Denkt man an Liquit Walker fallen einem unweigerlich Stichworte wie Rap am Mittwoch, Graffiti Box Summer Jam oder Feuer über Deutschland ein. Auf diversen Freestylebühnen in Berlin und im weiteren Land machte sich der Berliner einen Namen, versäumte es aber bislang, ein Album zu veröffentlichen. Mit den inzwischen aufgelösten Hammer & Zirkel hatte er gemeinsam zwei EPs sowie eine Solo-EP, die auf den Namen „Vergessen in der Gleichung“ hörte, herausgebracht. Im September letzten Jahres bestätigten sich dann die lang brodelnden Gerüchte, wer das neue Signing der Freunde von Niemand sein werde: Liquit Walker. Und siehe da: Endlich kommt Liq mit seinem Debütalbum „Unter Wölfen“ um die Ecke und tauscht die Freestyle-Bühne gegen die Gesangskabine.
Geht doch. „Unter Wölfen„, das gottverdammte Debütalbum des Herrn Walkers, ist die tonträgergewordene Berliner Schnauze. Wie zu erwarten gibt es harten Straßensound, Rapsongs mit Inhalt, ohne die üblichen verbalen Vergewaltigungen und das müßige Muttergeficke. „Unter Wölfen“ wirkt wie die einzig logische Konsequenz aus Liqs bisherigem Leben, fast schon wie ein Biopic.
Sanfte Streicher, Trommeln und Trompeten leiten das „Intro“ ein und verbreiten eine majestätische Stimmung. Break. Gitarrensounds erklingen und setzen den Spannungsbogen fort. Mit druckvoller Stimme setzt Liquit Walker ein. Der folgende Part gibt den Leitfaden des Albums vor: Der Protagonist ist „Unter Wölfen„, will sich aber nicht in einem Rudel unterordnen. Seiner angestrebten Rolle als Leitwolf kann er aber nicht oder erst nach dem Bestehen zahlloser leidvoller Erfahrungen und Demütigungen gerecht werden. Bis dahin ist er zu einem Dasein als Außenseiter verdammt. Wahrlich lange hat es gedauert. Aber was lange währt, wird endlich gut: Fest entschlossen nach vorne preschend, vorbei an jedem, der ihn jetzt noch aufhalten willl. „Deutscher Rap ist gerade nicht nur in den besten, sondern in den ehrlichsten Händen„, erklärt er selbstbewusst und: „Sag dieser gottverdammten Welt, dass ich nach dieser Platte keinem mehr was schuldig bin„.
Den Schwung des Intros nimmt Liq auf „Deutschrapkanakke“ mit. Hinter dem etwas missverständlichen Titel verbirgt sich ein Manifest des Außenseitertums. Es ist die Geschichte seines bisherigen Werdegangs. Von vielen gehasst, von niemandem richtig gewollt, fühlte Liquit sich in die Rolle des Einzelgängers gedrängt. „Ich wuchs alleine auf, besser so, wenn dir bei den ersten Schritten keiner dieser Wichser auf die Beine schaut – Walker„. Wenn Liquit allerdings die Ablehnung, die er als blasser Ostler unter dunkelhaarigen Straßenrappern erfahren hat, mit der Ausgrenzung von Menschen vermeintlich ausländischer Herkunft durch die deutsche Mehrheitsgesellschaft gleichzusetzen versucht, schießt er dabei ein wenig über das Ziel hinaus. Schließlich stellt ein Deutscher in diesem Land keineswegs eine Minderheit dar. „Scheiß Rassismus häufig auf zwei Seiten sehn‘„ Man kann zwar durchaus nachvollziehen, worauf Liq damit hinaus will. Ein wenig zu einfach macht er es sich damit dennoch. „Ich bleib‘ mit Stolz bei der Sache, der Deutsche, der Deutschrapkanacke„. Wer Liquit jedoch deswegen gleich in die rechte Ecke stecken will, hat gar nichts begriffen. Ein kontroverser Song, über den noch zu reden sein wird.
