlung und dem inneren Schweinehund. Extrapunkte gibt es hierbei für die herrlich schräg gesungene Hook. Auf „Früher war es anders“ reflektiert Lakmann den Zustand des deutschen Raps zu seinen Anfangszeiten und den Unterschieden zum aktuellen Tenor. Plus das bereits erwähnte und sich selbst erklärende „Wofür mach ich das„. Diese Platte hat exakt einen Zweck: ein Rapper, der einst mitten im Fokus des Bundesdeutschen Rapzirkus beheimatet war, möchte zeigen: „Freunde, ich kanns noch! Ich lebe noch!“ Ja, er lebt noch! Lakmann, quasi der reimende Holzmichel des Potts.
Dankenswerterweise scheint er die Zeit seiner Mikrophon-Abstinenz zur Weiterbildung seiner Skills genutzt zu haben. Wurde früher noch teilweise vollkommen sinnfrei alles, was nicht bei drei auf dem Baum war miteinander verreimt, sind die Texte auf „2 Gramm gegen den Stress“ deutlich stimmiger, zurückgelehnter und zielgerichteter geworden.
Leider Gottes ist stellenweise nach wie vor ein wenig an der ein oder anderen Zeile geschlampt worden. Das eigentlich überwunden geglaubte Phänomen, stets den erstbesten Gedankens ins Papier zu prügeln, scheint sporadisch doch durch und grüßt mit hässlicher Fratze. Schade eigentlich, denn hin und wieder leidet eine an sich gelungene Zeile dank eines gar zu saloppen Zusatzes in ihrer Gesamtheit. Top und Flop liegen daher bisweilen extrem dicht beisammen, Beispiel: auf „Biten wie ein Haifisch“ folgt „Punchlines von mir erfasst man seismographisch„.
Banal und genial reichen sich stellenweise freundlich die Hand und lustwandeln in trauter Gemeinsamkeit durch die Spieldauer dieses Siberlings. Um nicht auf all zu hohem Niveau zu meckern sollte allerdings ganz klar gesagt sein: Banal spielt dankenswerter Weise die deutlich leisere Geige. Das Gros der Formulierungen genügt durchaus einem fundierten technischen Anspruch. Obwohl nicht jede Zeile zu frenetischer stehender Ovation animiert, lässt sich die sprachliche Komponente dieses Albums getrost gegenzeichnen.
Klanglich liefert die LP angenehme Bodenständigkeit ab. Traditionelle Herangehensweise in zeitgemäßes Gewand gekleidet. Wer soliden Rap hören will, der zwar den Frickel-Fanatiker nicht hyperventilieren lässt, allerdings auch keinerlei großartige Angriffsflächen bietet, wird sich „2 Gramm gegen den Stress“ weitestgehend ohne angesäuertes Einhacken auf die Skip-Taste zu Gemüte führen können. Produktionstechnische Glanzlichter, bei denen sich der audiophile Nerd den Kopf kratzen muss, finden sich zwar nicht, allerdings stört dieser Umstand auch nicht weiter. Solide statt spacig. Größte Überraschung ist ohne Zweifel „Ruhrpott Rydermusic“ auf einem von DJ Premier produzierten Agallah-Instrumental.
„2 Gramm gegen den Stress“ ist ein durchaus angenehmes und streng genommen überfälliges Lebenszeichen eines Helden vergangener Tage. Wie viel Beachtung es allerdings finden wird, bleibt dank extrem dürftiger Promo und fehlender Effekthascherei noch abzuwarten.