Juse Ju – Angst & Amor [Review]

Meine Damen und Herren, bitte begrüßen sie unseren heutigen Gast, den Untergrundrapper Juse Ju!“ schmettert der Moderator ins Mikrofon. Ein schmächtiger, Anfang 30-Jähriger nimmt Platz. Er lächelt etwas verschüchtert, aber sympathisch. Ein bisschen verloren sieht er aus – der hip gekleidete Moderator, das stylishe, junge Publikum – das ist nicht Juse Jus Welt. Doch er hat sich darauf eingelassen – nicht um sein neues Album „Angst & Amor“ zu promoten, sondern um sich ein bisschen Luft zu machen. Der Berliner hat nämlich einiges los zu werden.

Nun, Juse Ju“ beginnt der Moderator „sie sind also ein sogenannter Untergrundrapper. Was genau bedeutet das denn eigentlich? Können sie das etwas genauer erläutern?

Untergrund bedeutet in den meisten Fällen Wackness / Aber nicht bei mir, denn hier überwiegt die Freshness // Echt nicht, bin ich hängen gebelieben, nur weil ich nicht für jeden Energydrink Werbung mach, wenn’s Cash gibt? // Untergrund bedeutet, dumme Fressen zu polieren / Denn Rap hat mich sozialethisch desorientiert // Das ist alles Bullshit, denn wir sprechen halt wie wir / Wir sind nett, doch reden hart, auch wenn der Rest es nicht kapiert“  (Untergrund bedeutet)

Der Moderator legt die Stirn in Falten und zieht seine gezupften Augenbrauen hoch. So hoch, dass sie fast den Ansatz seines, zu einer fluffigen Tolle geföhnten, Undercuts berühren.

Das war… aufschlussreich. Herr Ju, streben sie denn nach nichts höherem? Eine Chartplatzierung? Erfolg? Geld? Wollen sie denn kein Geld mit ihrer Kunst verdienen?

Von dem offensichtlichen Seitenhieb lässt Juse Ju sich nicht aus der Ruhe bringen.  Entspannt räuspert der Berliner sich und beginnt in lässigem Tonfall:

Als ich ein Kind war, war mir die Kohle egal / Aber dann zogen wir aus Tokyo in ein Tal // Da lebten lauter Schwaben, die andauernd sagten: / Hier musst du auch was haben, denn sonst bist du ein Versager // So nett, wie sie waren, rieten sie mir zu studieren / Am besten Ingenieur – aaah yeah // Seit dieser Zeit bin ich süchtig nach Respekt / Und im Kapitalismus hat er die Farbe von Cash // Lila, gelb und grün / das ist Selbstbetrug, aber Geld ist schön / Nicht um mir Zimmer im Ritz zu leisten / Oder mir eine geldgeile Bitch zu leisten // Ein Haus, ein Auto, ein Schiff zu leisten / Ich brauch Geld, um es dir ins Gesicht zu schmeißen“ (Highscore)

Der frisierte Gastgeber schaut irritiert drein. Eine Mischung aus Mitleid und Abscheu steht ihm ins Gesicht geschrieben, er versucht aber, sich nicht anmerken zu lassen, dass er mit solch einer ehrlichen Antwort nicht gerechnet hätte.

Danke für die ausführliche Antwort. Also verstehe ich sie richtig, dass sie sich als Zahnrad sehen, obwohl es ihnen Unbehagen bereitet? Wie beurteilen sie angesichts dessen den momentanen Zeitgeist in Deutschland? Wie schätzen sie den Durchschnittsdeutschen ein?