In erster Linie ist Liquit Walker sowieso kein Deutscher, sondern Berliner. Das sollte mittlerweile auch der Letzte mitbekommen haben. Der Lokalpatriot widmet sich seiner Heimatstadt nicht nur hin und wieder ein paar Zeilen, nein, gleich einen ganzen Song, welcher den Namen „Immer noch Berlin“ trägt. Der Pathos tropft hier wirklich aus jeder Zeile. Liq läuft mit wehender Flagge voraus und hebt die Faust für seine Stadt. Irgendeiner muss doch. „Ihr braucht mir hier nichts auszureden, ja wir haben Deutschrap nicht erfunden, doch ihm beigebracht die Faust zu heben (…) Diese Stadt hat keine Macht verloren, sie brauchte nur wieder eine Stimme„. Es dürfte klar sein, wer nach Liquits Meinung wie dazu geboren ist, diese Stimme zu sein.
Und das ist noch nicht alles in Sachen deutsche Hauptstadt. Beim ersten Hören könnte man vermuten, dass sich die sprichwörtliche Hassliebe in „Bei dir zu Hause“ auf eine Frau bezieht. „Ich seh dich und wünschte ich würde dich nicht brauchen. Doch bei keinem sonst da draußen fühle ich mich zu Hause„. Doch auch hier geht es nur um seine wahrscheinlich größte Liebe: Berlin. Hierbei wird er übrigens von niemand anderem als dem Berliner Asi-Poeten mit Niwoh, Sera Finale unterstützt.
Es gibt aber auch noch andere Themen. „Lass die Welt sich drehen“ leutet die Halbzeit von „Unter Wölfen“ ein. Enttäuschung und Verrat sind hier die thematischen Eckpunkte, zwischen denen Liq sich bewegt. „Ich bleib nie mehr stehen. Denn wenn sie nicht gut genug sind zum gewinnen, wollen sie andere verlieren sehen (…) An machen Tagen habe ich ehrlich keine Lust mehr für jeden hier den Held zu spielen. Für gebrochene Herzen wiegt diese Welt zu viel„. Ein selbstreflexiver Song, der die nachdenkliche Seite des Wolfs zum Vorschein bringt. „Ich wollte ein Held sein, aber Held für wen?“.
Im Kontrast zu all der Härte und Coolness steht „Bonnie Parker„, der Liqus Freundin gewidmet ist. Oft genug hört man, wie Rapper an Liebesliedern grausam scheitern. In diesem Fall schafft der MC es jedoch, die Klippen der Peinlichkeit elegant zu umsegeln. Dies gelingt ihm durch eine betont raue Note in der Romantik. Ein durch und durch ehrlicher und überhaupt nicht kitschiger Song, der zwischen all dem Lokalpatriotismus und den Kampfansagen tatsächlich nicht fehl am Platz wirkt.
Mit „Alphawolf“ endet dann schließlich der lange und steinige Weg des ewigen Underdogs. Liquit folgt nur noch seinem Bauchgefühl. „Denn drehst du Leuten den Rücken, können sie dahinter reden. Aber ich kann einfach so nicht mitlaufen, wollte so nicht fühlen und wer nicht folgen kann muss fühlen (…) Halte an der Richtung fest und irgendwann drehst du dich um und siehst ein kompettes Rudel, dass sich auf dich verlässt„. Vom Straßenköter zum Alphawolf.
Sicherlich erfindet Liquit Walker mit „Unter Wölfen“ Rap nicht neu. Vielmehr besinnt er sich auf aus seiner Sicht bewährte Tugenden wie Bodenständigkeit, Zielstrebigkeit und ein klassisches Männerbild. Von weinerlichen Memmen, die nur über ihre Gefühlchen und Problemchen jammern wollen, hält er dagegen wenig. In seiner Welt ist alles eindeutig. Zugute kommt ihm, dass sein Flow und seine Stimmtechnik über jeden Zweifel erhaben sind. Außerdem versteht er es, seine kräftige Stimme variiert und durchdacht einzusetzen. Die eifrig nach vorne marschierenden, gerne auch pathetischen Beats von Jumpa, DJ Desue, Joshimixu, Johnny Pepp, X-Plosive, 7Inch und KD-Beatz sowie die wohldosierten, durchweg hochkarätigen Featuregäste (außer dem bereits erwähnten Sera sind Vega, Kool Savas, Sido und MoTrip zu Gast) komplettieren ein rundes, stimmiges Album.