Homezone ist ein Text-Interview-Format unseres Autors Alexander Barbian. Er trifft und begleitet aufstrebende wie etablierte Künstler aus den Gefilden des deutschen Sprechgesangs durch deren Kieze, in deren Lieblingskneipen und zu deren Stammspäties. Für die vierte Ausgabe hat er mit Zynik und Delirium einen Spaziergang durch den sonnigen Ernst-Thälmann-Park unternommen …
Es ist der bisher heißeste Tag des Jahres. Die Sonne ballert gnadenlos auf den großzügigen Platz an der Greifswalder Straße, der gleichzeitig den Eingang in den wohl geschichtsträchtigsten Park Prenzlauer Bergs darstellt. Was als 29 Grad angekündigt war, fühlt sich hier an wie geschätzte 45. Mindestens. Vor der Kulisse einiger vanillefarbener Hochhäuser thront die an ihrem Sockel heutzutage durch Grafits verzierte, ungeheuer riesiger Büste von Altmeister Ernst Thälmann, der in demonstrativ triumphierender Siegerpose die Faust zum sozialistischen Arbeitergruß hebt.
Warum ich bei brühender Hitze an diesem eigenartigen Ort bin, der nicht einmal Schutz vor der Sonne zu bieten hat? Weil ich mich mit Zynik und Delirium unterhalten will, die nach langer Zeit des Wartens am 7. Juli endlich ihre gemeinsame EP droppen. Die Wahl des Ortes fiel sehr bewusst auf den Ernst-Thälmann-Park, immerhin bietet dieser Spot eine spannende Mischung aus Deliriums derzeitiger Bleibe und der politischen Homezone beider Rapper, zumindest im historischen Sinne.
Während die Jungs innerhalb der Rapszene ein noch ziemlich unbeschriebenes Blatt sind, haben sie in politischen und subkulturellen Kreisen spätestens durch die bei YouTube erschienenen 16-Bars-Clips und ihre Gastauftritte bei den Konzerten der berühmten türkischen Folkloreband Grup Yorum Aufmerksamkeit erregt. Kein Wunder, verbindet die Musik die die beiden machen doch sozialkritische Themen mit feinster Straßenattitüde und erinnert durch ihren rauen Sound beinahe an den jungen Shiml, während sie mit zornig verzerrten Augen „linker Rap muss kein Opfer mehr sein“ verlauten lässt. Genug Grundlage also, um bei einem entspannten Streifzug durch die Hood ein paar Fragen zu stellen …
Moin Jungs! Erklärt mir doch erst mal, warum wir uns genau hier treffen? Wie ist euer Bezug zu diesem Ort?
Delirium: Zum einen wohne ich hier in der Ecke. Zum anderen passt dieser Kiez mit all seinen Straßennamen, die nach antifaschistischen Freiheitskämpfern benannt sind, sehr gut zu der Geisteshaltung, die wir ja auch in unserer Musik repräsentieren und zu erklären versuchen. Bevor wir irgendeinen coolen Szenespot für ein Interview aussuchen, besuchen wir lieber unseren alten Freund Ernst Thälmann (lacht).
Ihr verbringt euer alltägliches Leben ja in verschiedenen Städten … Wo ist eure gemeinsame Base?
Zynik: Auch wenn ich seit einigen Jahren in Gelsenkirchen lebe und es Delirium nach Berlin verschlagen hat, kommen wir beide ja beide ursprünglich aus Hamburg. Das ist bis heute der gemeinsamer Nenner und irgendwie auch der Schwerpunkt geblieben.
Ihr beide seid noch nicht lange im Rapgame unterwegs, habt beide bisher lediglich eine Solo-EP released. Seitdem ich mich erinnern kann, tretet ihr gemeinsam auf und habt euch in der kurzen Zeit schon mehrmals gegenseitig gefeatured. Es überrascht insofern wenig, dass ihr nun ein erstes gemeinsames Projekt raushaut. Fangen wir trotzdem mal ganz von vorne an: Wie habt ihr beiden ursprünglich zueinander gefunden?
Delirium: Der Kontakt ist weitestgehend über unsere politisch aktiven Freundeskreise entstanden, die sich hartnäckig überschneiden. Gemeinsame Kollegen haben uns irgendwann miteinander connected, weil wir innerhalb Hamburgs auch nicht weit voneinander gewohnt haben. Und dann haben wir uns eines Tages hingesetzt und was zusammen geschrieben.
Zynik: Der erste gemeinsame Track ist im Sommer 2012 entstanden, als wir gemeinsam bei den Protesten gegen einen Naziaufmarsch in Pinneberg unterwegs waren, das hat ja quasi Symbolcharakter (lacht).
Seht ihr euch eher inzwischen mehr als Duo, oder immer noch als separate MC‘s, die ab und an kollaborieren?
Zynik: Nach wie vor machen wir schon irgendwie individuell Mucke. Es kann auch durchaus sein, dass wir irgendwann wieder komplett einzeln Musik machen werden … Dadurch, dass aber hinsichtlich unserer Geschmäcker so gut wie alles parallel läuft, entstehen automatisch ständig gemeinsame Projekte, das geschieht gar nicht so geplant, weißt du? Wir feiern gegenseitig unseren Kram und oft ist es so, dass einer von uns einen guten Part gekickt hat und das passende Puzzleteil zum fertigen Lied dann irgendwie vom Anderen kommt. Oft ergänzt sich das atmosphärisch einfach gut.
Delirium: Die ständigen Collabos bieten sich auch deshalb so an, weil wir ein ausgeglichenes und gutes Verhältnis zwischen Gemeinsamkeiten und jeweiligen Alleinstellungsmerkmalen haben. Wir sind inhaltlich oft sehr auf einer Linie, verbinden aber zwei völlig unterschiedliche Sounds.
Langsam wird es uns zu heiß am Denkmal, auf dessen großzügigen Stufen wir der Sonne ausnahmslos ausgesetzt sind. Sich einen Sonnenstich einzuhandeln wäre alles andere als nützlich, nicht zuletzt, weil die Jungs in ein paar Stunden beim „Rappening“ im Musik und Frieden auftreten werden. Wir machen uns also auf den Weg, um ein paar schattigere Fleckchen ausfindig zu machen …