Juse Ju sieht seinem Gegenüber direkt in die Augen – die Ablehnung von Seiten dessen nimmt der deutlich wahr – und schildert spitzfindig:

Du hast Angst vor jungen Männern, die im U-Bahnhof rumhängen / Ich hab Angst vor dummen Pennern auf so CDU Empfängen // Es gibt keinen Grund, Sie ’nen Hurensohn zu nennen – du hast Angst um dein Erspartes / Ich hab Angst vor einem Haarschnitt […] Du hast Angst, was zu wagen, deshalb schaust du in Zahlen / Ich hab Angst, die deutschen Fernsehmacher wollen mich verarschen // Du hast Angst vor den Griechen, denn du hältst sie für Diebe / Ich hab Angst, dass Rettungsgelder nur noch in die Banken fließen // Du hast Angst vorm schwarzen Block – vor bösen Steinewerfern // Ich hab Angst, dass ich Mal einsam und alleine sterbe“ (German Angst)

Also ich bitte sie, daran ist doch nichts verwerflich! Sie wollten vielleicht ihre Prioritäten überdenken, bevor sie sich derartig äußern!“ giftet der entrüstete Moderator und schlägt schwungvoll die Beine übereinander, wobei die Skinny Jeans sich gefährlich zu spannen beginnt. „Ich habe den Eindruck, sie versuchen sich mit Hilfe eines Feindbildes abzugrenzen!

Auch die bisher noch entspannte Miene des Rappers beginnt, sich zu verfinstern. Sichtlich angespannt wahrt er dennoch die Fassung und antwortet:

Weil uns die ‚Lügenpresse‘ evil durch ein Feinbild spaltet / Machst du sie zu deinem Feindbild, zum gemeinsam haten // Ich mach’s mir mit meinem Feindbild einfach / Ich finde immer noch Til Schweiger scheiße! // Und du willst Putin einen blasen? Das ist dein Ding / Ich kann das verstehen, den der geht ja immer mit nacktem Muskelbody reiten // Hat für Homosexuelle aber kein Einsehen / Und für die Pressefreiheit auch nicht grad‘ viel Liebe.“ (Akte X)

Dem überkandidelten Schönling fällt beinahe das Mikrofon aus der Hand. Engeistert blickt er seinen Gast an. So etwas ist ihm in seiner gesamten Laufbahn noch nicht untergekommen – und das ist nicht der erste Rapper, der da sitzt. Doch gewöhnlich sind die Statements eindeutiger, es fällt ihm leichter ihnen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Er zögert.

„Sie sind ein… ungewöhnlicher Mensch, Herr Ju. Warum können sie sich nicht angemessen  verhalten? Was ist ihr Problem?“

Was zur Hölle er bei dieser Veranstaltung verloren habe, fragt er sich, und warum zur Hölle er die dummen Fragen dieser Schmalzlocke ernst nehmen sollte? Warum sollte er diesem Publikum imponieren, während es ihn so anwidert?

Ich bin unprofessionell, ich habe keinerlei Strukturen / Doch mein Weltbild ist sehr simpel, für mich seid ihr alles Huren // Ich meine nicht die Rapper, sondern laufende Frisuren / Tätowierte Modeopfer aus den Hauptstadt-Agenturen // Ich hab kein Problem, dass ihr Sucker damit Geld macht / Mich nervt nur deine Gesellschaft, denn du bist ein BWL-Spast.“ (Rocky Beach)

Der überrumpelte Moderator schaut nun nur noch verdattert drein. Dieser durchgängigen meta-Ironie in Kombination mit der zynischen Bissigkeit seines Gastes ist er nicht gewachsen. Das Publikum, mittlerweile großteils auf ihre iPhones starrend, kann ohnehin nicht folgen. Schlag auf Schlag kommen die intelligenten Ansagen mit doppeltem Boden und entwaffnend ehrlich – Resignation macht sich breit.

Nun, Juse Ju. Ich danke Ihnen vielmals für das Gespräch. Zum Abschied spielen wir noch einen Song von Ihrem neuen Album „Angst & Amor.

Es erklingt ein Beat. Ein Hauch BoomBap, aber kein langweiliger. Samples, Dur-Akkorde. Nicht sonderlich spektakulär, aber überaus wohlklingend und handwerklich hervorragend produziert. Juse Jus Stimme erklingt. Ebenfalls nicht spektakulär, man könnte fast sagen kraftlos. Doch sie erfüllt ihren Zweck hervorragend. Sympathisch und treffend delivered werden am laufenden Band Flows geswitcht. Das Publikum aber, reagiert eher irritiert und glotzt überfordert drein. Es ist ein verdammt gutes Lied von einem verdammt guten Album – aber nur, wenn man dem gewachsen ist.