Völlig egal, ob sein Coming Out kurz vor Albumrelease nun ein Promostunt war oder nicht – mutig war es in jedem Fall. Als erster Künstler aus dem HipHop/R&B-Kontext zu seiner Homosexualität zu stehen, ist bemerkenswert, sollte uns aber im weiteren nicht interessieren (tut es natürlich aber doch). Schließlich ist Frank Oceans Musik interessant genug, sich nicht weiter mit seinen sexuellen Vorlieben aufzuhalten.
Zumal diese auf „channel ORANGE„, seinem ersten richtigen Album, keine allzugroße Rolle spielt. Frank Ocean singt über Liebe. Ob diese dabei zwischen Mann und Frau, Frau und Frau oder Blume und Biene stattfindet, ist scheißegal. Anders als auf „nostalgia ULTRA„, dem eigentlich ersten Album, das dann nur als Mixtape erschien, fehlen auf „channel ORANGE“ auch explizitere Ausdrücke wie „fuck“ fast vollständig, wahrscheinlich ein Kompromiss mit dem stets auf Kundenfreundlichkeit bedachten Plattenlabel Universal.
Aber auch das ist egal. Franks Stimme ist so großartig, dass es ohnehin nicht darauf ankommt, über was er singt. Er könnte auch das sprichwörtliche Telefonbuch vorlesen. Wäre auch super. In seinem Organ steckt so viel Seele, so viel Trauer, so viel Sex und Sinnlichkeit, dass man sofort verliebt sein möchte. Denn man merkt sofort: Diese Musik wäre in verliebtem Zustand so gut, dass es kaum auszuhalten wäre. Unverliebt ist sie aber auch immer noch fantastisch. Wenn Frank Ocean fragt „Do you think about me still?„, dann möchte man ihm auch als stockheterosexueller Mann sofort mit „Ja, klar“ antworten. Und wenn er dann mit „Coz I been thinkin bout forever“ weitermacht, bricht man geradezu in ekstatische Euphorie aus.
Als stockheterosexueller Mann nebenbei, der R&B nicht unbedingt als erstes nennt, wenn er nach seiner Lieblingsmusik gefragt wird. Aber Frank Ocean ist keiner von diesen süßlichen Jüngelchen mit schleimiger Attitüde und wacken Beats. Politisch unkorrekt könnte man also sogar sagen, dass er lustigerweise der unschwulste R&B-Sänger seit, sagen wir mal D’Angelo ist.
„channel ORANGE“ ist ein Soul-Album, das man nicht nur als Hintergrundmusik beim Bumsen laufen lässt. Man kann mit ihm seinen Tag beginnen, man kann es im Auto hören, man kann es beim Schreiben hören, man kann es beim Einschlafen hören oder man kann es einfach so hören. Tief versinkt man in den Songs, vor allem in Franks Stimme. Der Odd Future-Sänger wird ja gerne mal mit The Weeknd verglichen, tatsächlich verkörpert er so ziemlich das Gegenteil des drugged-out Genies aus Vancouver. Wo bei diesem alles bis zur Schmerzensgrenze künstlich und überzeichnet daherkommt, wo sich nackte japanische Models in Koksbergen wälzen, da geht es Frank Ocean doch weitaus klassischer, beinahe könnte man sagen: konservativer an.
So beschreibt er in „Super Rich Kids“ die Bret-Easton-Ellis-Welt verzogener Reichensprösslinge nicht affirmativ, sondern mit deutlich hörbarem kritischen Unterton. Begleitet wird er dabei übrigens von einem souverän auftrumpfenden Earl Sweatshirt, das alles auf einem unglaublich (nicht unfassbar) schleichenden Beat, der geeignet ist, im ersten Gang mit Tempo 15 irgendeine längere Straße runter zu cruisen. Krasser Song.
Ein weiterer Höhepunkt ist „Crack Rock„, dessen intensive Stimmung einem den einen oder anderen Schauer den Rücken hinunter jagt. „Bad Religion“ ist Religionskritik vom feinsten, feierlich tönt die Orgel, „If it brings me to my knees it’s a bad religion“ singt Frank und hat natürlich vollkommen recht. Und wenn dann auch noch die alte Schweinebacke Andre 3000 vorbeischaut und „Pink Matters“ die richtige Dosis dezent wahnsinniger Rap-Vocals beisteuert.
Falls noch jemand eine Zusammenfassung braucht: „channel ORANGE“ ist der Shit. Nicht mehr. Aber ganz sicher auch nicht weniger. Macht, was ihr wollt. Ich geh dann mal weiterhören.